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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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der einem bedeutenden Gegenstand sein ei-
genthümlichstes abzugewinnen sucht. Sie
haben poetische Stillleben, die sich den
besten niederländischer Künstler an die
Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber
erheben dürfen. Aus eben dieser Neigung
und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblings-
gegenstände nicht los; kein Persischer Dich-
ter ermüdet die Lampe blendend, die Kerze
leuchtend vorzustellen. Eben daher kommt
auch die Eintönigkeit die man ihnen vor-
wirft; aber genau betrachtet, werden die
Naturgegenstände hey ihnen zum Surrogat
der Mythologie, Rose und Nachtigall neh-
men den Platz ein von Apoll und Daphne.
Wenn man bedenkt was ihnen abging, dass
sie kein Theater, keine bildende Kunst hat-
ten, ihr dichterisches Talent aber nicht ge-
ringer war als irgend eins von jeher, so
wird man, ihrer eigensten Welt befreundet,
sie immer mehr bewundern müssen.


der einem bedeutenden Gegenstand sein ei-
genthümlichstes abzugewinnen sucht. Sie
haben poetische Stillleben, die sich den
besten niederländischer Künstler an die
Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber
erheben dürfen. Aus eben dieser Neigung
und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblings-
gegenstände nicht los; kein Persischer Dich-
ter ermüdet die Lampe blendend, die Kerze
leuchtend vorzustellen. Eben daher kommt
auch die Eintönigkeit die man ihnen vor-
wirft; aber genau betrachtet, werden die
Naturgegenstände hey ihnen zum Surrogat
der Mythologie, Rose und Nachtigall neh-
men den Platz ein von Apoll und Daphne.
Wenn man bedenkt was ihnen abging, daſs
sie kein Theater, keine bildende Kunst hat-
ten, ihr dichterisches Talent aber nicht ge-
ringer war als irgend eins von jeher, so
wird man, ihrer eigensten Welt befreundet,
sie immer mehr bewundern müssen.


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[330/0340] der einem bedeutenden Gegenstand sein ei- genthümlichstes abzugewinnen sucht. Sie haben poetische Stillleben, die sich den besten niederländischer Künstler an die Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber erheben dürfen. Aus eben dieser Neigung und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblings- gegenstände nicht los; kein Persischer Dich- ter ermüdet die Lampe blendend, die Kerze leuchtend vorzustellen. Eben daher kommt auch die Eintönigkeit die man ihnen vor- wirft; aber genau betrachtet, werden die Naturgegenstände hey ihnen zum Surrogat der Mythologie, Rose und Nachtigall neh- men den Platz ein von Apoll und Daphne. Wenn man bedenkt was ihnen abging, daſs sie kein Theater, keine bildende Kunst hat- ten, ihr dichterisches Talent aber nicht ge- ringer war als irgend eins von jeher, so wird man, ihrer eigensten Welt befreundet, sie immer mehr bewundern müssen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/340>, abgerufen am 21.11.2024.