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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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noch halb verborgen war, und weil es bey einem gro-
ßen Ernst an einer vollkommnen Einsicht in die Sache
fehlte; so entstand, was uns bey Betrachtung jener
Bemühungen irre macht und verwirrt, der seltsame
Fall, daß man verwechselte, was sich zu esoterischer
und was sich zu exoterischer Ueberlieferung qualificirt.
Man verhehlte das Gemeine und sprach das Ungemei-
ne laut, wiederhohlt und dringend aus.

Wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen,
die mancherley Arten dieses Versteckens näher zu be-
trachten. Symbolik, Allegorie, Räthsel, Attrape, Chif-
friren wurden in Uebung gesetzt. Aprehension gegen
Kunstverwandte, Marktschreyerey, Dünkel, Witz und
Geist hatten alle gleiches Interesse, sich auf diese Weise
zu üben und geltend zu machen, so daß der Gebrauch
dieser Verheimlichungskünste sehr lebhaft bis in das
siebzehnte Jahrhundert hinübergeht, und sich zum Theil
noch in den Canzleyen der Diplomatiker erhält.

Aber auch bey dieser Gelegenheit können wir nicht
umhin, unsern Roger Baco, von dem nicht genug Gu-
tes zu sagen ist, höchlich zu rühmen, daß er sich die-
ser falschen und schiefen Ueberlieferungsweise gänzlich
enthalten, so sehr, daß wir wohl behaupten können,
der Schluß seiner höchstschätzbaren Schrift de mirabili
potestate artis et naturae
gehöre nicht ihm, sondern
einem Verfälscher, der dadurch diesen kleinen Tractat
an eine Reihe alchymistischer Schriften anschließen
wollen.

noch halb verborgen war, und weil es bey einem gro-
ßen Ernſt an einer vollkommnen Einſicht in die Sache
fehlte; ſo entſtand, was uns bey Betrachtung jener
Bemuͤhungen irre macht und verwirrt, der ſeltſame
Fall, daß man verwechſelte, was ſich zu eſoteriſcher
und was ſich zu exoteriſcher Ueberlieferung qualificirt.
Man verhehlte das Gemeine und ſprach das Ungemei-
ne laut, wiederhohlt und dringend aus.

Wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen,
die mancherley Arten dieſes Verſteckens naͤher zu be-
trachten. Symbolik, Allegorie, Raͤthſel, Attrape, Chif-
friren wurden in Uebung geſetzt. Aprehenſion gegen
Kunſtverwandte, Marktſchreyerey, Duͤnkel, Witz und
Geiſt hatten alle gleiches Intereſſe, ſich auf dieſe Weiſe
zu uͤben und geltend zu machen, ſo daß der Gebrauch
dieſer Verheimlichungskuͤnſte ſehr lebhaft bis in das
ſiebzehnte Jahrhundert hinuͤbergeht, und ſich zum Theil
noch in den Canzleyen der Diplomatiker erhaͤlt.

Aber auch bey dieſer Gelegenheit koͤnnen wir nicht
umhin, unſern Roger Baco, von dem nicht genug Gu-
tes zu ſagen iſt, hoͤchlich zu ruͤhmen, daß er ſich die-
ſer falſchen und ſchiefen Ueberlieferungsweiſe gaͤnzlich
enthalten, ſo ſehr, daß wir wohl behaupten koͤnnen,
der Schluß ſeiner hoͤchſtſchaͤtzbaren Schrift de mirabili
potestate artis et naturae
gehoͤre nicht ihm, ſondern
einem Verfaͤlſcher, der dadurch dieſen kleinen Tractat
an eine Reihe alchymiſtiſcher Schriften anſchließen
wollen.

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[167/0201] noch halb verborgen war, und weil es bey einem gro- ßen Ernſt an einer vollkommnen Einſicht in die Sache fehlte; ſo entſtand, was uns bey Betrachtung jener Bemuͤhungen irre macht und verwirrt, der ſeltſame Fall, daß man verwechſelte, was ſich zu eſoteriſcher und was ſich zu exoteriſcher Ueberlieferung qualificirt. Man verhehlte das Gemeine und ſprach das Ungemei- ne laut, wiederhohlt und dringend aus. Wir werden in der Folge Gelegenheit nehmen, die mancherley Arten dieſes Verſteckens naͤher zu be- trachten. Symbolik, Allegorie, Raͤthſel, Attrape, Chif- friren wurden in Uebung geſetzt. Aprehenſion gegen Kunſtverwandte, Marktſchreyerey, Duͤnkel, Witz und Geiſt hatten alle gleiches Intereſſe, ſich auf dieſe Weiſe zu uͤben und geltend zu machen, ſo daß der Gebrauch dieſer Verheimlichungskuͤnſte ſehr lebhaft bis in das ſiebzehnte Jahrhundert hinuͤbergeht, und ſich zum Theil noch in den Canzleyen der Diplomatiker erhaͤlt. Aber auch bey dieſer Gelegenheit koͤnnen wir nicht umhin, unſern Roger Baco, von dem nicht genug Gu- tes zu ſagen iſt, hoͤchlich zu ruͤhmen, daß er ſich die- ſer falſchen und ſchiefen Ueberlieferungsweiſe gaͤnzlich enthalten, ſo ſehr, daß wir wohl behaupten koͤnnen, der Schluß ſeiner hoͤchſtſchaͤtzbaren Schrift de mirabili potestate artis et naturae gehoͤre nicht ihm, ſondern einem Verfaͤlſcher, der dadurch dieſen kleinen Tractat an eine Reihe alchymiſtiſcher Schriften anſchließen wollen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/201>, abgerufen am 23.04.2024.