nungen zum Grunde liegt. Und ein solches Gewahr- werden ist bis ins Unendliche fruchtbar.
Galilei bildete sich unter günstigen Umständen und genoß die erste Zeit seines Lebens des wünschenswer- thesten Glückes. Er kam wie ein tüchtiger Schnitter zur reichlichsten Erndte und säumte nicht bey seinem Tagewerk. Die Fernröhre hatten einen neuen Himmel aufgethan. Viele neue Eigenschaften der Naturwesen, die uns mehr oder weniger sichtbar und greiflich um- geben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konn- te der heitere mächtige Geist Eroberungen machen. Und so ist der größte Theil seines Lebens eine Reihe von herrlichen, glänzenden Wirkungen.
Leider trübt sich der Himmel für ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Mensch seine Ueberzeugungen andern mit- zutheilen gedrängt wird. Man pflegt zu sagen, des Menschen Wille sey sein Himmelreich; noch mehr fin- det er aber seine Seligkeit in seinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Copernicanischen Systems durchdrungen enthält sich Ga- lilei nicht, diese von der Kirche, von der Schule ver- worfne Lehre, wenigstens indirect, zu bestätigen und aus- zubreiten; und beschließt sein Leben in einem traurigen Halbmärtyrerthum.
Was das Licht betrifft, so ist er geneigt es als et- was gewissermaßen materielles mittheilbares anzusehen:
nungen zum Grunde liegt. Und ein ſolches Gewahr- werden iſt bis ins Unendliche fruchtbar.
Galilei bildete ſich unter guͤnſtigen Umſtaͤnden und genoß die erſte Zeit ſeines Lebens des wuͤnſchenswer- theſten Gluͤckes. Er kam wie ein tuͤchtiger Schnitter zur reichlichſten Erndte und ſaͤumte nicht bey ſeinem Tagewerk. Die Fernroͤhre hatten einen neuen Himmel aufgethan. Viele neue Eigenſchaften der Naturweſen, die uns mehr oder weniger ſichtbar und greiflich um- geben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konn- te der heitere maͤchtige Geiſt Eroberungen machen. Und ſo iſt der groͤßte Theil ſeines Lebens eine Reihe von herrlichen, glaͤnzenden Wirkungen.
Leider truͤbt ſich der Himmel fuͤr ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Menſch ſeine Ueberzeugungen andern mit- zutheilen gedraͤngt wird. Man pflegt zu ſagen, des Menſchen Wille ſey ſein Himmelreich; noch mehr fin- det er aber ſeine Seligkeit in ſeinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Copernicaniſchen Syſtems durchdrungen enthaͤlt ſich Ga- lilei nicht, dieſe von der Kirche, von der Schule ver- worfne Lehre, wenigſtens indirect, zu beſtaͤtigen und aus- zubreiten; und beſchließt ſein Leben in einem traurigen Halbmaͤrtyrerthum.
Was das Licht betrifft, ſo iſt er geneigt es als et- was gewiſſermaßen materielles mittheilbares anzuſehen:
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nungen zum Grunde liegt. Und ein ſolches Gewahr-
werden iſt bis ins Unendliche fruchtbar.
Galilei bildete ſich unter guͤnſtigen Umſtaͤnden und
genoß die erſte Zeit ſeines Lebens des wuͤnſchenswer-
theſten Gluͤckes. Er kam wie ein tuͤchtiger Schnitter
zur reichlichſten Erndte und ſaͤumte nicht bey ſeinem
Tagewerk. Die Fernroͤhre hatten einen neuen Himmel
aufgethan. Viele neue Eigenſchaften der Naturweſen,
die uns mehr oder weniger ſichtbar und greiflich um-
geben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konn-
te der heitere maͤchtige Geiſt Eroberungen machen. Und
ſo iſt der groͤßte Theil ſeines Lebens eine Reihe von
herrlichen, glaͤnzenden Wirkungen.
Leider truͤbt ſich der Himmel fuͤr ihn gegen das
Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit
welchem der Menſch ſeine Ueberzeugungen andern mit-
zutheilen gedraͤngt wird. Man pflegt zu ſagen, des
Menſchen Wille ſey ſein Himmelreich; noch mehr fin-
det er aber ſeine Seligkeit in ſeinen Meinungen, im
Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des
Copernicaniſchen Syſtems durchdrungen enthaͤlt ſich Ga-
lilei nicht, dieſe von der Kirche, von der Schule ver-
worfne Lehre, wenigſtens indirect, zu beſtaͤtigen und aus-
zubreiten; und beſchließt ſein Leben in einem traurigen
Halbmaͤrtyrerthum.
Was das Licht betrifft, ſo iſt er geneigt es als et-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/280>, abgerufen am 23.11.2024.
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