Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

nur unsere Behandlung des ersten Buches bey den fol-
genden wiederholen.

Blicken wir nun auf unsre Arbeit zurück, so wünsch-
ten wir wohl in dem Falle jenes Cardinals zu seyn,
der seine Schriften ins Concept drucken ließ. Wir wür-
den alsdann noch manches nachzuholen und zu bessern
Ursache finden. Besonders würden wir vielleicht einige
heftige Ansdrücke mildern, welche den Gegner auf-
bringen, dem Gleichgültigen verdrießlich sind und die
der Freund wenigstens verzeihen muß. Allein wir be-
denken zu unserer Beruhigung, daß diese ganze Arbeit
mitten in dem heftigsten Kriege der unser Vaterland er-
schütterte, unternommen und vollendet wurde. Das
Gewaltsame der Zeit dringt leider bis in die friedli-
chen Wohnungen der Musen, und die Sitten der Men-
schen werden durch die nächsten Beyspiele, wo nicht
bestimmt, doch modificirt. Wir haben mehrere Jahre
erlebt und gesehen, daß es im Conflict von Meynungen
und Thaten nicht darauf ankommt seinen Gegner zu
schonen, sondern ihn zu überwinden; daß Niemand
sich aus seinem Vortheil herausschmeicheln oder heraus-
complimentiren läßt, sondern daß er, wenn es ja
nicht anders seyn kann, wenigstens herausgeworfen
seyn will. Hartnäckiger als die Newtonische Partey
hat sich kaum eine in der Geschichte der Wissenschaften
bewiesen. Sie hat manchem wahrheitsliebenden Man-
ne das Leben verkümmert, sie hat auch mir eine fro-
here und vortheilhaftere Benutzung mehrerer Jahre ge-
raubt: man verzeihe mir daher, wenn ich von ihr

nur unſere Behandlung des erſten Buches bey den fol-
genden wiederholen.

