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[Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52.

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der bleiche Schein der Sagen und Mährchen in Liedern und Romanzen glimmend, matter und matter, wie die alten Formen mehr und mehr zerbröckeln. Emsig nagt die Zerstörung fort, Säule nach Säule verschleppt die Betriebsamkeit von diesen Denkmalen, und baut sich niedliche Lusthäuser zur Erholung und Ergötzlichkeit daraus. Unwillig muß der dunkle Geist, der über die greisen Ruinen die Flügel breitet, von dannen scheiden, weil sie ihm gewaltsam am Tage, wenn seine Kraft gebunden ist, Stück vor Stück entwenden, daß er selbst das alte Haus nicht mehr erkennt und die Heymath, in der er in seiner Herrlichkeit gewohnt. So Vieles hat die Geschichte untergehen lassen, zu so vielen Sprachen, Hieroglyphen, Keilschrift und vielen andern hat sie das Alphabet verloren. Diese alte Steinschrift würde auch bald unlesbar geworden seyn, wenn nicht der Geist, der hier gewacht und gesammelt hat, nicht auch früher schon gewaltet hätte, und vorbereitend, was diese vollendet haben schon in früherer Zeit, wo die Zerstörung und Verwilderung noch nicht so groß gewesen, einen Theil dieser Monumente gerettet hätte. So sind denn in dieser Sammlung alle Denksteine und Jnschriften aufgestellt, Bilder und Fragmente und künstlich Schnitzwerk geordnet, blanke Rüstungen hangen an den Wänden vertheilt, Geräthe aus vielen Zeiten und Kleidertrachten und Waffen und Jnstrumente liegen da und dort herum; alles nicht so, wie es der Zufall gibt, umhergestreut, und die Raritäten massenweise aufgehäuft, sondern verständig und geistreich geordnet, daß ein Geist durch die Bilder zieht, und alle sich als die Glieder eines Leibes zusammenfügen. Es ist der Geist der Nation, der auf dem Ganzen ruht.

Und weil diese Poesie mehr, als irgend eine andere, ein treuer Spiegel des Volkes ist, darum mögen wir auch in ihr wieder sein Wesen und seine Physionomie und die Lineamente seines Characters und seiner Art lesen und erkennen. Eben weil die neuere Zeit so nebelhaft und lüftelnd geworden ist, darum ist auch ihr Gepräge so verwischt, die Glätte und der

der bleiche Schein der Sagen und Maͤhrchen in Liedern und Romanzen glimmend, matter und matter, wie die alten Formen mehr und mehr zerbroͤckeln. Emsig nagt die Zerstoͤrung fort, Saͤule nach Saͤule verschleppt die Betriebsamkeit von diesen Denkmalen, und baut sich niedliche Lusthaͤuser zur Erholung und Ergoͤtzlichkeit daraus. Unwillig muß der dunkle Geist, der uͤber die greisen Ruinen die Fluͤgel breitet, von dannen scheiden, weil sie ihm gewaltsam am Tage, wenn seine Kraft gebunden ist, Stuͤck vor Stuͤck entwenden, daß er selbst das alte Haus nicht mehr erkennt und die Heymath, in der er in seiner Herrlichkeit gewohnt. So Vieles hat die Geschichte untergehen lassen, zu so vielen Sprachen, Hieroglyphen, Keilschrift und vielen andern hat sie das Alphabet verloren. Diese alte Steinschrift wuͤrde auch bald unlesbar geworden seyn, wenn nicht der Geist, der hier gewacht und gesammelt hat, nicht auch fruͤher schon gewaltet haͤtte, und vorbereitend, was diese vollendet haben schon in fruͤherer Zeit, wo die Zerstoͤrung und Verwilderung noch nicht so groß gewesen, einen Theil dieser Monumente gerettet haͤtte. So sind denn in dieser Sammlung alle Denksteine und Jnschriften aufgestellt, Bilder und Fragmente und kuͤnstlich Schnitzwerk geordnet, blanke Ruͤstungen hangen an den Waͤnden vertheilt, Geraͤthe aus vielen Zeiten und Kleidertrachten und Waffen und Jnstrumente liegen da und dort herum; alles nicht so, wie es der Zufall gibt, umhergestreut, und die Raritaͤten massenweise aufgehaͤuft, sondern verstaͤndig und geistreich geordnet, daß ein Geist durch die Bilder zieht, und alle sich als die Glieder eines Leibes zusammenfuͤgen. Es ist der Geist der Nation, der auf dem Ganzen ruht.

