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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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uns beliebte. Es zeigte sich, daß es ein physiologisches
Farbenphänomen, und der scheinbare Blitz eigentlich
das Scheinbild der Blume, in der geforderten blaugrü-
nen Farbe sey.

Wenn man eine Blume gerad ansieht, so kommt
die Erscheinung nicht hervor; doch müßte es auch ge-
schehen, sobald man mit dem Blick wankte. Schielt
man aber mit dem Augenwinkel hin, so entsteht eine
momentane Doppelerscheinung, bey welcher das Schein-
bild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt
wird.

Die Dämmerung ist Ursache, daß das Auge völlig
ausgeruht und empfänglich ist, und die Farbe des
Mohns ist mächtig genug, bey einer Sommerdämme-
rung der längsten Tage, noch vollkommen zu wirken
und ein gefordertes Bild hervorzurufen.

Ich bin überzeugt, daß man diese Erscheinung zum
Versuche erheben und den gleichen Effect durch Papier-
blumen hervorbringen könnte.

Will man indessen sich auf die Erfahrung in der
Natur vorbereiten, so gewöhne man sich, indem man
durch den Garten geht, die farbigen Blumen scharf an-
zusehen und sogleich auf den Sandweg hinzublicken;
man wird diesen alsdann mit Flecken der entgegenge-
setzten Farbe bestreut sehen. Diese Erfahrung glückt
bey bedecktem Himmel, aber auch selbst beym hellsten
Sonnenschein, der, indem er die Farbe der Blume er-
höht, sie fähig macht die geforderte Farbe mächtig genug
hervorzubringen, daß sie selbst bey einem blendenden
Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Päo-

uns beliebte. Es zeigte ſich, daß es ein phyſiologiſches
Farbenphaͤnomen, und der ſcheinbare Blitz eigentlich
das Scheinbild der Blume, in der geforderten blaugruͤ-
nen Farbe ſey.

Wenn man eine Blume gerad anſieht, ſo kommt
die Erſcheinung nicht hervor; doch muͤßte es auch ge-
ſchehen, ſobald man mit dem Blick wankte. Schielt
man aber mit dem Augenwinkel hin, ſo entſteht eine
momentane Doppelerſcheinung, bey welcher das Schein-
bild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt
wird.

Die Daͤmmerung iſt Urſache, daß das Auge voͤllig
ausgeruht und empfaͤnglich iſt, und die Farbe des
Mohns iſt maͤchtig genug, bey einer Sommerdaͤmme-
rung der laͤngſten Tage, noch vollkommen zu wirken
und ein gefordertes Bild hervorzurufen.

Ich bin uͤberzeugt, daß man dieſe Erſcheinung zum
Verſuche erheben und den gleichen Effect durch Papier-
blumen hervorbringen koͤnnte.

Will man indeſſen ſich auf die Erfahrung in der
Natur vorbereiten, ſo gewoͤhne man ſich, indem man
durch den Garten geht, die farbigen Blumen ſcharf an-
zuſehen und ſogleich auf den Sandweg hinzublicken;
man wird dieſen alsdann mit Flecken der entgegenge-
ſetzten Farbe beſtreut ſehen. Dieſe Erfahrung gluͤckt
bey bedecktem Himmel, aber auch ſelbſt beym hellſten
Sonnenſchein, der, indem er die Farbe der Blume er-
hoͤht, ſie faͤhig macht die geforderte Farbe maͤchtig genug
hervorzubringen, daß ſie ſelbſt bey einem blendenden
Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Paͤo-

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[22/0076] uns beliebte. Es zeigte ſich, daß es ein phyſiologiſches Farbenphaͤnomen, und der ſcheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume, in der geforderten blaugruͤ- nen Farbe ſey. Wenn man eine Blume gerad anſieht, ſo kommt die Erſcheinung nicht hervor; doch muͤßte es auch ge- ſchehen, ſobald man mit dem Blick wankte. Schielt man aber mit dem Augenwinkel hin, ſo entſteht eine momentane Doppelerſcheinung, bey welcher das Schein- bild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt wird. Die Daͤmmerung iſt Urſache, daß das Auge voͤllig ausgeruht und empfaͤnglich iſt, und die Farbe des Mohns iſt maͤchtig genug, bey einer Sommerdaͤmme- rung der laͤngſten Tage, noch vollkommen zu wirken und ein gefordertes Bild hervorzurufen. Ich bin uͤberzeugt, daß man dieſe Erſcheinung zum Verſuche erheben und den gleichen Effect durch Papier- blumen hervorbringen koͤnnte. Will man indeſſen ſich auf die Erfahrung in der Natur vorbereiten, ſo gewoͤhne man ſich, indem man durch den Garten geht, die farbigen Blumen ſcharf an- zuſehen und ſogleich auf den Sandweg hinzublicken; man wird dieſen alsdann mit Flecken der entgegenge- ſetzten Farbe beſtreut ſehen. Dieſe Erfahrung gluͤckt bey bedecktem Himmel, aber auch ſelbſt beym hellſten Sonnenſchein, der, indem er die Farbe der Blume er- hoͤht, ſie faͤhig macht die geforderte Farbe maͤchtig genug hervorzubringen, daß ſie ſelbſt bey einem blendenden Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Paͤo-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/76>, abgerufen am 27.04.2024.