zu verwirren, ist das eine Unredlichkeit des Herzens, die ein schlechtes System bemäntelt, oder eine Schief- heit des Geistes, die es aufzustutzen sucht?"
"Die Farben kommen fast ganz getrennt aus dem Prisma in zwey Bündeln, durch einen breiten Streif weißen Lichtes getrennt, der ihnen nicht erlaubt sich zusammen zu begeben, sich in eine einzige Erscheinung zu vereinigen, als nach einer merklichen Entfernung, die man nach Belieben vergrößern kann. Hier ist der wahre Standpunct, günstig für den, der die redliche Gesinnung hat, das zusammengesetzte Gespenst zu ent- wirren. Die Natur selbst bietet einem Jeden diese An- sicht, den das gefährliche Gespenst nicht zu sehr bezau- bert hat. Wir klagen die Natur an, sie sey geheim- nißvoll; aber unser Geist ist es, der Spitzfindigkeiten und Geheimnisse liebt.
Naturam expellas furca, tamen usque recurret."
"Herr Newton hat mit Kreuzesmarter und Gewalt hier die Natur zu beseitigen gesucht; tausendmal hat er dieses primitive Phänomen gesehen; die Farben sind nicht so schön, aber sie sind wahrer, sie sprechen uns natürlicher an. Von dieser Erscheinung spricht der große Mann, aber im Vorbeygehen und gleichsam vorsätzlich, daß nicht mehr davon die Rede sey, daß die Nachfolger gewissermaßen verhindert werden, die Augen für die Wahrheit zu eröffnen."
"Er thut mehr. Auch wider Willen würde man
zu verwirren, iſt das eine Unredlichkeit des Herzens, die ein ſchlechtes Syſtem bemaͤntelt, oder eine Schief- heit des Geiſtes, die es aufzuſtutzen ſucht?“
„Die Farben kommen faſt ganz getrennt aus dem Prisma in zwey Buͤndeln, durch einen breiten Streif weißen Lichtes getrennt, der ihnen nicht erlaubt ſich zuſammen zu begeben, ſich in eine einzige Erſcheinung zu vereinigen, als nach einer merklichen Entfernung, die man nach Belieben vergroͤßern kann. Hier iſt der wahre Standpunct, guͤnſtig fuͤr den, der die redliche Geſinnung hat, das zuſammengeſetzte Geſpenſt zu ent- wirren. Die Natur ſelbſt bietet einem Jeden dieſe An- ſicht, den das gefaͤhrliche Geſpenſt nicht zu ſehr bezau- bert hat. Wir klagen die Natur an, ſie ſey geheim- nißvoll; aber unſer Geiſt iſt es, der Spitzfindigkeiten und Geheimniſſe liebt.
Naturam expellas furca, tamen usque recurret.“
„Herr Newton hat mit Kreuzesmarter und Gewalt hier die Natur zu beſeitigen geſucht; tauſendmal hat er dieſes primitive Phaͤnomen geſehen; die Farben ſind nicht ſo ſchoͤn, aber ſie ſind wahrer, ſie ſprechen uns natuͤrlicher an. Von dieſer Erſcheinung ſpricht der große Mann, aber im Vorbeygehen und gleichſam vorſaͤtzlich, daß nicht mehr davon die Rede ſey, daß die Nachfolger gewiſſermaßen verhindert werden, die Augen fuͤr die Wahrheit zu eroͤffnen.“
„Er thut mehr. Auch wider Willen wuͤrde man
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zu verwirren, iſt das eine Unredlichkeit des Herzens,
die ein ſchlechtes Syſtem bemaͤntelt, oder eine Schief-
heit des Geiſtes, die es aufzuſtutzen ſucht?“
„Die Farben kommen faſt ganz getrennt aus dem
Prisma in zwey Buͤndeln, durch einen breiten Streif
weißen Lichtes getrennt, der ihnen nicht erlaubt ſich
zuſammen zu begeben, ſich in eine einzige Erſcheinung
zu vereinigen, als nach einer merklichen Entfernung,
die man nach Belieben vergroͤßern kann. Hier iſt der
wahre Standpunct, guͤnſtig fuͤr den, der die redliche
Geſinnung hat, das zuſammengeſetzte Geſpenſt zu ent-
wirren. Die Natur ſelbſt bietet einem Jeden dieſe An-
ſicht, den das gefaͤhrliche Geſpenſt nicht zu ſehr bezau-
bert hat. Wir klagen die Natur an, ſie ſey geheim-
nißvoll; aber unſer Geiſt iſt es, der Spitzfindigkeiten
und Geheimniſſe liebt.
Naturam expellas furca, tamen usque recurret.“
„Herr Newton hat mit Kreuzesmarter und Gewalt
hier die Natur zu beſeitigen geſucht; tauſendmal hat er
dieſes primitive Phaͤnomen geſehen; die Farben ſind
nicht ſo ſchoͤn, aber ſie ſind wahrer, ſie ſprechen uns
natuͤrlicher an. Von dieſer Erſcheinung ſpricht der
große Mann, aber im Vorbeygehen und gleichſam
vorſaͤtzlich, daß nicht mehr davon die Rede ſey, daß
die Nachfolger gewiſſermaßen verhindert werden, die
Augen fuͤr die Wahrheit zu eroͤffnen.“
„Er thut mehr. Auch wider Willen wuͤrde man
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/567>, abgerufen am 22.11.2024.
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