liefert der Kunst sich in der Experimentalphilosophie zu benehmen."
Was man sich unter Experimentalphilosophie ge- dacht, ist oben schon ausgeführt, so wie wir auch ge- hörigen Orts dargethan haben, daß man nie verkehr- ter zu Werke gegangen ist, um eine Theorie auf Ex- perimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experi- mente an eine Theorie anzuschließen.
"Will man die Natur durch Erfahrungen und Beobachtungen fragen, so muß man sie fragen wie Herr Newton, auf eine so gewandte und dringende Weise."
Die Ausdrücke gewandt und dringend sind recht wohl angebracht, um die Newtonische künstliche Behandlungsweise auszudrücken. Die englischen Lobred- ner sprechen gar von nice Experiments, welches Bey- wort alles was genau und streng, scharf, ja spitzfün- dig, behutsam, vorsichtig, bedenklich, gewissenhaft und pünctlich bis zur Uebertreibung und Kleinlichkeit ein- schließt. Wir können aber ganz kühnlich sagen: die Experimente sind einseitig, man läßt den Zuschauer nicht alles sehen, am wenigsten das, worauf es eigent- lich ankommt; sie sind unnöthig umständlich, wodurch die Aufmerksamkeit zerstreut wird; sie sind complicirt, wodurch sie sich der Beurtheilung entziehen und also durchaus taschenspielerisch.
liefert der Kunſt ſich in der Experimentalphiloſophie zu benehmen.“
Was man ſich unter Experimentalphiloſophie ge- dacht, iſt oben ſchon ausgefuͤhrt, ſo wie wir auch ge- hoͤrigen Orts dargethan haben, daß man nie verkehr- ter zu Werke gegangen iſt, um eine Theorie auf Ex- perimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experi- mente an eine Theorie anzuſchließen.
„Will man die Natur durch Erfahrungen und Beobachtungen fragen, ſo muß man ſie fragen wie Herr Newton, auf eine ſo gewandte und dringende Weiſe.“
Die Ausdruͤcke gewandt und dringend ſind recht wohl angebracht, um die Newtoniſche kuͤnſtliche Behandlungsweiſe auszudruͤcken. Die engliſchen Lobred- ner ſprechen gar von nice Experiments, welches Bey- wort alles was genau und ſtreng, ſcharf, ja ſpitzfuͤn- dig, behutſam, vorſichtig, bedenklich, gewiſſenhaft und puͤnctlich bis zur Uebertreibung und Kleinlichkeit ein- ſchließt. Wir koͤnnen aber ganz kuͤhnlich ſagen: die Experimente ſind einſeitig, man laͤßt den Zuſchauer nicht alles ſehen, am wenigſten das, worauf es eigent- lich ankommt; ſie ſind unnoͤthig umſtaͤndlich, wodurch die Aufmerkſamkeit zerſtreut wird; ſie ſind complicirt, wodurch ſie ſich der Beurtheilung entziehen und alſo durchaus taſchenſpieleriſch.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0539"n="505"/>
liefert der Kunſt ſich in der Experimentalphiloſophie<lb/>
zu benehmen.“</p><lb/><p>Was man ſich unter Experimentalphiloſophie ge-<lb/>
dacht, iſt oben ſchon ausgefuͤhrt, ſo wie wir auch ge-<lb/>
hoͤrigen Orts dargethan haben, daß man nie verkehr-<lb/>
ter zu Werke gegangen iſt, um eine Theorie auf Ex-<lb/>
perimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experi-<lb/>
mente an eine Theorie anzuſchließen.</p><lb/><p>„Will man die Natur durch Erfahrungen und<lb/>
Beobachtungen fragen, ſo muß man ſie fragen wie<lb/>
Herr Newton, auf eine ſo gewandte und dringende<lb/>
Weiſe.“</p><lb/><p>Die Ausdruͤcke <hirendition="#g">gewandt</hi> und <hirendition="#g">dringend</hi>ſind<lb/>
recht wohl angebracht, um die Newtoniſche kuͤnſtliche<lb/>
Behandlungsweiſe auszudruͤcken. Die engliſchen Lobred-<lb/>
ner ſprechen gar von <hirendition="#aq">nice Experiments,</hi> welches Bey-<lb/>
wort alles was genau und ſtreng, ſcharf, ja ſpitzfuͤn-<lb/>
dig, behutſam, vorſichtig, bedenklich, gewiſſenhaft und<lb/>
puͤnctlich bis zur Uebertreibung und Kleinlichkeit ein-<lb/>ſchließt. Wir koͤnnen aber ganz kuͤhnlich ſagen: die<lb/>
Experimente ſind einſeitig, man laͤßt den Zuſchauer<lb/>
nicht alles ſehen, am wenigſten das, worauf es eigent-<lb/>
lich ankommt; ſie ſind unnoͤthig umſtaͤndlich, wodurch<lb/>
die Aufmerkſamkeit zerſtreut wird; ſie ſind complicirt,<lb/>
wodurch ſie ſich der Beurtheilung entziehen und alſo<lb/>
durchaus taſchenſpieleriſch.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[505/0539]
liefert der Kunſt ſich in der Experimentalphiloſophie
zu benehmen.“
Was man ſich unter Experimentalphiloſophie ge-
dacht, iſt oben ſchon ausgefuͤhrt, ſo wie wir auch ge-
hoͤrigen Orts dargethan haben, daß man nie verkehr-
ter zu Werke gegangen iſt, um eine Theorie auf Ex-
perimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experi-
mente an eine Theorie anzuſchließen.
„Will man die Natur durch Erfahrungen und
Beobachtungen fragen, ſo muß man ſie fragen wie
Herr Newton, auf eine ſo gewandte und dringende
Weiſe.“
Die Ausdruͤcke gewandt und dringend ſind
recht wohl angebracht, um die Newtoniſche kuͤnſtliche
Behandlungsweiſe auszudruͤcken. Die engliſchen Lobred-
ner ſprechen gar von nice Experiments, welches Bey-
wort alles was genau und ſtreng, ſcharf, ja ſpitzfuͤn-
dig, behutſam, vorſichtig, bedenklich, gewiſſenhaft und
puͤnctlich bis zur Uebertreibung und Kleinlichkeit ein-
ſchließt. Wir koͤnnen aber ganz kuͤhnlich ſagen: die
Experimente ſind einſeitig, man laͤßt den Zuſchauer
nicht alles ſehen, am wenigſten das, worauf es eigent-
lich ankommt; ſie ſind unnoͤthig umſtaͤndlich, wodurch
die Aufmerkſamkeit zerſtreut wird; ſie ſind complicirt,
wodurch ſie ſich der Beurtheilung entziehen und alſo
durchaus taſchenſpieleriſch.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/539>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.