weil die einzelnen Töne sich gegen den ganzen musica- lischen Umfang viel gleichgültiger verhalten, als die einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem sie aufgestellt sind: denn die Farben machen in diesem Kreise selbst das majus und minus, sie machen selbst diesen entschiedenen Gegensatz, welcher sichtbar und empfindbar ist und der nicht aufzuheben geht, ohne daß man das Ganze zerstört.
Die Töne hingegen sind, wie gesagt, gleichgültiger Natur, sie stehen jedoch unter dem geheimen Gesetz eines gleichfalls entschiedenen Gegensatzes, der aber nicht an sich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveränder- lich empfindbar wird, sondern, nach Belieben des Künstlers, an einem jeden Tone und seiner von ihm herfließenden Folge hörbar und empfindbar gemacht werden kann.
Es ist uns angenehm, indem wir gegen das En- de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben, uns über diesen wichtigen Punct zu erklären, auf wel- chen schon im Laufe unseres Vortrags auf mehr als eine Weise hingedeutet worden.
Das Büchelchen selbst verdient eine Stelle in der Sammlung eines jeden Natur- und Kunstfreundes, so- wohl damit das Andenken eines braven, beynah völlig vergessenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig- keit, ja Unmöglichkeit einer solchen Unternehmung ei- nem jeden deutlicher gemacht werde. Geistreiche Per-
weil die einzelnen Toͤne ſich gegen den ganzen muſica- liſchen Umfang viel gleichguͤltiger verhalten, als die einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem ſie aufgeſtellt ſind: denn die Farben machen in dieſem Kreiſe ſelbſt das majus und minus, ſie machen ſelbſt dieſen entſchiedenen Gegenſatz, welcher ſichtbar und empfindbar iſt und der nicht aufzuheben geht, ohne daß man das Ganze zerſtoͤrt.
Die Toͤne hingegen ſind, wie geſagt, gleichguͤltiger Natur, ſie ſtehen jedoch unter dem geheimen Geſetz eines gleichfalls entſchiedenen Gegenſatzes, der aber nicht an ſich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveraͤnder- lich empfindbar wird, ſondern, nach Belieben des Kuͤnſtlers, an einem jeden Tone und ſeiner von ihm herfließenden Folge hoͤrbar und empfindbar gemacht werden kann.
Es iſt uns angenehm, indem wir gegen das En- de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben, uns uͤber dieſen wichtigen Punct zu erklaͤren, auf wel- chen ſchon im Laufe unſeres Vortrags auf mehr als eine Weiſe hingedeutet worden.
Das Buͤchelchen ſelbſt verdient eine Stelle in der Sammlung eines jeden Natur- und Kunſtfreundes, ſo- wohl damit das Andenken eines braven, beynah voͤllig vergeſſenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig- keit, ja Unmoͤglichkeit einer ſolchen Unternehmung ei- nem jeden deutlicher gemacht werde. Geiſtreiche Per-
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weil die einzelnen Toͤne ſich gegen den ganzen muſica-
liſchen Umfang viel gleichguͤltiger verhalten, als die
einzelnen Farben gegen den Umkreis in welchem ſie
aufgeſtellt ſind: denn die Farben machen in dieſem
Kreiſe ſelbſt das majus und minus, ſie machen ſelbſt
dieſen entſchiedenen Gegenſatz, welcher ſichtbar und
empfindbar iſt und der nicht aufzuheben geht, ohne daß
man das Ganze zerſtoͤrt.
Die Toͤne hingegen ſind, wie geſagt, gleichguͤltiger
Natur, ſie ſtehen jedoch unter dem geheimen Geſetz eines
gleichfalls entſchiedenen Gegenſatzes, der aber nicht an
ſich, wie bey der Farbe, nothwendig und unveraͤnder-
lich empfindbar wird, ſondern, nach Belieben des
Kuͤnſtlers, an einem jeden Tone und ſeiner von ihm
herfließenden Folge hoͤrbar und empfindbar gemacht
werden kann.
Es iſt uns angenehm, indem wir gegen das En-
de zu eilen, nochmals Gelegenheit gefunden zu haben,
uns uͤber dieſen wichtigen Punct zu erklaͤren, auf wel-
chen ſchon im Laufe unſeres Vortrags auf mehr als eine
Weiſe hingedeutet worden.
Das Buͤchelchen ſelbſt verdient eine Stelle in der
Sammlung eines jeden Natur- und Kunſtfreundes, ſo-
wohl damit das Andenken eines braven, beynah voͤllig
vergeſſenen Mannes erhalten, als damit die Schwierig-
keit, ja Unmoͤglichkeit einer ſolchen Unternehmung ei-
nem jeden deutlicher gemacht werde. Geiſtreiche Per-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/678>, abgerufen am 22.11.2024.
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