Enthusiasm, ihre Haltung und ihr Geberdenspiel und Alles ihnen nachstümpern, daß es ein kläglicher Anblick für Götter und Menschen ist. Ernst und würdig sind die Gestalten, zu edel für eine solche Mummerey; wenn wir sie dafür mißbrauchen wollen, dann lassen wir sie lieber unten schlafen. Nimmer läßt sich, was eigen- thümlich einer Zeit und einer Bildungsstufe ist, in einer Andern unmittelbar objectiv erreichen. Es kann wohl das Genie das Vergangene eben auch zum Objecte seiner bildenden Thätigkeit erwählen, es wird alsdann das Wesen des Alten in die Form des Neuen umgebil- det, oder auch hinwiederum das Wesen des Neuen in die alte Form übertragen, und es entsteht eine halb- schlägtige Natur, die aber immer ihre innerste Wurzel in der Gegenwart hat. Das aber ist's nicht, was vor der Hand uns noth thut, nicht daß wir das Alte um- bilden nach uns selbst, wird an uns gefordert, sondern daß wir uns in etwas nach dem Alten bildeten; daß wir an ihm aus der Zerflossenheit uns sammelten, in der wir zerronnen sind; daß wir einen Kern in uns selbst gestalten und einen festen Widerhalt, damit in uns nicht das eigene Selbst fernerhin verloren bleibt, das wird uns angemuthet. Ernst sollen wir und Würde von diesen ernsten Gestalten lernen, die uns Beide so unendlich im Leben fehlen; im Vertrauen auf uns
39.
Enthuſiasm, ihre Haltung und ihr Geberdenſpiel und Alles ihnen nachſtümpern, daß es ein kläglicher Anblick für Götter und Menſchen iſt. Ernſt und würdig ſind die Geſtalten, zu edel für eine ſolche Mummerey; wenn wir ſie dafür mißbrauchen wollen, dann laſſen wir ſie lieber unten ſchlafen. Nimmer läßt ſich, was eigen- thümlich einer Zeit und einer Bildungsſtufe iſt, in einer Andern unmittelbar objectiv erreichen. Es kann wohl das Genie das Vergangene eben auch zum Objecte ſeiner bildenden Thätigkeit erwählen, es wird alsdann das Weſen des Alten in die Form des Neuen umgebil- det, oder auch hinwiederum das Weſen des Neuen in die alte Form übertragen, und es entſteht eine halb- ſchlägtige Natur, die aber immer ihre innerſte Wurzel in der Gegenwart hat. Das aber iſt’s nicht, was vor der Hand uns noth thut, nicht daß wir das Alte um- bilden nach uns ſelbſt, wird an uns gefordert, ſondern daß wir uns in etwas nach dem Alten bildeten; daß wir an ihm aus der Zerfloſſenheit uns ſammelten, in der wir zerronnen ſind; daß wir einen Kern in uns ſelbſt geſtalten und einen feſten Widerhalt, damit in uns nicht das eigene Selbſt fernerhin verloren bleibt, das wird uns angemuthet. Ernſt ſollen wir und Würde von dieſen ernſten Geſtalten lernen, die uns Beide ſo unendlich im Leben fehlen; im Vertrauen auf uns
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Enthuſiasm, ihre Haltung und ihr Geberdenſpiel und
Alles ihnen nachſtümpern, daß es ein kläglicher Anblick
für Götter und Menſchen iſt. Ernſt und würdig ſind
die Geſtalten, zu edel für eine ſolche Mummerey; wenn
wir ſie dafür mißbrauchen wollen, dann laſſen wir ſie
lieber unten ſchlafen. Nimmer läßt ſich, was eigen-
thümlich einer Zeit und einer Bildungsſtufe iſt, in
einer Andern unmittelbar objectiv erreichen. Es kann
wohl das Genie das Vergangene eben auch zum Objecte
ſeiner bildenden Thätigkeit erwählen, es wird alsdann
das Weſen des Alten in die Form des Neuen umgebil-
det, oder auch hinwiederum das Weſen des Neuen in
die alte Form übertragen, und es entſteht eine halb-
ſchlägtige Natur, die aber immer ihre innerſte Wurzel
in der Gegenwart hat. Das aber iſt’s nicht, was vor
der Hand uns noth thut, nicht daß wir das Alte um-
bilden nach uns ſelbſt, wird an uns gefordert, ſondern
daß wir uns in etwas nach dem Alten bildeten; daß
wir an ihm aus der Zerfloſſenheit uns ſammelten, in
der wir zerronnen ſind; daß wir einen Kern in uns
ſelbſt geſtalten und einen feſten Widerhalt, damit in uns
nicht das eigene Selbſt fernerhin verloren bleibt, das
wird uns angemuthet. Ernſt ſollen wir und Würde
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/323>, abgerufen am 23.11.2024.
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