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[Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52.

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Graf Friedrich, des blassen Todes Brautlied; die vier heiligen drey Könige, des Herren Geburt in Lindenholz geschnitzt. Auch eine eigene Geschichte hat sich dieß Volk erkämpft, und der Nachklang alten Heldenruhmes hat in den Schlachtliedern sich erhalten. Die Schlacht bey Murten erzählend, wie die Eidgenossen Schachzabel, das Königsspiel, gespielt; die Schlacht bey Sempach des Adels Niederlage und Winkelrieds That; Wilhelm Tell, das alte Lied; Schweizer Kriegsgebet, das neue Lied. Ein bayerisch Alplied schließt sich dem Zuge der Gesellen an; auch schöns Salzburger Mädl mit dem krausen Härl gar wunderlich mit einem von den Liebesgöttern zusammengebracht; ein schwäbisch Tanzlied fährt munter daher; aus dem Odenwalde singt der schöne Vogel von dem grünen Baume Liebestrauer; geh nimm mich, juxt das österreichische Soldatenliebchen bey Schlambascher Wein; fern herüber tönt das schöne schlesische Gebirgshirtenlied.

Es hat in unsrer Betrachtung, was in einzelnen lyrischen Auswürfen aus dem Gemüthe nach und nach hervorgebrochen, wie von selbst zu einem dramatisch epischen Ganzen sich gefügt. Denn ein unsichtbares Band geht durch alle Dinge, und wie zwey Tropfen in der Berührung ineinander fließen, und das große Meer selbst allein aus so verbundenen Tropfen besteht, so vermag keiner in seinem besten Gefühle sich loszusagen von dem großen architectonischen Plan, den der Bildner selbst gefaßt, und den die Gebilde darzustellen haben. Vernichtet Gemeines und Schlechtes, und von selbst fügt das Gute sich zusammen, und die innere Ganzheit bricht in den getrennten Theilen durch. Die Nation selbst hat in diesen Gesängen ihr Jnneres aufgethan; was in ihrer Geschichte in Zwist und Kampf und Krieg befangen erscheint, eben weil in ihr jener Scheidungsproceß des Hohen, Fremdartigen von der guten Masse besteht, das hat sich in der Poesie geklärt, und nachdem die wilde sündige Materie ausgeworfen, steht sie hier sich selbst klar und verständlich da. Gemeinhin wird in dem gewöhnlichen

Graf Friedrich, des blassen Todes Brautlied; die vier heiligen drey Koͤnige, des Herren Geburt in Lindenholz geschnitzt. Auch eine eigene Geschichte hat sich dieß Volk erkaͤmpft, und der Nachklang alten Heldenruhmes hat in den Schlachtliedern sich erhalten. Die Schlacht bey Murten erzaͤhlend, wie die Eidgenossen Schachzabel, das Koͤnigsspiel, gespielt; die Schlacht bey Sempach des Adels Niederlage und Winkelrieds That; Wilhelm Tell, das alte Lied; Schweizer Kriegsgebet, das neue Lied. Ein bayerisch Alplied schließt sich dem Zuge der Gesellen an; auch schoͤns Salzburger Maͤdl mit dem krausen Haͤrl gar wunderlich mit einem von den Liebesgoͤttern zusammengebracht; ein schwaͤbisch Tanzlied faͤhrt munter daher; aus dem Odenwalde singt der schoͤne Vogel von dem gruͤnen Baume Liebestrauer; geh nimm mich, juxt das oͤsterreichische Soldatenliebchen bey Schlambascher Wein; fern heruͤber toͤnt das schoͤne schlesische Gebirgshirtenlied.

Es hat in unsrer Betrachtung, was in einzelnen lyrischen Auswuͤrfen aus dem Gemuͤthe nach und nach hervorgebrochen, wie von selbst zu einem dramatisch epischen Ganzen sich gefuͤgt. Denn ein unsichtbares Band geht durch alle Dinge, und wie zwey Tropfen in der Beruͤhrung ineinander fließen, und das große Meer selbst allein aus so verbundenen Tropfen besteht, so vermag keiner in seinem besten Gefuͤhle sich loszusagen von dem großen architectonischen Plan, den der Bildner selbst gefaßt, und den die Gebilde darzustellen haben. Vernichtet Gemeines und Schlechtes, und von selbst fuͤgt das Gute sich zusammen, und die innere Ganzheit bricht in den getrennten Theilen durch. Die Nation selbst hat in diesen Gesaͤngen ihr Jnneres aufgethan; was in ihrer Geschichte in Zwist und Kampf und Krieg befangen erscheint, eben weil in ihr jener Scheidungsproceß des Hohen, Fremdartigen von der guten Masse besteht, das hat sich in der Poesie geklaͤrt, und nachdem die wilde suͤndige Materie ausgeworfen, steht sie hier sich selbst klar und verstaͤndlich da. Gemeinhin wird in dem gewoͤhnlichen

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[42/0030] Graf Friedrich, des blassen Todes Brautlied; die vier heiligen drey Koͤnige, des Herren Geburt in Lindenholz geschnitzt. Auch eine eigene Geschichte hat sich dieß Volk erkaͤmpft, und der Nachklang alten Heldenruhmes hat in den Schlachtliedern sich erhalten. Die Schlacht bey Murten erzaͤhlend, wie die Eidgenossen Schachzabel, das Koͤnigsspiel, gespielt; die Schlacht bey Sempach des Adels Niederlage und Winkelrieds That; Wilhelm Tell, das alte Lied; Schweizer Kriegsgebet, das neue Lied. Ein bayerisch Alplied schließt sich dem Zuge der Gesellen an; auch schoͤns Salzburger Maͤdl mit dem krausen Haͤrl gar wunderlich mit einem von den Liebesgoͤttern zusammengebracht; ein schwaͤbisch Tanzlied faͤhrt munter daher; aus dem Odenwalde singt der schoͤne Vogel von dem gruͤnen Baume Liebestrauer; geh nimm mich, juxt das oͤsterreichische Soldatenliebchen bey Schlambascher Wein; fern heruͤber toͤnt das schoͤne schlesische Gebirgshirtenlied. Es hat in unsrer Betrachtung, was in einzelnen lyrischen Auswuͤrfen aus dem Gemuͤthe nach und nach hervorgebrochen, wie von selbst zu einem dramatisch epischen Ganzen sich gefuͤgt. Denn ein unsichtbares Band geht durch alle Dinge, und wie zwey Tropfen in der Beruͤhrung ineinander fließen, und das große Meer selbst allein aus so verbundenen Tropfen besteht, so vermag keiner in seinem besten Gefuͤhle sich loszusagen von dem großen architectonischen Plan, den der Bildner selbst gefaßt, und den die Gebilde darzustellen haben. Vernichtet Gemeines und Schlechtes, und von selbst fuͤgt das Gute sich zusammen, und die innere Ganzheit bricht in den getrennten Theilen durch. Die Nation selbst hat in diesen Gesaͤngen ihr Jnneres aufgethan; was in ihrer Geschichte in Zwist und Kampf und Krieg befangen erscheint, eben weil in ihr jener Scheidungsproceß des Hohen, Fremdartigen von der guten Masse besteht, das hat sich in der Poesie geklaͤrt, und nachdem die wilde suͤndige Materie ausgeworfen, steht sie hier sich selbst klar und verstaͤndlich da. Gemeinhin wird in dem gewoͤhnlichen

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Zitationshilfe: [Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_wunderhorn_1809/30>, abgerufen am 24.11.2024.