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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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dern, auch in der Entfernung eine gemeinschaftliche
Farbe wahrzunehmen.

Wenn nun eine Mischung der Körper statt findet,
so geschieht es nicht blos auf die Weise, wie Einige
sich die Sache vorstellen, daß nehmlich kleinste Theile
neben einander liegen, die uns unbemerklich sind; son-
dern auch so, daß die Mischung überall und durchweg
sey. Denn auf jene Weise mischt sich nur, was sich
in die kleinsten Theile zerlegen läßt, wie Menschen,
Pferde, Samenkörner. Denn von einer Menge Men-
schen ist ein Mensch der kleinste Theil, von Pferden,
ein Pferd; so daß aus Zusammenstellung beyder die
Menge beyder gemischt ist. Von einem Menschen
und einem Pferde kann man nicht sagen, daß sie
gemischt sind. Was sich nun nicht in die kleinsten
Theile zerlegen läßt, bey dem findet keine Mischung
auf diese Art statt; sondern auf die Art, daß alles
durchaus und aller Orten gemischt sey, was sich be-
sonders zu einer solchen Mischung eignet.

Daß nun wie jenes sich mischt, auch die Farben
sich mischen, ist klar, und daß dieses die Hauptursache
der Verschiedenheit der Farben sey und nicht das Ueber-
und Nebeneinanderliegen derselben. Denn nicht etwa
in der Ferne blos und in der Nähe nicht, zeigen ver-
mischte Dinge einerley Farbe, sondern in jedem
Standpunct.

Viele Farben werden sich ergeben, weil viele Ver-
hältnisse möglich sind, in denen das Gemischte sich
mischt. Einige beruhen auf Zahlen, andere blos auf
einem Uebermaaß; andere endlich auf derselben Weise,

dern, auch in der Entfernung eine gemeinſchaftliche
Farbe wahrzunehmen.

Wenn nun eine Miſchung der Koͤrper ſtatt findet,
ſo geſchieht es nicht blos auf die Weiſe, wie Einige
ſich die Sache vorſtellen, daß nehmlich kleinſte Theile
neben einander liegen, die uns unbemerklich ſind; ſon-
dern auch ſo, daß die Miſchung uͤberall und durchweg
ſey. Denn auf jene Weiſe miſcht ſich nur, was ſich
in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, wie Menſchen,
Pferde, Samenkoͤrner. Denn von einer Menge Men-
ſchen iſt ein Menſch der kleinſte Theil, von Pferden,
ein Pferd; ſo daß aus Zuſammenſtellung beyder die
Menge beyder gemiſcht iſt. Von einem Menſchen
und einem Pferde kann man nicht ſagen, daß ſie
gemiſcht ſind. Was ſich nun nicht in die kleinſten
Theile zerlegen laͤßt, bey dem findet keine Miſchung
auf dieſe Art ſtatt; ſondern auf die Art, daß alles
durchaus und aller Orten gemiſcht ſey, was ſich be-
ſonders zu einer ſolchen Miſchung eignet.

Daß nun wie jenes ſich miſcht, auch die Farben
ſich miſchen, iſt klar, und daß dieſes die Haupturſache
der Verſchiedenheit der Farben ſey und nicht das Ueber-
und Nebeneinanderliegen derſelben. Denn nicht etwa
in der Ferne blos und in der Naͤhe nicht, zeigen ver-
miſchte Dinge einerley Farbe, ſondern in jedem
Standpunct.

Viele Farben werden ſich ergeben, weil viele Ver-
haͤltniſſe moͤglich ſind, in denen das Gemiſchte ſich
miſcht. Einige beruhen auf Zahlen, andere blos auf
einem Uebermaaß; andere endlich auf derſelben Weiſe,

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[21/0055] dern, auch in der Entfernung eine gemeinſchaftliche Farbe wahrzunehmen. Wenn nun eine Miſchung der Koͤrper ſtatt findet, ſo geſchieht es nicht blos auf die Weiſe, wie Einige ſich die Sache vorſtellen, daß nehmlich kleinſte Theile neben einander liegen, die uns unbemerklich ſind; ſon- dern auch ſo, daß die Miſchung uͤberall und durchweg ſey. Denn auf jene Weiſe miſcht ſich nur, was ſich in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, wie Menſchen, Pferde, Samenkoͤrner. Denn von einer Menge Men- ſchen iſt ein Menſch der kleinſte Theil, von Pferden, ein Pferd; ſo daß aus Zuſammenſtellung beyder die Menge beyder gemiſcht iſt. Von einem Menſchen und einem Pferde kann man nicht ſagen, daß ſie gemiſcht ſind. Was ſich nun nicht in die kleinſten Theile zerlegen laͤßt, bey dem findet keine Miſchung auf dieſe Art ſtatt; ſondern auf die Art, daß alles durchaus und aller Orten gemiſcht ſey, was ſich be- ſonders zu einer ſolchen Miſchung eignet. Daß nun wie jenes ſich miſcht, auch die Farben ſich miſchen, iſt klar, und daß dieſes die Haupturſache der Verſchiedenheit der Farben ſey und nicht das Ueber- und Nebeneinanderliegen derſelben. Denn nicht etwa in der Ferne blos und in der Naͤhe nicht, zeigen ver- miſchte Dinge einerley Farbe, ſondern in jedem Standpunct. Viele Farben werden ſich ergeben, weil viele Ver- haͤltniſſe moͤglich ſind, in denen das Gemiſchte ſich miſcht. Einige beruhen auf Zahlen, andere blos auf einem Uebermaaß; andere endlich auf derſelben Weiſe,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/55>, abgerufen am 26.04.2024.