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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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48.

Wie von den farblosen Bildern, so bleibt auch
von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns
die zur Opposition aufgeforderte, und durch den Gegen-
satz eine Totalität hervorbringende Lebendigkeit der
Netzhaut anschaulicher wird.

49.

Man halte ein kleines Stück lebhaft farbigen Pa-
piers, oder seidnen Zeuges, vor eine mäßig erleuchtete
weiße Tafel, schaue unverwandt auf die kleine farbige
Fläche und hebe sie, ohne das Auge zu verrücken, nach
einiger Zeit hinweg; so wird das Spectrum einer an-
dern Farbe auf der weißen Tafel zu sehen seyn. Man
kann auch das farbige Papier an seinem Orte lassen,
und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen
Tafel hinblicken; so wird jene farbige Erscheinung sich
auch dort sehen lassen: denn sie entspringt aus einem
Bilde, das nunmehr dem Auge angehört.

50.

Um in der Kürze zu bemerken, welche Farben
denn eigentlich durch diesen Gegensatz hervorgerufen
werden, bediene man sich des illuminirten Farbenkrei-
ses unserer Tafeln, der überhaupt naturgemäß einge-
richtet ist, und auch hier seine guten Dienste leistet,
indem die in demselben diametral einander entgegenge-
setzten Farben diejenigen sind, welche sich im Auge
wechselsweise fordern. So fordert Gelb das Violette,
Orange das Blaue, Purpur das Grüne, und umgekehrt.

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48.

Wie von den farbloſen Bildern, ſo bleibt auch
von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns
die zur Oppoſition aufgeforderte, und durch den Gegen-
ſatz eine Totalitaͤt hervorbringende Lebendigkeit der
Netzhaut anſchaulicher wird.

49.

Man halte ein kleines Stuͤck lebhaft farbigen Pa-
piers, oder ſeidnen Zeuges, vor eine maͤßig erleuchtete
weiße Tafel, ſchaue unverwandt auf die kleine farbige
Flaͤche und hebe ſie, ohne das Auge zu verruͤcken, nach
einiger Zeit hinweg; ſo wird das Spectrum einer an-
dern Farbe auf der weißen Tafel zu ſehen ſeyn. Man
kann auch das farbige Papier an ſeinem Orte laſſen,
und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen
Tafel hinblicken; ſo wird jene farbige Erſcheinung ſich
auch dort ſehen laſſen: denn ſie entſpringt aus einem
Bilde, das nunmehr dem Auge angehoͤrt.

50.

Um in der Kuͤrze zu bemerken, welche Farben
denn eigentlich durch dieſen Gegenſatz hervorgerufen
werden, bediene man ſich des illuminirten Farbenkrei-
ſes unſerer Tafeln, der uͤberhaupt naturgemaͤß einge-
richtet iſt, und auch hier ſeine guten Dienſte leiſtet,
indem die in demſelben diametral einander entgegenge-
ſetzten Farben diejenigen ſind, welche ſich im Auge
wechſelsweiſe fordern. So fordert Gelb das Violette,
Orange das Blaue, Purpur das Gruͤne, und umgekehrt.

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[19/0073] 48. Wie von den farbloſen Bildern, ſo bleibt auch von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns die zur Oppoſition aufgeforderte, und durch den Gegen- ſatz eine Totalitaͤt hervorbringende Lebendigkeit der Netzhaut anſchaulicher wird. 49. Man halte ein kleines Stuͤck lebhaft farbigen Pa- piers, oder ſeidnen Zeuges, vor eine maͤßig erleuchtete weiße Tafel, ſchaue unverwandt auf die kleine farbige Flaͤche und hebe ſie, ohne das Auge zu verruͤcken, nach einiger Zeit hinweg; ſo wird das Spectrum einer an- dern Farbe auf der weißen Tafel zu ſehen ſeyn. Man kann auch das farbige Papier an ſeinem Orte laſſen, und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen Tafel hinblicken; ſo wird jene farbige Erſcheinung ſich auch dort ſehen laſſen: denn ſie entſpringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehoͤrt. 50. Um in der Kuͤrze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch dieſen Gegenſatz hervorgerufen werden, bediene man ſich des illuminirten Farbenkrei- ſes unſerer Tafeln, der uͤberhaupt naturgemaͤß einge- richtet iſt, und auch hier ſeine guten Dienſte leiſtet, indem die in demſelben diametral einander entgegenge- ſetzten Farben diejenigen ſind, welche ſich im Auge wechſelsweiſe fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Gruͤne, und umgekehrt. 2 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/73>, abgerufen am 28.04.2024.