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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

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Henker, -- ich verlache dich.
Komm fessel mich, komm tödte mich!
Bring alle Marter, Feuer und Schwerd,
Vertilg mich heimlich von der Erd,
Der Himmel wird's sehen, -- hören die Welt,
Mein Siegfried lebt, es lebt mein Held.

Unendlich bescheiden steht das Volksbuch hinter
diesen Efulgurationen der poetischen Kraft, aber in
dem ruhigen, stillen, lieblichen Schein, in dem es
strahlt, bricht derselbe poetische Geist, nur leise
phosphoreszirend hervor, der in Tieks und Müllers
Werken in lichten Flammen aufbrennt und glüht.

Das Volksbuch ist gearbeitet nach der Schrifft des
Pater Ceriziers: L'innocence reconnue, das in
einem pretiösen, geschraubten Tone die Begebenheiten
erzählt, und sich dabei auf des Puteanus St. Geno-
vevae Iconismus, Raderi Bavaria pia
und Aubert
le Mires Chronicon belgicum a Julio Caesare ad
annum 1636,
als seine Gewährsmänner beruft. Der
teutsche Bearbeiter, indem er das Buch zum Grunde
legte, hat eine ganz verständige Auswahl, und zugleich
mit ihr den Ton getroffen, der einer Schrift dieser Art
zukömmt. So erzählt der Jesuit, wie der Wolf der
Genoveva das Schaaffell gebracht: "Die fromme Gräfinn

32.
Henker, — ich verlache dich.
Komm feſſel mich, komm tödte mich!
Bring alle Marter, Feuer und Schwerd,
Vertilg mich heimlich von der Erd,
Der Himmel wird’s ſehen, — hören die Welt,
Mein Siegfried lebt, es lebt mein Held.

Unendlich beſcheiden ſteht das Volksbuch hinter
dieſen Efulgurationen der poetiſchen Kraft, aber in
dem ruhigen, ſtillen, lieblichen Schein, in dem es
ſtrahlt, bricht derſelbe poetiſche Geiſt, nur leiſe
phosphoreszirend hervor, der in Tieks und Müllers
Werken in lichten Flammen aufbrennt und glüht.

Das Volksbuch iſt gearbeitet nach der Schrifft des
Pater Ceriziers: L’innocence reconnue, das in
einem pretiöſen, geſchraubten Tone die Begebenheiten
erzählt, und ſich dabei auf des Puteanus St. Geno-
vevae Iconismus, Raderi Bavaria pia
und Aubert
le Mires Chronicon belgicum a Julio Caesare ad
annum 1636,
als ſeine Gewährsmänner beruft. Der
teutſche Bearbeiter, indem er das Buch zum Grunde
legte, hat eine ganz verſtändige Auswahl, und zugleich
mit ihr den Ton getroffen, der einer Schrift dieſer Art
zukömmt. So erzählt der Jeſuit, wie der Wolf der
Genoveva das Schaaffell gebracht: „Die fromme Gräfinn

32.
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[249/0267] Henker, — ich verlache dich. Komm feſſel mich, komm tödte mich! Bring alle Marter, Feuer und Schwerd, Vertilg mich heimlich von der Erd, Der Himmel wird’s ſehen, — hören die Welt, Mein Siegfried lebt, es lebt mein Held. Unendlich beſcheiden ſteht das Volksbuch hinter dieſen Efulgurationen der poetiſchen Kraft, aber in dem ruhigen, ſtillen, lieblichen Schein, in dem es ſtrahlt, bricht derſelbe poetiſche Geiſt, nur leiſe phosphoreszirend hervor, der in Tieks und Müllers Werken in lichten Flammen aufbrennt und glüht. Das Volksbuch iſt gearbeitet nach der Schrifft des Pater Ceriziers: L’innocence reconnue, das in einem pretiöſen, geſchraubten Tone die Begebenheiten erzählt, und ſich dabei auf des Puteanus St. Geno- vevae Iconismus, Raderi Bavaria pia und Aubert le Mires Chronicon belgicum a Julio Caesare ad annum 1636, als ſeine Gewährsmänner beruft. Der teutſche Bearbeiter, indem er das Buch zum Grunde legte, hat eine ganz verſtändige Auswahl, und zugleich mit ihr den Ton getroffen, der einer Schrift dieſer Art zukömmt. So erzählt der Jeſuit, wie der Wolf der Genoveva das Schaaffell gebracht: „Die fromme Gräfinn 32.

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Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/267>, abgerufen am 24.11.2024.