Prag. Bey allen seinen Verdiensten, die von seinen gleichzeitigen Landsleuten höchlich geschätzt wurden, fehlte es ihm doch eigentlich, soviel wir ihn beurthei- len können, an Klarheit und durchdringendem Sinn. Sein Werk, das uns hier besonders angeht, Thauman- tias, Liber de arcu coelesti, deque Colorum ap- parentium natura, ortu et causis, zeugt von dem Ernst, Fleiß und Beharrlichkeit des Verfassers; aber es hat im Ganzen etwas Trübseliges. Er ist mit den Alten noch im Streit, mit den Neuern nicht einig, und kann die Angelegenheit, mit der er sich eigentlich beschäftigt, nicht in die Enge bringen; welches freylich eine schwere Aufgabe ist, da sie nach allen Seiten hindeutet.
Einsicht in die Natur kann man ihm nicht ab- sprechen; er kennt die prismatischen Versuche sehr ge- nau; die dabey vorkommende farblose Refraction, die Färbung sowohl in objectiven als subjectiven Fällen, hat er vollständig durchgearbeitet: es mangelt ihm aber an Sonderungsgabe und Ordnungsgeist. Sein Vor- trag ist unbequem, und wenn man auch begreift, wie er auf seinem Weg, zum Zweck zu gelangen glaubte; so ist es doch ängstlich, ihm zu folgen.
Bald stellt er fremde Sätze auf, mit denen er streitet, bald seine eigenen, denen er gleichfalls op- ponirt, sodann aber sie wieder rechtfertigt, dergestalt daß nichts auseinander tritt, vielmehr eins über das andre hingeschoben wird.
Prag. Bey allen ſeinen Verdienſten, die von ſeinen gleichzeitigen Landsleuten hoͤchlich geſchaͤtzt wurden, fehlte es ihm doch eigentlich, ſoviel wir ihn beurthei- len koͤnnen, an Klarheit und durchdringendem Sinn. Sein Werk, das uns hier beſonders angeht, Thauman- tias, Liber de arcu coelesti, deque Colorum ap- parentium natura, ortu et causis, zeugt von dem Ernſt, Fleiß und Beharrlichkeit des Verfaſſers; aber es hat im Ganzen etwas Truͤbſeliges. Er iſt mit den Alten noch im Streit, mit den Neuern nicht einig, und kann die Angelegenheit, mit der er ſich eigentlich beſchaͤftigt, nicht in die Enge bringen; welches freylich eine ſchwere Aufgabe iſt, da ſie nach allen Seiten hindeutet.
Einſicht in die Natur kann man ihm nicht ab- ſprechen; er kennt die prismatiſchen Verſuche ſehr ge- nau; die dabey vorkommende farbloſe Refraction, die Faͤrbung ſowohl in objectiven als ſubjectiven Faͤllen, hat er vollſtaͤndig durchgearbeitet: es mangelt ihm aber an Sonderungsgabe und Ordnungsgeiſt. Sein Vor- trag iſt unbequem, und wenn man auch begreift, wie er auf ſeinem Weg, zum Zweck zu gelangen glaubte; ſo iſt es doch aͤngſtlich, ihm zu folgen.
Bald ſtellt er fremde Saͤtze auf, mit denen er ſtreitet, bald ſeine eigenen, denen er gleichfalls op- ponirt, ſodann aber ſie wieder rechtfertigt, dergeſtalt daß nichts auseinander tritt, vielmehr eins uͤber das andre hingeſchoben wird.
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Prag. Bey allen ſeinen Verdienſten, die von ſeinen
gleichzeitigen Landsleuten hoͤchlich geſchaͤtzt wurden,
fehlte es ihm doch eigentlich, ſoviel wir ihn beurthei-
len koͤnnen, an Klarheit und durchdringendem Sinn.
Sein Werk, das uns hier beſonders angeht, Thauman-
tias, Liber de arcu coelesti, deque Colorum ap-
parentium natura, ortu et causis, zeugt von dem
Ernſt, Fleiß und Beharrlichkeit des Verfaſſers; aber
es hat im Ganzen etwas Truͤbſeliges. Er iſt mit den
Alten noch im Streit, mit den Neuern nicht einig,
und kann die Angelegenheit, mit der er ſich eigentlich
beſchaͤftigt, nicht in die Enge bringen; welches freylich
eine ſchwere Aufgabe iſt, da ſie nach allen Seiten
hindeutet.
Einſicht in die Natur kann man ihm nicht ab-
ſprechen; er kennt die prismatiſchen Verſuche ſehr ge-
nau; die dabey vorkommende farbloſe Refraction, die
Faͤrbung ſowohl in objectiven als ſubjectiven Faͤllen,
hat er vollſtaͤndig durchgearbeitet: es mangelt ihm aber
an Sonderungsgabe und Ordnungsgeiſt. Sein Vor-
trag iſt unbequem, und wenn man auch begreift, wie
er auf ſeinem Weg, zum Zweck zu gelangen glaubte; ſo
iſt es doch aͤngſtlich, ihm zu folgen.
Bald ſtellt er fremde Saͤtze auf, mit denen er
ſtreitet, bald ſeine eigenen, denen er gleichfalls op-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/321>, abgerufen am 21.11.2024.
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