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[Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52.

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andere gute Seelen sind bey dieser Unschuld zur Kirche gewesen, und sind freudig und gestärkt aus dem Tempel gegangen. Hinter dem frischen Kranze von Weinlaub am Eingange glaubten Viele jungen, raschen, bizelnden Wein und den Krönungsochsen zu finden, als aber die innen geschmolzenes Zinn zur Handwaschung den Eintretenden scherzend boten, da sind sie zurückgefallen, und mochten sich nicht noch einmal zu den Schwarzkünstlern wagen. Zarte Wesen wohl auch haben sich geärgert an manchen Vorstellungen; spotten endlich wollten Viele, hätte nicht ernsthaft der Herr in der Loge gesessen und Stillschweigen geboten dem lärmenden Haufen. Manche erfüllten sich dadurch mit ungeheucheltem Respect vor der trefflichen Erscheinung, andern würgte der Verdruß die Kehle ab, und sind sie nur einmal der verdammten Ehrfurcht aus dem Wege gegangen, so werdet ihr Wunder hören, wie sie aufschreyen. Zu allen Diesen möchten wir ein Wort reden, nicht altklug und gelehrt, sondern einfältiglich und bescheiden, wie's der innere Geist eingibt, um einiges Gute zu wirken bey den Guten, und allzu arge Prostitution in etwas zu verhindern bey denen, die man gemeinhin zu den Verkehrten zu rechnen pflegt.

Zuerst, welche Bewandniß es denn eigentlich um diese Dichterey habe? Wir glauben, Poesie sey eher gewesen, als die Kunst, die Begeisterung sey so vorangegangen und die Disciplin später gefolgt. Wir glauben ganz unumwunden an die Existenz einer eigenen Naturpoesie, die denen, die sie üben, wie im Traume anfliegt, die nicht gelernt und nicht erworben, auch nicht in der Schule erlangt wird, sondern gleich der ersten Liebe ist, die der Unwissendste in einem Augenblicke gleich ganz weiß und ohne alle Mühseligkeit gerade am besten dann übt, wenn er am wenigsten Studien gemacht, und gradweise um so schlechter, je mehr er sie ergründet hat. Wir achten die Kunst hoch, wie sich gebührt, nach der Natur aber ist stärkere Nachfrage. Und das wie billig; weil, während wir überall von Kunst umsponnen sind, Natur sich selten gemacht hat,

andere gute Seelen sind bey dieser Unschuld zur Kirche gewesen, und sind freudig und gestaͤrkt aus dem Tempel gegangen. Hinter dem frischen Kranze von Weinlaub am Eingange glaubten Viele jungen, raschen, bizelnden Wein und den Kroͤnungsochsen zu finden, als aber die innen geschmolzenes Zinn zur Handwaschung den Eintretenden scherzend boten, da sind sie zuruͤckgefallen, und mochten sich nicht noch einmal zu den Schwarzkuͤnstlern wagen. Zarte Wesen wohl auch haben sich geaͤrgert an manchen Vorstellungen; spotten endlich wollten Viele, haͤtte nicht ernsthaft der Herr in der Loge gesessen und Stillschweigen geboten dem laͤrmenden Haufen. Manche erfuͤllten sich dadurch mit ungeheucheltem Respect vor der trefflichen Erscheinung, andern wuͤrgte der Verdruß die Kehle ab, und sind sie nur einmal der verdammten Ehrfurcht aus dem Wege gegangen, so werdet ihr Wunder hoͤren, wie sie aufschreyen. Zu allen Diesen moͤchten wir ein Wort reden, nicht altklug und gelehrt, sondern einfaͤltiglich und bescheiden, wie's der innere Geist eingibt, um einiges Gute zu wirken bey den Guten, und allzu arge Prostitution in etwas zu verhindern bey denen, die man gemeinhin zu den Verkehrten zu rechnen pflegt.

Zuerst, welche Bewandniß es denn eigentlich um diese Dichterey habe? Wir glauben, Poesie sey eher gewesen, als die Kunst, die Begeisterung sey so vorangegangen und die Disciplin spaͤter gefolgt. Wir glauben ganz unumwunden an die Existenz einer eigenen Naturpoesie, die denen, die sie uͤben, wie im Traume anfliegt, die nicht gelernt und nicht erworben, auch nicht in der Schule erlangt wird, sondern gleich der ersten Liebe ist, die der Unwissendste in einem Augenblicke gleich ganz weiß und ohne alle Muͤhseligkeit gerade am besten dann uͤbt, wenn er am wenigsten Studien gemacht, und gradweise um so schlechter, je mehr er sie ergruͤndet hat. Wir achten die Kunst hoch, wie sich gebuͤhrt, nach der Natur aber ist staͤrkere Nachfrage. Und das wie billig; weil, waͤhrend wir uͤberall von Kunst umsponnen sind, Natur sich selten gemacht hat,

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[223/0003] andere gute Seelen sind bey dieser Unschuld zur Kirche gewesen, und sind freudig und gestaͤrkt aus dem Tempel gegangen. Hinter dem frischen Kranze von Weinlaub am Eingange glaubten Viele jungen, raschen, bizelnden Wein und den Kroͤnungsochsen zu finden, als aber die innen geschmolzenes Zinn zur Handwaschung den Eintretenden scherzend boten, da sind sie zuruͤckgefallen, und mochten sich nicht noch einmal zu den Schwarzkuͤnstlern wagen. Zarte Wesen wohl auch haben sich geaͤrgert an manchen Vorstellungen; spotten endlich wollten Viele, haͤtte nicht ernsthaft der Herr in der Loge gesessen und Stillschweigen geboten dem laͤrmenden Haufen. Manche erfuͤllten sich dadurch mit ungeheucheltem Respect vor der trefflichen Erscheinung, andern wuͤrgte der Verdruß die Kehle ab, und sind sie nur einmal der verdammten Ehrfurcht aus dem Wege gegangen, so werdet ihr Wunder hoͤren, wie sie aufschreyen. Zu allen Diesen moͤchten wir ein Wort reden, nicht altklug und gelehrt, sondern einfaͤltiglich und bescheiden, wie's der innere Geist eingibt, um einiges Gute zu wirken bey den Guten, und allzu arge Prostitution in etwas zu verhindern bey denen, die man gemeinhin zu den Verkehrten zu rechnen pflegt. Zuerst, welche Bewandniß es denn eigentlich um diese Dichterey habe? Wir glauben, Poesie sey eher gewesen, als die Kunst, die Begeisterung sey so vorangegangen und die Disciplin spaͤter gefolgt. Wir glauben ganz unumwunden an die Existenz einer eigenen Naturpoesie, die denen, die sie uͤben, wie im Traume anfliegt, die nicht gelernt und nicht erworben, auch nicht in der Schule erlangt wird, sondern gleich der ersten Liebe ist, die der Unwissendste in einem Augenblicke gleich ganz weiß und ohne alle Muͤhseligkeit gerade am besten dann uͤbt, wenn er am wenigsten Studien gemacht, und gradweise um so schlechter, je mehr er sie ergruͤndet hat. Wir achten die Kunst hoch, wie sich gebuͤhrt, nach der Natur aber ist staͤrkere Nachfrage. Und das wie billig; weil, waͤhrend wir uͤberall von Kunst umsponnen sind, Natur sich selten gemacht hat,

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Zitationshilfe: [Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_wunderhorn_1809/3>, abgerufen am 25.11.2024.