Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
228.

So ist offenbar, daß das Sonnenlicht eine heterogene
Mischung von Strahlen ist, deren einige beständig mehr re-
frangibel sind als andre; welches zu erweisen war.

229.

Uns ist nur offenbar, daß das Sonnenbild so gut
wie jedes andre, helle oder dunkle, farbige oder farb-
lose, in sofern es sich vom Grunde auszeichnet, durch
Refraction an dem Rand ein farbiges Nebenbild er-
hält, welches Nebenbild unter gewissen Bedingungen
wachsen und das Hauptbild zudecken kann;

230.

Daß Newton aus lauter falschen Prämissen keine
wahre Folgerung ziehen konnte, versteht sich von selbst.
Daß er durch seine zehn Experimente nichts bewiesen,
darin sind gewiß alle aufmerksame Leser mit uns einig.
Der Gewinn, den wir von der zurückgelegten Arbeit
ziehen, ist erstlich: daß wir eine falsche hohle Mey-
nung los sind; zweytens: daß wir die Consequenz ei-
nes früher (E. 178--356) abgeleiteten Phänomens
deutlich einsehen; und drittens: daß wir ein Muster
von sophistischer Entstellung der Natur kennen lernten,
das nur ein außerordentlicher Geist wie Newton, dessen
Eigensinn und Hartnäckigkeit seinem Genie gleich kam,
aufstellen konnte. Wir wollen nun, nachdem wir soweit
gelangt, versuchen, ob wir zunächst unsre Polemik uns
und unsern Lesern bequemer machen können.



31 *
228.

So iſt offenbar, daß das Sonnenlicht eine heterogene
Miſchung von Strahlen iſt, deren einige beſtaͤndig mehr re-
frangibel ſind als andre; welches zu erweiſen war.

229.

Uns iſt nur offenbar, daß das Sonnenbild ſo gut
wie jedes andre, helle oder dunkle, farbige oder farb-
loſe, in ſofern es ſich vom Grunde auszeichnet, durch
Refraction an dem Rand ein farbiges Nebenbild er-
haͤlt, welches Nebenbild unter gewiſſen Bedingungen
wachſen und das Hauptbild zudecken kann;

230.

Daß Newton aus lauter falſchen Praͤmiſſen keine
wahre Folgerung ziehen konnte, verſteht ſich von ſelbſt.
Daß er durch ſeine zehn Experimente nichts bewieſen,
darin ſind gewiß alle aufmerkſame Leſer mit uns einig.
Der Gewinn, den wir von der zuruͤckgelegten Arbeit
ziehen, iſt erſtlich: daß wir eine falſche hohle Mey-
nung los ſind; zweytens: daß wir die Conſequenz ei-
nes fruͤher (E. 178—356) abgeleiteten Phaͤnomens
deutlich einſehen; und drittens: daß wir ein Muſter
von ſophiſtiſcher Entſtellung der Natur kennen lernten,
das nur ein außerordentlicher Geiſt wie Newton, deſſen
Eigenſinn und Hartnaͤckigkeit ſeinem Genie gleich kam,
aufſtellen konnte. Wir wollen nun, nachdem wir ſoweit
gelangt, verſuchen, ob wir zunaͤchſt unſre Polemik uns
und unſern Leſern bequemer machen koͤnnen.



