Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Lichtes aufnehmen kann, in haarförmigen Streifen, wel-
che zugleich bunt sind, sehen lassen.

370.

Dieser Versuch ist rein katoptrisch: denn da man
sich nicht denken kann, daß das Licht in die Oberfläche
des Stahls hineindringe und etwa darin verändert wer-
de; so überzeugen wir uns leicht, daß hier bloß von
einer reinen Spiegelung die Rede sey, die sich, in so
fern sie subjectiv ist, an die Lehre von den schwachwir-
kenden und abklingenden Lichtern anschließt, und in so
fern sie objectiv gemacht werden kann, auf ein außer
dem Menschen Reales, sogar in den leisesten Erschei-
nungen hindeutet.

371.

Wir haben gesehen, daß hier nicht allein ein Licht,
sondern ein energisches Licht, und selbst dieses nicht im
Abstracten und Allgemeinen, sondern ein begränztes Licht,
ein Lichtbild nöthig sey, um diese Wirkung hervorzu-
bringen. Wir werden uns hiervon bey verwandten
Fällen noch mehr überzeugen.

372.

Eine polirte Silberplatte gibt in der Sonne einen
blendenden Schein von sich; aber es wird bey dieser
Gelegenheit keine Farbe gesehen. Ritzt man hingegen
die Oberfläche leicht, so erscheinen bunte, besonders
grüne und purpurne Farben, unter einem gewissen Win-
kel, dem Auge. Bey ciselirten und guilloschirten Me-

Lichtes aufnehmen kann, in haarfoͤrmigen Streifen, wel-
che zugleich bunt ſind, ſehen laſſen.

370.

Dieſer Verſuch iſt rein katoptriſch: denn da man
ſich nicht denken kann, daß das Licht in die Oberflaͤche
des Stahls hineindringe und etwa darin veraͤndert wer-
de; ſo uͤberzeugen wir uns leicht, daß hier bloß von
einer reinen Spiegelung die Rede ſey, die ſich, in ſo
fern ſie ſubjectiv iſt, an die Lehre von den ſchwachwir-
kenden und abklingenden Lichtern anſchließt, und in ſo
fern ſie objectiv gemacht werden kann, auf ein außer
dem Menſchen Reales, ſogar in den leiſeſten Erſchei-
nungen hindeutet.

371.

Wir haben geſehen, daß hier nicht allein ein Licht,
ſondern ein energiſches Licht, und ſelbſt dieſes nicht im
Abſtracten und Allgemeinen, ſondern ein begraͤnztes Licht,
ein Lichtbild noͤthig ſey, um dieſe Wirkung hervorzu-
bringen. Wir werden uns hiervon bey verwandten
Faͤllen noch mehr uͤberzeugen.

372.

Eine polirte Silberplatte gibt in der Sonne einen
blendenden Schein von ſich; aber es wird bey dieſer
Gelegenheit keine Farbe geſehen. Ritzt man hingegen
die Oberflaͤche leicht, ſo erſcheinen bunte, beſonders
gruͤne und purpurne Farben, unter einem gewiſſen Win-
kel, dem Auge. Bey ciſelirten und guilloſchirten Me-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0198" n="144"/>
Lichtes aufnehmen kann, in haarfo&#x0364;rmigen Streifen, wel-<lb/>
che zugleich bunt &#x017F;ind, &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>370.</head><lb/>
              <p>Die&#x017F;er Ver&#x017F;uch i&#x017F;t rein katoptri&#x017F;ch: denn da man<lb/>
&#x017F;ich nicht denken kann, daß das Licht in die Oberfla&#x0364;che<lb/>
des Stahls hineindringe und etwa darin vera&#x0364;ndert wer-<lb/>
de; &#x017F;o u&#x0364;berzeugen wir uns leicht, daß hier bloß von<lb/>
einer reinen Spiegelung die Rede &#x017F;ey, die &#x017F;ich, in &#x017F;o<lb/>
fern &#x017F;ie &#x017F;ubjectiv i&#x017F;t, an die Lehre von den &#x017F;chwachwir-<lb/>
kenden und abklingenden Lichtern an&#x017F;chließt, und in &#x017F;o<lb/>
fern &#x017F;ie objectiv gemacht werden kann, auf ein außer<lb/>
dem Men&#x017F;chen Reales, &#x017F;ogar in den lei&#x017F;e&#x017F;ten Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen hindeutet.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>371.</head><lb/>
              <p>Wir haben ge&#x017F;ehen, daß hier nicht allein ein Licht,<lb/>
&#x017F;ondern ein energi&#x017F;ches Licht, und &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;es nicht im<lb/>
Ab&#x017F;tracten und Allgemeinen, &#x017F;ondern ein begra&#x0364;nztes Licht,<lb/>
ein Lichtbild no&#x0364;thig &#x017F;ey, um die&#x017F;e Wirkung hervorzu-<lb/>
bringen. Wir werden uns hiervon bey verwandten<lb/>
Fa&#x0364;llen noch mehr u&#x0364;berzeugen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>372.</head><lb/>
              <p>Eine polirte Silberplatte gibt in der Sonne einen<lb/>
blendenden Schein von &#x017F;ich; aber es wird bey die&#x017F;er<lb/>
Gelegenheit keine Farbe ge&#x017F;ehen. Ritzt man hingegen<lb/>
die Oberfla&#x0364;che leicht, &#x017F;o er&#x017F;cheinen bunte, be&#x017F;onders<lb/>
gru&#x0364;ne und purpurne Farben, unter einem gewi&#x017F;&#x017F;en Win-<lb/>
kel, dem Auge. Bey ci&#x017F;elirten und guillo&#x017F;chirten Me-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0198] Lichtes aufnehmen kann, in haarfoͤrmigen Streifen, wel- che zugleich bunt ſind, ſehen laſſen. 370. Dieſer Verſuch iſt rein katoptriſch: denn da man ſich nicht denken kann, daß das Licht in die Oberflaͤche des Stahls hineindringe und etwa darin veraͤndert wer- de; ſo uͤberzeugen wir uns leicht, daß hier bloß von einer reinen Spiegelung die Rede ſey, die ſich, in ſo fern ſie ſubjectiv iſt, an die Lehre von den ſchwachwir- kenden und abklingenden Lichtern anſchließt, und in ſo fern ſie objectiv gemacht werden kann, auf ein außer dem Menſchen Reales, ſogar in den leiſeſten Erſchei- nungen hindeutet. 371. Wir haben geſehen, daß hier nicht allein ein Licht, ſondern ein energiſches Licht, und ſelbſt dieſes nicht im Abſtracten und Allgemeinen, ſondern ein begraͤnztes Licht, ein Lichtbild noͤthig ſey, um dieſe Wirkung hervorzu- bringen. Wir werden uns hiervon bey verwandten Faͤllen noch mehr uͤberzeugen. 372. Eine polirte Silberplatte gibt in der Sonne einen blendenden Schein von ſich; aber es wird bey dieſer Gelegenheit keine Farbe geſehen. Ritzt man hingegen die Oberflaͤche leicht, ſo erſcheinen bunte, beſonders gruͤne und purpurne Farben, unter einem gewiſſen Win- kel, dem Auge. Bey ciſelirten und guilloſchirten Me-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/198
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/198>, abgerufen am 23.11.2024.