schungen und strich sie dick auf den Fußboden meines Zim- mers, wohin die Sonne durch das offne Fenster schien, und daneben legte ich ein Stück weißes Papier von derselbigen Größe in den Schatten.
586.
Was hat unser Ehrenmann denn nun gethan? Um das reell dunkle Pulver weiß zu machen, muß er das reell weiße Papier schwärzen; um zwey Dinge mit ein- ander vergleichen und sie gegen einander aufheben zu können, muß er den Unterschied, der zwischen bey- den obwaltet, wegnehmen. Es ist eben als wenn man ein Kind auf den Tisch stellte, vor dem ein Mann stünde, und behauptete nun, sie seyen gleich groß.
587.
Das weiße Papier im Schatten ist nicht mehr weiß: denn es ist verdunkelt, beschattet; das graue Pulver in der Sonne ist doch nicht weiß: denn es führt seine Finsterniß unauslöschlich bey sich. Die lä- cherliche Vorrichtung kennt man nun; man sehe wie sich der Beobachter dabey benimmt.
588.
Dann ging ich etwa zwölf oder achtzehn Fuß hinweg, so daß ich die Unebenheiten auf der Oberfläche des Pulvers nicht sehen konnte, noch die kleinen Schatten, die von den ein- zelnen Theilen der Pulver etwa fallen mochten; da sah das Pulver vollkommen weiß aus, so daß es gar noch das Pa- pier an Weiße übertraf, besonders wenn man von dem Pa-
39 *
ſchungen und ſtrich ſie dick auf den Fußboden meines Zim- mers, wohin die Sonne durch das offne Fenſter ſchien, und daneben legte ich ein Stuͤck weißes Papier von derſelbigen Groͤße in den Schatten.
586.
Was hat unſer Ehrenmann denn nun gethan? Um das reell dunkle Pulver weiß zu machen, muß er das reell weiße Papier ſchwaͤrzen; um zwey Dinge mit ein- ander vergleichen und ſie gegen einander aufheben zu koͤnnen, muß er den Unterſchied, der zwiſchen bey- den obwaltet, wegnehmen. Es iſt eben als wenn man ein Kind auf den Tiſch ſtellte, vor dem ein Mann ſtuͤnde, und behauptete nun, ſie ſeyen gleich groß.
587.
Das weiße Papier im Schatten iſt nicht mehr weiß: denn es iſt verdunkelt, beſchattet; das graue Pulver in der Sonne iſt doch nicht weiß: denn es fuͤhrt ſeine Finſterniß unausloͤſchlich bey ſich. Die laͤ- cherliche Vorrichtung kennt man nun; man ſehe wie ſich der Beobachter dabey benimmt.
588.
Dann ging ich etwa zwoͤlf oder achtzehn Fuß hinweg, ſo daß ich die Unebenheiten auf der Oberflaͤche des Pulvers nicht ſehen konnte, noch die kleinen Schatten, die von den ein- zelnen Theilen der Pulver etwa fallen mochten; da ſah das Pulver vollkommen weiß aus, ſo daß es gar noch das Pa- pier an Weiße uͤbertraf, beſonders wenn man von dem Pa-
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ſchungen und ſtrich ſie dick auf den Fußboden meines Zim-
mers, wohin die Sonne durch das offne Fenſter ſchien, und
daneben legte ich ein Stuͤck weißes Papier von derſelbigen
Groͤße in den Schatten.
586.
Was hat unſer Ehrenmann denn nun gethan? Um
das reell dunkle Pulver weiß zu machen, muß er das
reell weiße Papier ſchwaͤrzen; um zwey Dinge mit ein-
ander vergleichen und ſie gegen einander aufheben zu
koͤnnen, muß er den Unterſchied, der zwiſchen bey-
den obwaltet, wegnehmen. Es iſt eben als wenn man
ein Kind auf den Tiſch ſtellte, vor dem ein Mann
ſtuͤnde, und behauptete nun, ſie ſeyen gleich groß.
587.
Das weiße Papier im Schatten iſt nicht mehr
weiß: denn es iſt verdunkelt, beſchattet; das graue
Pulver in der Sonne iſt doch nicht weiß: denn es
fuͤhrt ſeine Finſterniß unausloͤſchlich bey ſich. Die laͤ-
cherliche Vorrichtung kennt man nun; man ſehe wie
ſich der Beobachter dabey benimmt.
588.
Dann ging ich etwa zwoͤlf oder achtzehn Fuß hinweg, ſo
daß ich die Unebenheiten auf der Oberflaͤche des Pulvers nicht
ſehen konnte, noch die kleinen Schatten, die von den ein-
zelnen Theilen der Pulver etwa fallen mochten; da ſah das
Pulver vollkommen weiß aus, ſo daß es gar noch das Pa-
pier an Weiße uͤbertraf, beſonders wenn man von dem Pa-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/665>, abgerufen am 23.11.2024.
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