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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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der Conflict des Unglaubens und Glaubens.
Alle Epochen, in welchen der Glaube
herrscht, unter welcher Gestalt er auch
wolle, sind glänzend, herzerhebend und
fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle
Epochen dagegen in welchen der Unglau-
be, in welcher Form es sey, einen küm-
merlichen Sieg behauptet, und wenn sie
auch einen Augenblick mit einem Schein-
glanze prahlen sollten, verschwinden vor
der Nachwelt, weil sich niemand gern mit
Erkenntniss des Unfruchtbaren abquälen
mag.

Die vier letzten Bücher Mosis haben,
wenn uns das erste den Triumph des Glau-
bens darstellte, den Unglauben zum Thema,
der, auf die kleinlichste Weise, den Glau-
ben, der sich aber freylich auch nicht in
seiner ganzen Fülle zeigt, zwar nicht be-
streitet und bekämpft, jedoch sich ihm von
Schritt zu Schritt in den Weg schiebt, und
oft durch Wohlthaten, öfter aber noch
durch greuliche Strafen nicht geheilt,
nicht ausgerottet, sondern nur augenblick-
lich beschwichtigt wird, und desshalb
seinen schleichenden Gang dergestalt im-

der Conflict des Unglaubens und Glaubens.
Alle Epochen, in welchen der Glaube
herrscht, unter welcher Gestalt er auch
wolle, sind glänzend, herzerhebend und
fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle
Epochen dagegen in welchen der Unglau-
be, in welcher Form es sey, einen küm-
merlichen Sieg behauptet, und wenn sie
auch einen Augenblick mit einem Schein-
glanze prahlen sollten, verschwinden vor
der Nachwelt, weil sich niemand gern mit
Erkenntniſs des Unfruchtbaren abquälen
mag.

Die vier letzten Bücher Mosis haben,
wenn uns das erste den Triumph des Glau-
bens darstellte, den Unglauben zum Thema,
der, auf die kleinlichste Weise, den Glau-
ben, der sich aber freylich auch nicht in
seiner ganzen Fülle zeigt, zwar nicht be-
streitet und bekämpft, jedoch sich ihm von
Schritt zu Schritt in den Weg schiebt, und
oft durch Wohlthaten, öfter aber noch
durch greuliche Strafen nicht geheilt,
nicht ausgerottet, sondern nur augenblick-
lich beschwichtigt wird, und deſshalb
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[425[427]/0437] der Conflict des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen in welchen der Unglau- be, in welcher Form es sey, einen küm- merlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Schein- glanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntniſs des Unfruchtbaren abquälen mag. Die vier letzten Bücher Mosis haben, wenn uns das erste den Triumph des Glau- bens darstellte, den Unglauben zum Thema, der, auf die kleinlichste Weise, den Glau- ben, der sich aber freylich auch nicht in seiner ganzen Fülle zeigt, zwar nicht be- streitet und bekämpft, jedoch sich ihm von Schritt zu Schritt in den Weg schiebt, und oft durch Wohlthaten, öfter aber noch durch greuliche Strafen nicht geheilt, nicht ausgerottet, sondern nur augenblick- lich beschwichtigt wird, und deſshalb seinen schleichenden Gang dergestalt im-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 425[427]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/437>, abgerufen am 22.11.2024.