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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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Ziegel wie im Nebel erscheinen, und wir hätten dann
auch, um die Bilder der übrigen Theile ganz bestimmt
im Auge zu haben, immer etwas vor- und etwas zu-
rückzutreten, wenn die prätendirte, im zweyten Experi-
ment erwiesen seyn sollende diverse Refrangibilität statt
fände. Ein gleiches gilt von allen Augengläsern, sie
mögen einfach oder zusammengesetzt seyn, nicht weniger
von der Camera obscura.

78.

Ja daß wir eine dem zweyten Newtonischen Expe-
riment unmittelbar verwandte Instanz beybringen, so
erinnern wir unsre Leser an jenen optischen Kasten, in
welchem stark erleuchtete Bilder von Hauptstädten,
Schlössern und Plätzen durch eine Linse angesehen und
verhältnißmäßig vergrößert, zugleich aber auch sehr klar
und deutlich erblickt werden. Man kann sagen, es sey
hier der Newtonische Versuch selbst, nur in größerer
Mannigfaltigkeit subjectiv wiederholt. Wäre die New-
tonische Hypothese wahr, so könnte man unmöglich den
hellblauen Himmel, das hellgrüne Meer, die gelb- und
blaugrünen Bäume, die gelben Häuser, die rothen Zie-
geldächer, die bunten Kutschen, Livreen und Spazier-
gänger neben einander zugleich deutlich erblicken.

79.

Noch einiger andern wunderlichen Consequenzen,
die aus der Newtonischen Lehre herfließen, müssen wir
erwähnen. Man gedenke der schwarzen Bilder auf ver-

Ziegel wie im Nebel erſcheinen, und wir haͤtten dann
auch, um die Bilder der uͤbrigen Theile ganz beſtimmt
im Auge zu haben, immer etwas vor- und etwas zu-
ruͤckzutreten, wenn die praͤtendirte, im zweyten Experi-
ment erwieſen ſeyn ſollende diverſe Refrangibilitaͤt ſtatt
faͤnde. Ein gleiches gilt von allen Augenglaͤſern, ſie
moͤgen einfach oder zuſammengeſetzt ſeyn, nicht weniger
von der Camera obſcura.

78.

Ja daß wir eine dem zweyten Newtoniſchen Expe-
riment unmittelbar verwandte Inſtanz beybringen, ſo
erinnern wir unſre Leſer an jenen optiſchen Kaſten, in
welchem ſtark erleuchtete Bilder von Hauptſtaͤdten,
Schloͤſſern und Plaͤtzen durch eine Linſe angeſehen und
verhaͤltnißmaͤßig vergroͤßert, zugleich aber auch ſehr klar
und deutlich erblickt werden. Man kann ſagen, es ſey
hier der Newtoniſche Verſuch ſelbſt, nur in groͤßerer
Mannigfaltigkeit ſubjectiv wiederholt. Waͤre die New-
toniſche Hypotheſe wahr, ſo koͤnnte man unmoͤglich den
hellblauen Himmel, das hellgruͤne Meer, die gelb- und
blaugruͤnen Baͤume, die gelben Haͤuſer, die rothen Zie-
geldaͤcher, die bunten Kutſchen, Livreen und Spazier-
gaͤnger neben einander zugleich deutlich erblicken.

79.

Noch einiger andern wunderlichen Conſequenzen,
die aus der Newtoniſchen Lehre herfließen, muͤſſen wir
erwaͤhnen. Man gedenke der ſchwarzen Bilder auf ver-

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[399/0453] Ziegel wie im Nebel erſcheinen, und wir haͤtten dann auch, um die Bilder der uͤbrigen Theile ganz beſtimmt im Auge zu haben, immer etwas vor- und etwas zu- ruͤckzutreten, wenn die praͤtendirte, im zweyten Experi- ment erwieſen ſeyn ſollende diverſe Refrangibilitaͤt ſtatt faͤnde. Ein gleiches gilt von allen Augenglaͤſern, ſie moͤgen einfach oder zuſammengeſetzt ſeyn, nicht weniger von der Camera obſcura. 78. Ja daß wir eine dem zweyten Newtoniſchen Expe- riment unmittelbar verwandte Inſtanz beybringen, ſo erinnern wir unſre Leſer an jenen optiſchen Kaſten, in welchem ſtark erleuchtete Bilder von Hauptſtaͤdten, Schloͤſſern und Plaͤtzen durch eine Linſe angeſehen und verhaͤltnißmaͤßig vergroͤßert, zugleich aber auch ſehr klar und deutlich erblickt werden. Man kann ſagen, es ſey hier der Newtoniſche Verſuch ſelbſt, nur in groͤßerer Mannigfaltigkeit ſubjectiv wiederholt. Waͤre die New- toniſche Hypotheſe wahr, ſo koͤnnte man unmoͤglich den hellblauen Himmel, das hellgruͤne Meer, die gelb- und blaugruͤnen Baͤume, die gelben Haͤuſer, die rothen Zie- geldaͤcher, die bunten Kutſchen, Livreen und Spazier- gaͤnger neben einander zugleich deutlich erblicken. 79. Noch einiger andern wunderlichen Conſequenzen, die aus der Newtoniſchen Lehre herfließen, muͤſſen wir erwaͤhnen. Man gedenke der ſchwarzen Bilder auf ver-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/453>, abgerufen am 20.05.2024.