Blicken wir nun auf unſre Arbeit zuruͤck, ſo wuͤnſch-
ten wir wohl in dem Falle jenes Cardinals zu ſeyn,
der ſeine Schriften ins Concept drucken ließ. Wir wuͤr-
den alsdann noch manches nachzuholen und zu beſſern
Urſache finden. Beſonders wuͤrden wir vielleicht einige
heftige Ansdruͤcke mildern, welche den Gegner auf-
bringen, dem Gleichguͤltigen verdrießlich ſind und die
der Freund wenigſtens verzeihen muß. Allein wir be-
denken zu unſerer Beruhigung, daß dieſe ganze Arbeit
mitten in dem heftigſten Kriege der unſer Vaterland er-
ſchuͤtterte, unternommen und vollendet wurde. Das
Gewaltſame der Zeit dringt leider bis in die friedli-
chen Wohnungen der Muſen, und die Sitten der Men-
ſchen werden durch die naͤchſten Beyſpiele, wo nicht
beſtimmt, doch modificirt. Wir haben mehrere Jahre
erlebt und geſehen, daß es im Conflict von Meynungen
und Thaten nicht darauf ankommt ſeinen Gegner zu
ſchonen, ſondern ihn zu uͤberwinden; daß Niemand
ſich aus ſeinem Vortheil herausſchmeicheln oder heraus-
complimentiren laͤßt, ſondern daß er, wenn es ja
nicht anders ſeyn kann, wenigſtens herausgeworfen
ſeyn will. Hartnaͤckiger als die Newtoniſche Partey
hat ſich kaum eine in der Geſchichte der Wiſſenſchaften
bewieſen. Sie hat manchem wahrheitsliebenden Man-
ne das Leben verkuͤmmert, ſie hat auch mir eine fro-
here und vortheilhaftere Benutzung mehrerer Jahre ge-
raubt: man verzeihe mir daher, wenn ich von ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0702" n="648"/>
nur un&#x017F;ere Behandlung des er&#x017F;ten Buches bey den fol-<lb/>
genden wiederholen.</p><lb/>
          <p>Blicken wir nun auf un&#x017F;re Arbeit zuru&#x0364;ck, &#x017F;o wu&#x0364;n&#x017F;ch-<lb/>
ten wir wohl in dem Falle jenes Cardinals zu &#x017F;eyn,<lb/>
der &#x017F;eine Schriften ins Concept drucken ließ. Wir wu&#x0364;r-<lb/>
den alsdann noch manches nachzuholen und zu be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
Ur&#x017F;ache finden. Be&#x017F;onders wu&#x0364;rden wir vielleicht einige<lb/>
heftige Ansdru&#x0364;cke mildern, welche den Gegner auf-<lb/>
bringen, dem Gleichgu&#x0364;ltigen verdrießlich &#x017F;ind und die<lb/>
der Freund wenig&#x017F;tens verzeihen muß. Allein wir be-<lb/>
denken zu un&#x017F;erer Beruhigung, daß die&#x017F;e ganze Arbeit<lb/>
mitten in dem heftig&#x017F;ten Kriege der un&#x017F;er Vaterland er-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tterte, unternommen und vollendet wurde. Das<lb/>
Gewalt&#x017F;ame der Zeit dringt leider bis in die friedli-<lb/>
chen Wohnungen der Mu&#x017F;en, und die Sitten der Men-<lb/>
&#x017F;chen werden durch die na&#x0364;ch&#x017F;ten Bey&#x017F;piele, wo nicht<lb/>
be&#x017F;timmt, doch modificirt. Wir haben mehrere Jahre<lb/>
erlebt und ge&#x017F;ehen, daß es im Conflict von Meynungen<lb/>
und Thaten nicht darauf ankommt &#x017F;einen Gegner zu<lb/>
&#x017F;chonen, &#x017F;ondern ihn zu u&#x0364;berwinden; daß Niemand<lb/>
&#x017F;ich aus &#x017F;einem Vortheil heraus&#x017F;chmeicheln oder heraus-<lb/>
complimentiren la&#x0364;ßt, &#x017F;ondern daß er, wenn es ja<lb/>
nicht anders &#x017F;eyn kann, wenig&#x017F;tens herausgeworfen<lb/>
&#x017F;eyn will. Hartna&#x0364;ckiger als die Newtoni&#x017F;che Partey<lb/>
hat &#x017F;ich kaum eine in der Ge&#x017F;chichte der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
bewie&#x017F;en. Sie hat manchem wahrheitsliebenden Man-<lb/>
ne das Leben verku&#x0364;mmert, &#x017F;ie hat auch mir eine fro-<lb/>
here und vortheilhaftere Benutzung mehrerer Jahre ge-<lb/>
raubt: man verzeihe mir daher, wenn ich von ihr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[648/0702] nur unſere Behandlung des erſten Buches bey den fol- genden wiederholen. Blicken wir nun auf unſre Arbeit zuruͤck, ſo wuͤnſch- ten wir wohl in dem Falle jenes Cardinals zu ſeyn, der ſeine Schriften ins Concept drucken ließ. Wir wuͤr- den alsdann noch manches nachzuholen und zu beſſern Urſache finden. Beſonders wuͤrden wir vielleicht einige heftige Ansdruͤcke mildern, welche den Gegner auf- bringen, dem Gleichguͤltigen verdrießlich ſind und die der Freund wenigſtens verzeihen muß. Allein wir be- denken zu unſerer Beruhigung, daß dieſe ganze Arbeit mitten in dem heftigſten Kriege der unſer Vaterland er- ſchuͤtterte, unternommen und vollendet wurde. Das Gewaltſame der Zeit dringt leider bis in die friedli- chen Wohnungen der Muſen, und die Sitten der Men- ſchen werden durch die naͤchſten Beyſpiele, wo nicht beſtimmt, doch modificirt. Wir haben mehrere Jahre erlebt und geſehen, daß es im Conflict von Meynungen und Thaten nicht darauf ankommt ſeinen Gegner zu ſchonen, ſondern ihn zu uͤberwinden; daß Niemand ſich aus ſeinem Vortheil herausſchmeicheln oder heraus- complimentiren laͤßt, ſondern daß er, wenn es ja nicht anders ſeyn kann, wenigſtens herausgeworfen ſeyn will. Hartnaͤckiger als die Newtoniſche Partey hat ſich kaum eine in der Geſchichte der Wiſſenſchaften bewieſen. Sie hat manchem wahrheitsliebenden Man- ne das Leben verkuͤmmert, ſie hat auch mir eine fro- here und vortheilhaftere Benutzung mehrerer Jahre ge- raubt: man verzeihe mir daher, wenn ich von ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/702
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/702>, abgerufen am 28.04.2024.