bige Licht ein gar zu lustiger Gegenstand. Algarotti betrat die Pfade Fontenelle's, aber nicht mit gleichem Geist, gleicher Anmuth und Glück.
Fontenelle steht sowohl in der Conception als in der Ausführung sehr viel höher. Bey ihm geht ein Abbe mit einer schönen Dame, die aber mit wenig Zügen so geschildert ist, daß Einem kein Liebesverhältniß einfallen kann, bey sternhellem Himmel spazieren. Der Abbe wird über dieses Schauspiel nachdenklich; sie macht ihm Vorwürfe, und er macht ihr dagegen die Würde dieses Anblicks begreiflich. Und so knüpft sich das Ge- spräch über die Mehrheit der Welten an. Sie setzen es immer nur Abends fort und der herrlichste Sternhim- mel wird jedesmal für die Einbildungskraft zurückge- rufen.
Von einer solchen Vergegenwärtigung ist bey Alga- rotti keine Spur. Er befindet sich zwar auch in der Gesellschaft einer schönen Marchesina, an welche viel verbindliches zu richten wäre, umgeben von der schönsten italiänischen Gegend; allein Himmel und Erde mit al- len ihren bezaubernden Farben bieten ihm keinen An- laß dar, in die Materie hinein zu kommen; die Da- me muß zufälliger Weise in irgend einem Sonett von dem siebenfachen Lichte gelesen haben, das ihr denn freylich etwas seltsam vorkommt. Um ihr nun diese Phrase zu erklären, holt der Gesellschafter sehr weit aus, indem er, als ein wohlunterrichteter Mann, von der Naturforschung überhaupt und über die Lehre vom
bige Licht ein gar zu luſtiger Gegenſtand. Algarotti betrat die Pfade Fontenelle’s, aber nicht mit gleichem Geiſt, gleicher Anmuth und Gluͤck.
Fontenelle ſteht ſowohl in der Conception als in der Ausfuͤhrung ſehr viel hoͤher. Bey ihm geht ein Abbé mit einer ſchoͤnen Dame, die aber mit wenig Zuͤgen ſo geſchildert iſt, daß Einem kein Liebesverhaͤltniß einfallen kann, bey ſternhellem Himmel ſpazieren. Der Abbé wird uͤber dieſes Schauſpiel nachdenklich; ſie macht ihm Vorwuͤrfe, und er macht ihr dagegen die Wuͤrde dieſes Anblicks begreiflich. Und ſo knuͤpft ſich das Ge- ſpraͤch uͤber die Mehrheit der Welten an. Sie ſetzen es immer nur Abends fort und der herrlichſte Sternhim- mel wird jedesmal fuͤr die Einbildungskraft zuruͤckge- rufen.
Von einer ſolchen Vergegenwaͤrtigung iſt bey Alga- rotti keine Spur. Er befindet ſich zwar auch in der Geſellſchaft einer ſchoͤnen Marcheſina, an welche viel verbindliches zu richten waͤre, umgeben von der ſchoͤnſten italiaͤniſchen Gegend; allein Himmel und Erde mit al- len ihren bezaubernden Farben bieten ihm keinen An- laß dar, in die Materie hinein zu kommen; die Da- me muß zufaͤlliger Weiſe in irgend einem Sonett von dem ſiebenfachen Lichte geleſen haben, das ihr denn freylich etwas ſeltſam vorkommt. Um ihr nun dieſe Phraſe zu erklaͤren, holt der Geſellſchafter ſehr weit aus, indem er, als ein wohlunterrichteter Mann, von der Naturforſchung uͤberhaupt und uͤber die Lehre vom
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bige Licht ein gar zu luſtiger Gegenſtand. Algarotti
betrat die Pfade Fontenelle’s, aber nicht mit gleichem
Geiſt, gleicher Anmuth und Gluͤck.
Fontenelle ſteht ſowohl in der Conception als in
der Ausfuͤhrung ſehr viel hoͤher. Bey ihm geht ein
Abbé mit einer ſchoͤnen Dame, die aber mit wenig
Zuͤgen ſo geſchildert iſt, daß Einem kein Liebesverhaͤltniß
einfallen kann, bey ſternhellem Himmel ſpazieren. Der
Abbé wird uͤber dieſes Schauſpiel nachdenklich; ſie macht
ihm Vorwuͤrfe, und er macht ihr dagegen die Wuͤrde
dieſes Anblicks begreiflich. Und ſo knuͤpft ſich das Ge-
ſpraͤch uͤber die Mehrheit der Welten an. Sie ſetzen
es immer nur Abends fort und der herrlichſte Sternhim-
mel wird jedesmal fuͤr die Einbildungskraft zuruͤckge-
rufen.
Von einer ſolchen Vergegenwaͤrtigung iſt bey Alga-
rotti keine Spur. Er befindet ſich zwar auch in der
Geſellſchaft einer ſchoͤnen Marcheſina, an welche viel
verbindliches zu richten waͤre, umgeben von der ſchoͤnſten
italiaͤniſchen Gegend; allein Himmel und Erde mit al-
len ihren bezaubernden Farben bieten ihm keinen An-
laß dar, in die Materie hinein zu kommen; die Da-
me muß zufaͤlliger Weiſe in irgend einem Sonett von
dem ſiebenfachen Lichte geleſen haben, das ihr denn
freylich etwas ſeltſam vorkommt. Um ihr nun dieſe
Phraſe zu erklaͤren, holt der Geſellſchafter ſehr weit
aus, indem er, als ein wohlunterrichteter Mann, von
der Naturforſchung uͤberhaupt und uͤber die Lehre vom
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/552>, abgerufen am 22.11.2024.
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