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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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einem von Mauern zurückstrahlenden Lichte leicht ein
gelblicher Schein auf einen weißen Grund geworfen und
daselbst ein violetter Schatten erzeugt wird; daß die
dem Tageslicht entgegengesetzte Kerze dem Papier gleich-
falls einen gelblich rothen Schein mittheilt, wodurch
der blaue Schatten gefordert wird. Er übersieht, daß
wenn er ein atmosphärisches Licht von zwey Seiten in
sein Zimmer fallen läßt, von einem benachbarten Hause
abermals ein gelblicher Schein sich hereinmischen kann.
So darf, selbst wenn bey Nachtzeit mit zwey Kerzen
operirt wird, die eine nur näher als die andere an
einer gelblichen Wand stehen. So ist ein Kaminfeuer
nicht sowohl stärker und mächtiger als eine Kerze, son-
dern es bringt, besonders wenn viele glühende Kohlen
sich dabey befinden, sogar einen rothen Schein hervor;
deswegen, wie beym Untergang der Sonne, leicht
grüne Schatten entstehen. Das Mondlicht färbt
jede weiße Fläche mit einem entschieden gelben Schein;
und so entspringen alle die Widersprüche, die dem
Verfasser begegnen, blos daher, daß er die Neben-
umstände aufs genaueste beachtet, ohne daß ihm die
Hauptbedingung deutlich geworden wäre.

Daß indessen schwach wirkende Lichter selbst schon
als farbig und färbend anzusehen, darauf haben wir
auch schon hingedeutet (E. 81. ff.). Daß sich also,
in einem gewissen Sinne, die mehr oder mindere In-
tensität des Lichts an die Erscheinung der farbigen
Schatten anschließe, wollen wir nicht in Abrede seyn;
nur wirkt sie nicht als eine solche, sondern als eine

einem von Mauern zuruͤckſtrahlenden Lichte leicht ein
gelblicher Schein auf einen weißen Grund geworfen und
daſelbſt ein violetter Schatten erzeugt wird; daß die
dem Tageslicht entgegengeſetzte Kerze dem Papier gleich-
falls einen gelblich rothen Schein mittheilt, wodurch
der blaue Schatten gefordert wird. Er uͤberſieht, daß
wenn er ein atmoſphaͤriſches Licht von zwey Seiten in
ſein Zimmer fallen laͤßt, von einem benachbarten Hauſe
abermals ein gelblicher Schein ſich hereinmiſchen kann.
So darf, ſelbſt wenn bey Nachtzeit mit zwey Kerzen
operirt wird, die eine nur naͤher als die andere an
einer gelblichen Wand ſtehen. So iſt ein Kaminfeuer
nicht ſowohl ſtaͤrker und maͤchtiger als eine Kerze, ſon-
dern es bringt, beſonders wenn viele gluͤhende Kohlen
ſich dabey befinden, ſogar einen rothen Schein hervor;
deswegen, wie beym Untergang der Sonne, leicht
gruͤne Schatten entſtehen. Das Mondlicht faͤrbt
jede weiße Flaͤche mit einem entſchieden gelben Schein;
und ſo entſpringen alle die Widerſpruͤche, die dem
Verfaſſer begegnen, blos daher, daß er die Neben-
umſtaͤnde aufs genaueſte beachtet, ohne daß ihm die
Hauptbedingung deutlich geworden waͤre.

Daß indeſſen ſchwach wirkende Lichter ſelbſt ſchon
als farbig und faͤrbend anzuſehen, darauf haben wir
auch ſchon hingedeutet (E. 81. ff.). Daß ſich alſo,
in einem gewiſſen Sinne, die mehr oder mindere In-
tenſitaͤt des Lichts an die Erſcheinung der farbigen
Schatten anſchließe, wollen wir nicht in Abrede ſeyn;
nur wirkt ſie nicht als eine ſolche, ſondern als eine

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[613/0647] einem von Mauern zuruͤckſtrahlenden Lichte leicht ein gelblicher Schein auf einen weißen Grund geworfen und daſelbſt ein violetter Schatten erzeugt wird; daß die dem Tageslicht entgegengeſetzte Kerze dem Papier gleich- falls einen gelblich rothen Schein mittheilt, wodurch der blaue Schatten gefordert wird. Er uͤberſieht, daß wenn er ein atmoſphaͤriſches Licht von zwey Seiten in ſein Zimmer fallen laͤßt, von einem benachbarten Hauſe abermals ein gelblicher Schein ſich hereinmiſchen kann. So darf, ſelbſt wenn bey Nachtzeit mit zwey Kerzen operirt wird, die eine nur naͤher als die andere an einer gelblichen Wand ſtehen. So iſt ein Kaminfeuer nicht ſowohl ſtaͤrker und maͤchtiger als eine Kerze, ſon- dern es bringt, beſonders wenn viele gluͤhende Kohlen ſich dabey befinden, ſogar einen rothen Schein hervor; deswegen, wie beym Untergang der Sonne, leicht gruͤne Schatten entſtehen. Das Mondlicht faͤrbt jede weiße Flaͤche mit einem entſchieden gelben Schein; und ſo entſpringen alle die Widerſpruͤche, die dem Verfaſſer begegnen, blos daher, daß er die Neben- umſtaͤnde aufs genaueſte beachtet, ohne daß ihm die Hauptbedingung deutlich geworden waͤre. Daß indeſſen ſchwach wirkende Lichter ſelbſt ſchon als farbig und faͤrbend anzuſehen, darauf haben wir auch ſchon hingedeutet (E. 81. ff.). Daß ſich alſo, in einem gewiſſen Sinne, die mehr oder mindere In- tenſitaͤt des Lichts an die Erſcheinung der farbigen Schatten anſchließe, wollen wir nicht in Abrede ſeyn; nur wirkt ſie nicht als eine ſolche, ſondern als eine

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/647>, abgerufen am 22.11.2024.