31 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0537" n="483"/>
              <div n="5">
                <head>228.</head><lb/>
                <p>So i&#x017F;t offenbar, daß das Sonnenlicht eine heterogene<lb/>
Mi&#x017F;chung von Strahlen i&#x017F;t, deren einige be&#x017F;ta&#x0364;ndig mehr re-<lb/>
frangibel &#x017F;ind als andre; welches zu erwei&#x017F;en war.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>229.</head><lb/>
                <p>Uns i&#x017F;t nur offenbar, daß das Sonnenbild &#x017F;o gut<lb/>
wie jedes andre, helle oder dunkle, farbige oder farb-<lb/>
lo&#x017F;e, in &#x017F;ofern es &#x017F;ich vom Grunde auszeichnet, durch<lb/>
Refraction an dem Rand ein farbiges Nebenbild er-<lb/>
ha&#x0364;lt, welches Nebenbild unter gewi&#x017F;&#x017F;en Bedingungen<lb/>
wach&#x017F;en und das Hauptbild zudecken kann;</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>230.</head><lb/>
                <p>Daß Newton aus lauter fal&#x017F;chen Pra&#x0364;mi&#x017F;&#x017F;en keine<lb/>
wahre Folgerung ziehen konnte, ver&#x017F;teht &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
Daß er durch &#x017F;eine zehn Experimente nichts bewie&#x017F;en,<lb/>
darin &#x017F;ind gewiß alle aufmerk&#x017F;ame Le&#x017F;er mit uns einig.<lb/>
Der Gewinn, den wir von der zuru&#x0364;ckgelegten Arbeit<lb/>
ziehen, i&#x017F;t er&#x017F;tlich: daß wir eine fal&#x017F;che hohle Mey-<lb/>
nung los &#x017F;ind; zweytens: daß wir die Con&#x017F;equenz ei-<lb/>
nes fru&#x0364;her (E. 178&#x2014;356) abgeleiteten Pha&#x0364;nomens<lb/>
deutlich ein&#x017F;ehen; und drittens: daß wir ein Mu&#x017F;ter<lb/>
von &#x017F;ophi&#x017F;ti&#x017F;cher Ent&#x017F;tellung der Natur kennen lernten,<lb/>
das nur ein außerordentlicher Gei&#x017F;t wie Newton, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Eigen&#x017F;inn und Hartna&#x0364;ckigkeit &#x017F;einem Genie gleich kam,<lb/>
auf&#x017F;tellen konnte. Wir wollen nun, nachdem wir &#x017F;oweit<lb/>
gelangt, ver&#x017F;uchen, ob wir zuna&#x0364;ch&#x017F;t un&#x017F;re Polemik uns<lb/>
und un&#x017F;ern Le&#x017F;ern bequemer machen ko&#x0364;nnen.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <fw place="bottom" type="sig">31 *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[483/0537] 228. So iſt offenbar, daß das Sonnenlicht eine heterogene Miſchung von Strahlen iſt, deren einige beſtaͤndig mehr re- frangibel ſind als andre; welches zu erweiſen war. 229. Uns iſt nur offenbar, daß das Sonnenbild ſo gut wie jedes andre, helle oder dunkle, farbige oder farb- loſe, in ſofern es ſich vom Grunde auszeichnet, durch Refraction an dem Rand ein farbiges Nebenbild er- haͤlt, welches Nebenbild unter gewiſſen Bedingungen wachſen und das Hauptbild zudecken kann; 230. Daß Newton aus lauter falſchen Praͤmiſſen keine wahre Folgerung ziehen konnte, verſteht ſich von ſelbſt. Daß er durch ſeine zehn Experimente nichts bewieſen, darin ſind gewiß alle aufmerkſame Leſer mit uns einig. Der Gewinn, den wir von der zuruͤckgelegten Arbeit ziehen, iſt erſtlich: daß wir eine falſche hohle Mey- nung los ſind; zweytens: daß wir die Conſequenz ei- nes fruͤher (E. 178—356) abgeleiteten Phaͤnomens deutlich einſehen; und drittens: daß wir ein Muſter von ſophiſtiſcher Entſtellung der Natur kennen lernten, das nur ein außerordentlicher Geiſt wie Newton, deſſen Eigenſinn und Hartnaͤckigkeit ſeinem Genie gleich kam, aufſtellen konnte. Wir wollen nun, nachdem wir ſoweit gelangt, verſuchen, ob wir zunaͤchſt unſre Polemik uns und unſern Leſern bequemer machen koͤnnen. 31 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/537
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/537>, abgerufen am 23.11.2024.