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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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zu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein
Ganzes zu erbauen.

Der Versuch, die Farbenerscheinungen auf- und
zusammenzustellen ist nur zweymal gemacht worden,
das erstemal von Theophrast, sodann von Boyle.
Dem gegenwärtigen wird man die dritte Stelle
nicht streitig machen.

Das nähere Verhältniß erzählt uns die Ge-
schichte. Hier sagen wir nur so viel, daß in dem
verflossenen Jahrhundert an eine solche Zusammen-
stellung nicht gedacht werden konnte, weil Newton
seiner Hypothese einen verwickelten und abgeleiteten
Versuch zum Grund gelegt hatte, auf welchen man
die übrigen zudringenden Erscheinungen, wenn man
sie nicht verschweigen und beseitigen konnte, künst-
lich bezog und sie in ängstlichen Verhältnissen um-
herstellte; wie etwa ein Astronom verfahren müßte,
der aus Grille den Mond in die Mitte unseres
Systems setzen möchte. Er wäre genöthigt, die
Erde, die Sonne mit allen übrigen Planeten um
den subalternen Körper herum zu bewegen, und
durch künstliche Berechnungen und Vorstellungs-
weisen das Irrige seines ersten Annehmens zu ver-
stecken und zu beschönigen.

zu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein
Ganzes zu erbauen.

Der Verſuch, die Farbenerſcheinungen auf- und
zuſammenzuſtellen iſt nur zweymal gemacht worden,
das erſtemal von Theophraſt, ſodann von Boyle.
Dem gegenwaͤrtigen wird man die dritte Stelle
nicht ſtreitig machen.

Das naͤhere Verhaͤltniß erzaͤhlt uns die Ge-
ſchichte. Hier ſagen wir nur ſo viel, daß in dem
verfloſſenen Jahrhundert an eine ſolche Zuſammen-
ſtellung nicht gedacht werden konnte, weil Newton
ſeiner Hypotheſe einen verwickelten und abgeleiteten
Verſuch zum Grund gelegt hatte, auf welchen man
die uͤbrigen zudringenden Erſcheinungen, wenn man
ſie nicht verſchweigen und beſeitigen konnte, kuͤnſt-
lich bezog und ſie in aͤngſtlichen Verhaͤltniſſen um-
herſtellte; wie etwa ein Aſtronom verfahren muͤßte,
der aus Grille den Mond in die Mitte unſeres
Syſtems ſetzen moͤchte. Er waͤre genoͤthigt, die
Erde, die Sonne mit allen uͤbrigen Planeten um
den ſubalternen Koͤrper herum zu bewegen, und
durch kuͤnſtliche Berechnungen und Vorſtellungs-
weiſen das Irrige ſeines erſten Annehmens zu ver-
ſtecken und zu beſchoͤnigen.

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[XXXVI/0042] zu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein Ganzes zu erbauen. Der Verſuch, die Farbenerſcheinungen auf- und zuſammenzuſtellen iſt nur zweymal gemacht worden, das erſtemal von Theophraſt, ſodann von Boyle. Dem gegenwaͤrtigen wird man die dritte Stelle nicht ſtreitig machen. Das naͤhere Verhaͤltniß erzaͤhlt uns die Ge- ſchichte. Hier ſagen wir nur ſo viel, daß in dem verfloſſenen Jahrhundert an eine ſolche Zuſammen- ſtellung nicht gedacht werden konnte, weil Newton ſeiner Hypotheſe einen verwickelten und abgeleiteten Verſuch zum Grund gelegt hatte, auf welchen man die uͤbrigen zudringenden Erſcheinungen, wenn man ſie nicht verſchweigen und beſeitigen konnte, kuͤnſt- lich bezog und ſie in aͤngſtlichen Verhaͤltniſſen um- herſtellte; wie etwa ein Aſtronom verfahren muͤßte, der aus Grille den Mond in die Mitte unſeres Syſtems ſetzen moͤchte. Er waͤre genoͤthigt, die Erde, die Sonne mit allen uͤbrigen Planeten um den ſubalternen Koͤrper herum zu bewegen, und durch kuͤnſtliche Berechnungen und Vorſtellungs- weiſen das Irrige ſeines erſten Annehmens zu ver- ſtecken und zu beſchoͤnigen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XXXVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/42>, abgerufen am 29.03.2024.