Und weil diese Poesie mehr, als irgend eine andere, ein treuer Spiegel des Volkes ist, darum moͤgen wir auch in ihr wieder sein Wesen und seine Physionomie und die Lineamente seines Characters und seiner Art lesen und erkennen. Eben weil die neuere Zeit so nebelhaft und luͤftelnd geworden ist, darum ist auch ihr Gepraͤge so verwischt, die Glaͤtte und der

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[232/0012] der bleiche Schein der Sagen und Maͤhrchen in Liedern und Romanzen glimmend, matter und matter, wie die alten Formen mehr und mehr zerbroͤckeln. Emsig nagt die Zerstoͤrung fort, Saͤule nach Saͤule verschleppt die Betriebsamkeit von diesen Denkmalen, und baut sich niedliche Lusthaͤuser zur Erholung und Ergoͤtzlichkeit daraus. Unwillig muß der dunkle Geist, der uͤber die greisen Ruinen die Fluͤgel breitet, von dannen scheiden, weil sie ihm gewaltsam am Tage, wenn seine Kraft gebunden ist, Stuͤck vor Stuͤck entwenden, daß er selbst das alte Haus nicht mehr erkennt und die Heymath, in der er in seiner Herrlichkeit gewohnt. So Vieles hat die Geschichte untergehen lassen, zu so vielen Sprachen, Hieroglyphen, Keilschrift und vielen andern hat sie das Alphabet verloren. Diese alte Steinschrift wuͤrde auch bald unlesbar geworden seyn, wenn nicht der Geist, der hier gewacht und gesammelt hat, nicht auch fruͤher schon gewaltet haͤtte, und vorbereitend, was diese vollendet haben schon in fruͤherer Zeit, wo die Zerstoͤrung und Verwilderung noch nicht so groß gewesen, einen Theil dieser Monumente gerettet haͤtte. So sind denn in dieser Sammlung alle Denksteine und Jnschriften aufgestellt, Bilder und Fragmente und kuͤnstlich Schnitzwerk geordnet, blanke Ruͤstungen hangen an den Waͤnden vertheilt, Geraͤthe aus vielen Zeiten und Kleidertrachten und Waffen und Jnstrumente liegen da und dort herum; alles nicht so, wie es der Zufall gibt, umhergestreut, und die Raritaͤten massenweise aufgehaͤuft, sondern verstaͤndig und geistreich geordnet, daß ein Geist durch die Bilder zieht, und alle sich als die Glieder eines Leibes zusammenfuͤgen. Es ist der Geist der Nation, der auf dem Ganzen ruht. Und weil diese Poesie mehr, als irgend eine andere, ein treuer Spiegel des Volkes ist, darum moͤgen wir auch in ihr wieder sein Wesen und seine Physionomie und die Lineamente seines Characters und seiner Art lesen und erkennen. Eben weil die neuere Zeit so nebelhaft und luͤftelnd geworden ist, darum ist auch ihr Gepraͤge so verwischt, die Glaͤtte und der

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Zitationshilfe: [Görres, Joseph:] [Rezension zu:] Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim u. C. Brentano. In: Heidelbergische Jahrbücher der Literatur, Fünfte Abtheilung. Philologie, Historie, schöne Literatur und Kunst, Jg. 2 (1809), Bd. 1, Heft 5, S. 222‒237 und Jg. 3 (1810), Bd. 2, Heft 9, S. 30‒52, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_wunderhorn_1809/12>, abgerufen am 25.11.2024.