[ - 1 Zeichen fehlt]an und dessen Einrichtung betreffend, popularisiren mußte.
Dem Redner kommt es auf den Werth, die Würde, die Vollständigkeit, ja die Wahrheit seines Gegenstandes nicht an; die Hauptfrage ist, ob er in- teressant sey, oder interessant gemacht werde. Die Wissenschaft selbst kann durch eine solche Behandlung wohl nicht gewinnen, wie wir auch in neuerer Zeit durch das Feminisiren und Infantisiren so mancher höhe- ren und profunderen Materie gesehen haben. Dasje- nige wovon das Publicum hört, daß man sich damit in den Werkstätten, in den Studirzimmern der Gelehr- ten beschäftige, das will es auch näher kennen lernen, um nicht ganz albern zuzusehen, wenn die Wissenden davon sich laut unterhalten. Darum beschäftigen sich so viele Redigirende, Epitomisirende, Ausziehende, Ur- theilende, Vorurtheilende; die launigen Schriftsteller verfehlen nicht, Seitenblicke dahin zu thun; der Co- mödienschreiber scheut sich nicht, das Ehrwürdige auf dem Theater zu verspotten, wobey die Menge immer am freysten Athem holt, weil sie fühlt, daß sie et- was Edles, etwas Bedeutendes los ist, und daß sie vor dem was andre für wichtig halten, keine Ehr- furcht zu haben braucht.
Zu Fontenelle's Zeiten war dieses Alles erst im Werden. Es läßt sich aber schon bemerken, daß Irr- thum und Wahrheit, so wie sie im Gange waren, von guten Köpfen ausgebreitet, und eins wie das
Dem Redner kommt es auf den Werth, die Wuͤrde, die Vollſtaͤndigkeit, ja die Wahrheit ſeines Gegenſtandes nicht an; die Hauptfrage iſt, ob er in- tereſſant ſey, oder intereſſant gemacht werde. Die Wiſſenſchaft ſelbſt kann durch eine ſolche Behandlung wohl nicht gewinnen, wie wir auch in neuerer Zeit durch das Feminiſiren und Infantiſiren ſo mancher hoͤhe- ren und profunderen Materie geſehen haben. Dasje- nige wovon das Publicum hoͤrt, daß man ſich damit in den Werkſtaͤtten, in den Studirzimmern der Gelehr- ten beſchaͤftige, das will es auch naͤher kennen lernen, um nicht ganz albern zuzuſehen, wenn die Wiſſenden davon ſich laut unterhalten. Darum beſchaͤftigen ſich ſo viele Redigirende, Epitomiſirende, Ausziehende, Ur- theilende, Vorurtheilende; die launigen Schriftſteller verfehlen nicht, Seitenblicke dahin zu thun; der Co- moͤdienſchreiber ſcheut ſich nicht, das Ehrwuͤrdige auf dem Theater zu verſpotten, wobey die Menge immer am freyſten Athem holt, weil ſie fuͤhlt, daß ſie et- was Edles, etwas Bedeutendes los iſt, und daß ſie vor dem was andre fuͤr wichtig halten, keine Ehr- furcht zu haben braucht.
Zu Fontenelle’s Zeiten war dieſes Alles erſt im Werden. Es laͤßt ſich aber ſchon bemerken, daß Irr- thum und Wahrheit, ſo wie ſie im Gange waren, von guten Koͤpfen ausgebreitet, und eins wie das
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_an und deſſen Einrichtung betreffend, populariſiren
mußte.
Dem Redner kommt es auf den Werth, die
Wuͤrde, die Vollſtaͤndigkeit, ja die Wahrheit ſeines
Gegenſtandes nicht an; die Hauptfrage iſt, ob er in-
tereſſant ſey, oder intereſſant gemacht werde. Die
Wiſſenſchaft ſelbſt kann durch eine ſolche Behandlung
wohl nicht gewinnen, wie wir auch in neuerer Zeit
durch das Feminiſiren und Infantiſiren ſo mancher hoͤhe-
ren und profunderen Materie geſehen haben. Dasje-
nige wovon das Publicum hoͤrt, daß man ſich damit
in den Werkſtaͤtten, in den Studirzimmern der Gelehr-
ten beſchaͤftige, das will es auch naͤher kennen lernen,
um nicht ganz albern zuzuſehen, wenn die Wiſſenden
davon ſich laut unterhalten. Darum beſchaͤftigen ſich
ſo viele Redigirende, Epitomiſirende, Ausziehende, Ur-
theilende, Vorurtheilende; die launigen Schriftſteller
verfehlen nicht, Seitenblicke dahin zu thun; der Co-
moͤdienſchreiber ſcheut ſich nicht, das Ehrwuͤrdige auf
dem Theater zu verſpotten, wobey die Menge immer
am freyſten Athem holt, weil ſie fuͤhlt, daß ſie et-
was Edles, etwas Bedeutendes los iſt, und daß ſie
vor dem was andre fuͤr wichtig halten, keine Ehr-
furcht zu haben braucht.
Zu Fontenelle’s Zeiten war dieſes Alles erſt im
Werden. Es laͤßt ſich aber ſchon bemerken, daß Irr-
thum und Wahrheit, ſo wie ſie im Gange waren,
von guten Koͤpfen ausgebreitet, und eins wie das
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/532>, abgerufen am 22.11.2024.
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