Vier und zwanzigstes Kapitel. Die Farben seyen kein Licht, und woher sie entspringen.
"Daß also einige Körper durchsichtig, andre aber opak erscheinen, dieses rührt von nichts anderm als von der Beymischung der Farbe her. Wenn es keine Farben gäbe, so würde alles durchsichtig oder weiß aussehen. Es gibt keinen Körper, er sey flüssig oder fest und dicht, der nicht sogleich durchsichtig würde, sobald man die Farbe von ihm trennt. Daher ist die Meynung derer nicht richtig, welche die Farbe ein mo- dificirtes Licht nennen, da dem Lichte nichts so entge- gen ist als die Farbe. Wenn die Farben Licht in sich hätten, so würden sie auch des Nachts leuchten, wel- ches doch nicht der Fall ist."
"Ursache und Ursprung der Farben daher kommt allein von dem Feuer oder der Wärme. Wir können dieses daran sehen, daß in kalten Gegenden alles weiß ist, ja selbst die Thiere weiß werden, besonders im Win- ter. Die Weiße aber ist mehr der Anfang der Farben als Farbe selbst."
"An heißen Orten hingegen findet sich die ganze Mannigfaltigkeit der Farben. Was auch die Sonne mit ihren günstigen Strahlen bescheint, dieses nimmt sogleich eine angenehme und erfreuliche Färbung an. Findet sich auch in kalten Gegenden manchmal etwas gefärbtes, so ist es doch nur selten und schwach, und
Vier und zwanzigſtes Kapitel. Die Farben ſeyen kein Licht, und woher ſie entſpringen.
„Daß alſo einige Koͤrper durchſichtig, andre aber opak erſcheinen, dieſes ruͤhrt von nichts anderm als von der Beymiſchung der Farbe her. Wenn es keine Farben gaͤbe, ſo wuͤrde alles durchſichtig oder weiß ausſehen. Es gibt keinen Koͤrper, er ſey fluͤſſig oder feſt und dicht, der nicht ſogleich durchſichtig wuͤrde, ſobald man die Farbe von ihm trennt. Daher iſt die Meynung derer nicht richtig, welche die Farbe ein mo- dificirtes Licht nennen, da dem Lichte nichts ſo entge- gen iſt als die Farbe. Wenn die Farben Licht in ſich haͤtten, ſo wuͤrden ſie auch des Nachts leuchten, wel- ches doch nicht der Fall iſt.“
„Urſache und Urſprung der Farben daher kommt allein von dem Feuer oder der Waͤrme. Wir koͤnnen dieſes daran ſehen, daß in kalten Gegenden alles weiß iſt, ja ſelbſt die Thiere weiß werden, beſonders im Win- ter. Die Weiße aber iſt mehr der Anfang der Farben als Farbe ſelbſt.“
„An heißen Orten hingegen findet ſich die ganze Mannigfaltigkeit der Farben. Was auch die Sonne mit ihren guͤnſtigen Strahlen beſcheint, dieſes nimmt ſogleich eine angenehme und erfreuliche Faͤrbung an. Findet ſich auch in kalten Gegenden manchmal etwas gefaͤrbtes, ſo iſt es doch nur ſelten und ſchwach, und
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Vier und zwanzigſtes Kapitel.
Die Farben ſeyen kein Licht, und woher ſie
entſpringen.
„Daß alſo einige Koͤrper durchſichtig, andre aber
opak erſcheinen, dieſes ruͤhrt von nichts anderm als
von der Beymiſchung der Farbe her. Wenn es keine
Farben gaͤbe, ſo wuͤrde alles durchſichtig oder weiß
ausſehen. Es gibt keinen Koͤrper, er ſey fluͤſſig oder
feſt und dicht, der nicht ſogleich durchſichtig wuͤrde,
ſobald man die Farbe von ihm trennt. Daher iſt die
Meynung derer nicht richtig, welche die Farbe ein mo-
dificirtes Licht nennen, da dem Lichte nichts ſo entge-
gen iſt als die Farbe. Wenn die Farben Licht in ſich
haͤtten, ſo wuͤrden ſie auch des Nachts leuchten, wel-
ches doch nicht der Fall iſt.“
„Urſache und Urſprung der Farben daher kommt
allein von dem Feuer oder der Waͤrme. Wir koͤnnen
dieſes daran ſehen, daß in kalten Gegenden alles weiß
iſt, ja ſelbſt die Thiere weiß werden, beſonders im Win-
ter. Die Weiße aber iſt mehr der Anfang der Farben
als Farbe ſelbſt.“
„An heißen Orten hingegen findet ſich die ganze
Mannigfaltigkeit der Farben. Was auch die Sonne
mit ihren guͤnſtigen Strahlen beſcheint, dieſes nimmt
ſogleich eine angenehme und erfreuliche Faͤrbung an.
Findet ſich auch in kalten Gegenden manchmal etwas
gefaͤrbtes, ſo iſt es doch nur ſelten und ſchwach, und
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/331>, abgerufen am 23.11.2024.
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