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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Fruchtlos würde die Bemühung ohne Zweifel aus-
fallen, wenn Jemand unternehmen wollte, die Zeit
bestimmt auszumitteln, wann eigentlich bey den Grie-
chen die ersten Anfänge der Malerey statt gehabt.
Die Namen Philocles, Cleanthes, Ardices, Tele-
phanes, welche Plinius den Erfindern beylegt, mö-
gen wohl nur bloße Namen seyn, so wie alles, was
er über das Alter der bildenden Kunst in Griechenland
und Italien vorgebracht, aus ungewissen, widerspre-
chenden Nachrichten zusammengetragen ist.

Das Einzige läßt sich mit Gewißheit behaupten,
daß die ersten Versuche der Malerey in sehr entfernte
Zeiten fallen. Und wenn man gleich anfänglich schon
einige Lebhaftigkeit des Kunstbetriebs annehmen dürfte,
so müßte die Plastik selbst nicht beträchtlich älter seyn.
Doch ist nicht zu läugnen, daß ihre Erfindung oder
erste Uebung dem Menschen leichter als die der Ma-
lerey fallen mochte, und daß man jene immer als die
ältere, diese als die nachgeborne jüngere Schwester
wird erkennen müssen.

Wir schreiten in unsern Betrachtungen weiter fort
und finden einen Eumarus, der den Ruhm erwarb,
zuerst in seinen Darstellungen die männlichen von den
weiblichen Figuren unterschieden zu haben. Dieses
scheint mehr von Verbesserung und Berichtigung der
Gestalt oder der Zeichnung, als von Verfeinerung des
Colorits auszulegen.

Dieser, und Cimon von Cleone erweiterten die

Fruchtlos wuͤrde die Bemuͤhung ohne Zweifel aus-
fallen, wenn Jemand unternehmen wollte, die Zeit
beſtimmt auszumitteln, wann eigentlich bey den Grie-
chen die erſten Anfaͤnge der Malerey ſtatt gehabt.
Die Namen Philocles, Cleanthes, Ardices, Tele-
phanes, welche Plinius den Erfindern beylegt, moͤ-
gen wohl nur bloße Namen ſeyn, ſo wie alles, was
er uͤber das Alter der bildenden Kunſt in Griechenland
und Italien vorgebracht, aus ungewiſſen, widerſpre-
chenden Nachrichten zuſammengetragen iſt.

Das Einzige laͤßt ſich mit Gewißheit behaupten,
daß die erſten Verſuche der Malerey in ſehr entfernte
Zeiten fallen. Und wenn man gleich anfaͤnglich ſchon
einige Lebhaftigkeit des Kunſtbetriebs annehmen duͤrfte,
ſo muͤßte die Plaſtik ſelbſt nicht betraͤchtlich aͤlter ſeyn.
Doch iſt nicht zu laͤugnen, daß ihre Erfindung oder
erſte Uebung dem Menſchen leichter als die der Ma-
lerey fallen mochte, und daß man jene immer als die
aͤltere, dieſe als die nachgeborne juͤngere Schweſter
wird erkennen muͤſſen.

Wir ſchreiten in unſern Betrachtungen weiter fort
und finden einen Eumarus, der den Ruhm erwarb,
zuerſt in ſeinen Darſtellungen die maͤnnlichen von den
weiblichen Figuren unterſchieden zu haben. Dieſes
ſcheint mehr von Verbeſſerung und Berichtigung der
Geſtalt oder der Zeichnung, als von Verfeinerung des
Colorits auszulegen.

Dieſer, und Cimon von Cleone erweiterten die

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[73/0107] Fruchtlos wuͤrde die Bemuͤhung ohne Zweifel aus- fallen, wenn Jemand unternehmen wollte, die Zeit beſtimmt auszumitteln, wann eigentlich bey den Grie- chen die erſten Anfaͤnge der Malerey ſtatt gehabt. Die Namen Philocles, Cleanthes, Ardices, Tele- phanes, welche Plinius den Erfindern beylegt, moͤ- gen wohl nur bloße Namen ſeyn, ſo wie alles, was er uͤber das Alter der bildenden Kunſt in Griechenland und Italien vorgebracht, aus ungewiſſen, widerſpre- chenden Nachrichten zuſammengetragen iſt. Das Einzige laͤßt ſich mit Gewißheit behaupten, daß die erſten Verſuche der Malerey in ſehr entfernte Zeiten fallen. Und wenn man gleich anfaͤnglich ſchon einige Lebhaftigkeit des Kunſtbetriebs annehmen duͤrfte, ſo muͤßte die Plaſtik ſelbſt nicht betraͤchtlich aͤlter ſeyn. Doch iſt nicht zu laͤugnen, daß ihre Erfindung oder erſte Uebung dem Menſchen leichter als die der Ma- lerey fallen mochte, und daß man jene immer als die aͤltere, dieſe als die nachgeborne juͤngere Schweſter wird erkennen muͤſſen. Wir ſchreiten in unſern Betrachtungen weiter fort und finden einen Eumarus, der den Ruhm erwarb, zuerſt in ſeinen Darſtellungen die maͤnnlichen von den weiblichen Figuren unterſchieden zu haben. Dieſes ſcheint mehr von Verbeſſerung und Berichtigung der Geſtalt oder der Zeichnung, als von Verfeinerung des Colorits auszulegen. Dieſer, und Cimon von Cleone erweiterten die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/107>, abgerufen am 16.04.2024.