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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Wie er nun zu Werke geht, die Vervielfältigung
der ursprünglichen Tugenden nach Linien, Winkeln, Fi-
guren und so fort auf mathematische Weise zu bewir-
ken, ist höchst bedeutend und erfreulich. Besonders ge-
lingt es ihm, die fortschreitende Wirkung physischer und
mechanischer Kräfte, die wachsende Mittheilung erster
Anstöße, vorzüglich auch die Rückwirkungen, auf eine
folgerechte und heitre Weise abzuleiten. So einfach
seine Maximen sind, so fruchtbar zeigen sie sich in der
Anwendung, und man begreift wohl, wie ein reines
freyes Gemüth sehr zufrieden seyn konnte, auf solche
Weise sich von himmlischen und irdischen Dingen Re-
chenschaft zu geben.

Von Farben spricht er nur gelegentlich. Auch er
setzt sie voraus und erwähnt ihrer mehr beyspielsweise
und zu Erläuterung anderer Erscheinungen, als daß er
sie selbst zu ergründen suchte. Wir könnten es also hier
bey dem Gesagten bewenden lassen. Damit aber doch
etwas geschehe, so versetzen wir uns im Geist an seine
Stelle, nehmen an, das Büchlein von Theophrast sey
ihm bekannt gewesen, was die Griechen eingesehen, sey
auch ihm zur Ueberzeugung geworden, ihm wäre nicht
entgangen, worauf es eigentlich bey der Sache ankom-
me, und so hätte er nachstehende kurze Farbenlehre,
seinen Maximen gemäß, verfassen können, die auch uns
ganz willkommen seyn würde.


Wie er nun zu Werke geht, die Vervielfaͤltigung
der urſpruͤnglichen Tugenden nach Linien, Winkeln, Fi-
guren und ſo fort auf mathematiſche Weiſe zu bewir-
ken, iſt hoͤchſt bedeutend und erfreulich. Beſonders ge-
lingt es ihm, die fortſchreitende Wirkung phyſiſcher und
mechaniſcher Kraͤfte, die wachſende Mittheilung erſter
Anſtoͤße, vorzuͤglich auch die Ruͤckwirkungen, auf eine
folgerechte und heitre Weiſe abzuleiten. So einfach
ſeine Maximen ſind, ſo fruchtbar zeigen ſie ſich in der
Anwendung, und man begreift wohl, wie ein reines
freyes Gemuͤth ſehr zufrieden ſeyn konnte, auf ſolche
Weiſe ſich von himmliſchen und irdiſchen Dingen Re-
chenſchaft zu geben.

Von Farben ſpricht er nur gelegentlich. Auch er
ſetzt ſie voraus und erwaͤhnt ihrer mehr beyſpielsweiſe
und zu Erlaͤuterung anderer Erſcheinungen, als daß er
ſie ſelbſt zu ergruͤnden ſuchte. Wir koͤnnten es alſo hier
bey dem Geſagten bewenden laſſen. Damit aber doch
etwas geſchehe, ſo verſetzen wir uns im Geiſt an ſeine
Stelle, nehmen an, das Buͤchlein von Theophraſt ſey
ihm bekannt geweſen, was die Griechen eingeſehen, ſey
auch ihm zur Ueberzeugung geworden, ihm waͤre nicht
entgangen, worauf es eigentlich bey der Sache ankom-
me, und ſo haͤtte er nachſtehende kurze Farbenlehre,
ſeinen Maximen gemaͤß, verfaſſen koͤnnen, die auch uns
ganz willkommen ſeyn wuͤrde.


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[155/0189] Wie er nun zu Werke geht, die Vervielfaͤltigung der urſpruͤnglichen Tugenden nach Linien, Winkeln, Fi- guren und ſo fort auf mathematiſche Weiſe zu bewir- ken, iſt hoͤchſt bedeutend und erfreulich. Beſonders ge- lingt es ihm, die fortſchreitende Wirkung phyſiſcher und mechaniſcher Kraͤfte, die wachſende Mittheilung erſter Anſtoͤße, vorzuͤglich auch die Ruͤckwirkungen, auf eine folgerechte und heitre Weiſe abzuleiten. So einfach ſeine Maximen ſind, ſo fruchtbar zeigen ſie ſich in der Anwendung, und man begreift wohl, wie ein reines freyes Gemuͤth ſehr zufrieden ſeyn konnte, auf ſolche Weiſe ſich von himmliſchen und irdiſchen Dingen Re- chenſchaft zu geben. Von Farben ſpricht er nur gelegentlich. Auch er ſetzt ſie voraus und erwaͤhnt ihrer mehr beyſpielsweiſe und zu Erlaͤuterung anderer Erſcheinungen, als daß er ſie ſelbſt zu ergruͤnden ſuchte. Wir koͤnnten es alſo hier bey dem Geſagten bewenden laſſen. Damit aber doch etwas geſchehe, ſo verſetzen wir uns im Geiſt an ſeine Stelle, nehmen an, das Buͤchlein von Theophraſt ſey ihm bekannt geweſen, was die Griechen eingeſehen, ſey auch ihm zur Ueberzeugung geworden, ihm waͤre nicht entgangen, worauf es eigentlich bey der Sache ankom- me, und ſo haͤtte er nachſtehende kurze Farbenlehre, ſeinen Maximen gemaͤß, verfaſſen koͤnnen, die auch uns ganz willkommen ſeyn wuͤrde.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/189>, abgerufen am 29.03.2024.