einem Flüßchen aufwärts, und sah endlich ein Schloß auf einem Berge; er drang mit Mühe heran, und kam endlich gegen Abend vor das Thor. Er rief und schrie mit Macht, weil er in drei Tagen nichts gegessen, und vom kalten Regen schier naß geworden war. Helena wurde begierig wieder einen Menschen zu sehen, und lief heraus, sie beriethen sich unter einander, und end- lich ließen sie den Bittenden herein, da sie ihn nicht kannten, weil er sich in den fünf Jahren Haar und Bart wachsen lassen. Er aber kannte sie wohl, und gab sich auf Befragen für einen Ritter von Hungarn aus. Helena fragte ihn um den Kayser, und er be- richtete ihr, er sey seit einem Jahre schon gestorben; und als sie darüber ihre Freude bezeigte, fragte er: und wenn ihr den Kaiser löblicher Gedächtniß, sowohl in euerer Gewalt, als ihr mich habt, bekämet, wie wolltet ihr ihn aufnehmen? Dem antwortete sie: ich wollt es mit meinem Liebsten dahin bringen, daß er den Morgen nicht erleben sollt. Der Kaiser zog am Mor- gen ab, nahm Ort und Gelegenheit wahr, wurde in Regensburg mit Freuden empfangen, versammelte viel Volks, das er mit Holzäxten bewaffnete, ließ Wege durch den Wald hauen, rückte vors Schloß, und als der Graf hervorkam und nach dem Urheber des Ge- tümmels fragte, ward ihm zur Antwort, der Kaiser
einem Flüßchen aufwärts, und ſah endlich ein Schloß auf einem Berge; er drang mit Mühe heran, und kam endlich gegen Abend vor das Thor. Er rief und ſchrie mit Macht, weil er in drei Tagen nichts gegeſſen, und vom kalten Regen ſchier naß geworden war. Helena wurde begierig wieder einen Menſchen zu ſehen, und lief heraus, ſie beriethen ſich unter einander, und end- lich ließen ſie den Bittenden herein, da ſie ihn nicht kannten, weil er ſich in den fünf Jahren Haar und Bart wachſen laſſen. Er aber kannte ſie wohl, und gab ſich auf Befragen für einen Ritter von Hungarn aus. Helena fragte ihn um den Kayſer, und er be- richtete ihr, er ſey ſeit einem Jahre ſchon geſtorben; und als ſie darüber ihre Freude bezeigte, fragte er: und wenn ihr den Kaiſer löblicher Gedächtniß, ſowohl in euerer Gewalt, als ihr mich habt, bekämet, wie wolltet ihr ihn aufnehmen? Dem antwortete ſie: ich wollt es mit meinem Liebſten dahin bringen, daß er den Morgen nicht erleben ſollt. Der Kaiſer zog am Mor- gen ab, nahm Ort und Gelegenheit wahr, wurde in Regensburg mit Freuden empfangen, verſammelte viel Volks, das er mit Holzäxten bewaffnete, ließ Wege durch den Wald hauen, rückte vors Schloß, und als der Graf hervorkam und nach dem Urheber des Ge- tümmels fragte, ward ihm zur Antwort, der Kaiſer
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[88/0106]
einem Flüßchen aufwärts, und ſah endlich ein Schloß
auf einem Berge; er drang mit Mühe heran, und kam
endlich gegen Abend vor das Thor. Er rief und ſchrie
mit Macht, weil er in drei Tagen nichts gegeſſen, und
vom kalten Regen ſchier naß geworden war. Helena
wurde begierig wieder einen Menſchen zu ſehen, und
lief heraus, ſie beriethen ſich unter einander, und end-
lich ließen ſie den Bittenden herein, da ſie ihn nicht
kannten, weil er ſich in den fünf Jahren Haar und
Bart wachſen laſſen. Er aber kannte ſie wohl, und
gab ſich auf Befragen für einen Ritter von Hungarn
aus. Helena fragte ihn um den Kayſer, und er be-
richtete ihr, er ſey ſeit einem Jahre ſchon geſtorben;
und als ſie darüber ihre Freude bezeigte, fragte er:
und wenn ihr den Kaiſer löblicher Gedächtniß, ſowohl
in euerer Gewalt, als ihr mich habt, bekämet, wie
wolltet ihr ihn aufnehmen? Dem antwortete ſie: ich
wollt es mit meinem Liebſten dahin bringen, daß er den
Morgen nicht erleben ſollt. Der Kaiſer zog am Mor-
gen ab, nahm Ort und Gelegenheit wahr, wurde in
Regensburg mit Freuden empfangen, verſammelte viel
Volks, das er mit Holzäxten bewaffnete, ließ Wege
durch den Wald hauen, rückte vors Schloß, und als
der Graf hervorkam und nach dem Urheber des Ge-
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Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/106>, abgerufen am 16.02.2025.
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