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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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die wie die Alten das griechische Wissen, so und in
noch größerem Maaße die Weisheit der Zeit bemei¬
stern, daß sie sich freywillig vor ihrer Herrin beugt,
und die Wissenschaften wieder ihr Haupt mit ihrer Ster¬
nenkrone kränzen. Sie werden nicht etwa ein Pfaffenthum
begründen, das unter dem Vorwande des Heiligen blos ir¬
dische Zwecke verfolgt, gemeine Leidenschaften für Ein¬
gebungen eines höheren Geistes geltend zu machen
versucht, verschmitzter Herrschsucht fröhnt, oder in
feistem Wohlleben sich gefällt: das Alles ist gebro¬
chen, zerrissen und abgethan, und nimmermehr wird
die Zeit sich zu seiner Herstellung bereden lassen. Aber
ein würdiges Priesterthum wird sie wieder gewinnen,
das zwar wie alles Irdische an einer Wurzel auf
Erden befestigt ist, dessen Domäne aber in dem stets
sich erweiternden geistigen Reiche liegt, und aus dessen
Munde jener längst verheissene Paraclet reden wird,
dessen die Zeit so oft geharrt.

Man mag solche Ansicht chiliastische Thorheit
schelten, aber auf solche Thorheit war das Christen¬
thum gebaut, das die Gestalt der Welt verwandelt
hat, und der jetzige Geist einer scharfen, kalten Welt¬
klugheit in ihrer religiösen Sonnenferne wird wenigstens
nicht unsterblicher seyn, als die Begeisterung früherer
Zeiten in der warmen Sonnennähe.Es kann aber je¬
ner klügelnde Geist eben keinen andern Weg angeben,
der nicht durch Blutvergießen, Bürgerkrieg, Aufstand
und Frevel führt; vor Allem aber wird die Hoffnung
verlarvter Gier, die da glaubt auf dem Wege des
Territorialsystems durch Unterjochung der verschied¬
nen Stämme zur Oberherrschaft zu gelangen, an dem
erwachten Nationalgefühle und den vielen unbezwing¬
baren Gegensätzen, die Gott in die Nation gelegt,
aufs schmählichste zu Schanden werden; und minder
phantastisch ist eine teutsche Republik, und näher liegt
ein Bundesstaat in den Formen des Amerikanischen
der Gegenwart, als eine solche Hegemonie, die keiner
sich gefallen zu lassen die mindeste Neigung hat. Da¬
rum ist, da die Natur der Dinge selbst alle Neben¬
wege gänzlich abgeschnitten, der einzige gerade, hi¬

die wie die Alten das griechiſche Wiſſen, ſo und in
noch größerem Maaße die Weisheit der Zeit bemei¬
ſtern, daß ſie ſich freywillig vor ihrer Herrin beugt,
und die Wiſſenſchaften wieder ihr Haupt mit ihrer Ster¬
nenkrone kränzen. Sie werden nicht etwa ein Pfaffenthum
begründen, das unter dem Vorwande des Heiligen blos ir¬
diſche Zwecke verfolgt, gemeine Leidenſchaften für Ein¬
gebungen eines höheren Geiſtes geltend zu machen
verſucht, verſchmitzter Herrſchſucht fröhnt, oder in
feiſtem Wohlleben ſich gefällt: das Alles iſt gebro¬
chen, zerriſſen und abgethan, und nimmermehr wird
die Zeit ſich zu ſeiner Herſtellung bereden laſſen. Aber
ein würdiges Prieſterthum wird ſie wieder gewinnen,
das zwar wie alles Irdiſche an einer Wurzel auf
Erden befeſtigt iſt, deſſen Domäne aber in dem ſtets
ſich erweiternden geiſtigen Reiche liegt, und aus deſſen
Munde jener längſt verheiſſene Paraclet reden wird,
deſſen die Zeit ſo oft geharrt.

Man mag ſolche Anſicht chiliaſtiſche Thorheit
ſchelten, aber auf ſolche Thorheit war das Chriſten¬
thum gebaut, das die Geſtalt der Welt verwandelt
hat, und der jetzige Geiſt einer ſcharfen, kalten Welt¬
klugheit in ihrer religiöſen Sonnenferne wird wenigſtens
nicht unſterblicher ſeyn, als die Begeiſterung früherer
Zeiten in der warmen Sonnennähe.Es kann aber je¬
ner klügelnde Geiſt eben keinen andern Weg angeben,
der nicht durch Blutvergießen, Bürgerkrieg, Aufſtand
und Frevel führt; vor Allem aber wird die Hoffnung
verlarvter Gier, die da glaubt auf dem Wege des
Territorialſyſtems durch Unterjochung der verſchied¬
nen Stämme zur Oberherrſchaft zu gelangen, an dem
erwachten Nationalgefühle und den vielen unbezwing¬
baren Gegenſätzen, die Gott in die Nation gelegt,
aufs ſchmählichſte zu Schanden werden; und minder
phantaſtiſch iſt eine teutſche Republik, und näher liegt
ein Bundesſtaat in den Formen des Amerikaniſchen
der Gegenwart, als eine ſolche Hegemonie, die keiner
ſich gefallen zu laſſen die mindeſte Neigung hat. Da¬
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[203/0211] die wie die Alten das griechiſche Wiſſen, ſo und in noch größerem Maaße die Weisheit der Zeit bemei¬ ſtern, daß ſie ſich freywillig vor ihrer Herrin beugt, und die Wiſſenſchaften wieder ihr Haupt mit ihrer Ster¬ nenkrone kränzen. Sie werden nicht etwa ein Pfaffenthum begründen, das unter dem Vorwande des Heiligen blos ir¬ diſche Zwecke verfolgt, gemeine Leidenſchaften für Ein¬ gebungen eines höheren Geiſtes geltend zu machen verſucht, verſchmitzter Herrſchſucht fröhnt, oder in feiſtem Wohlleben ſich gefällt: das Alles iſt gebro¬ chen, zerriſſen und abgethan, und nimmermehr wird die Zeit ſich zu ſeiner Herſtellung bereden laſſen. Aber ein würdiges Prieſterthum wird ſie wieder gewinnen, das zwar wie alles Irdiſche an einer Wurzel auf Erden befeſtigt iſt, deſſen Domäne aber in dem ſtets ſich erweiternden geiſtigen Reiche liegt, und aus deſſen Munde jener längſt verheiſſene Paraclet reden wird, deſſen die Zeit ſo oft geharrt. Man mag ſolche Anſicht chiliaſtiſche Thorheit ſchelten, aber auf ſolche Thorheit war das Chriſten¬ thum gebaut, das die Geſtalt der Welt verwandelt hat, und der jetzige Geiſt einer ſcharfen, kalten Welt¬ klugheit in ihrer religiöſen Sonnenferne wird wenigſtens nicht unſterblicher ſeyn, als die Begeiſterung früherer Zeiten in der warmen Sonnennähe.Es kann aber je¬ ner klügelnde Geiſt eben keinen andern Weg angeben, der nicht durch Blutvergießen, Bürgerkrieg, Aufſtand und Frevel führt; vor Allem aber wird die Hoffnung verlarvter Gier, die da glaubt auf dem Wege des Territorialſyſtems durch Unterjochung der verſchied¬ nen Stämme zur Oberherrſchaft zu gelangen, an dem erwachten Nationalgefühle und den vielen unbezwing¬ baren Gegenſätzen, die Gott in die Nation gelegt, aufs ſchmählichſte zu Schanden werden; und minder phantaſtiſch iſt eine teutſche Republik, und näher liegt ein Bundesſtaat in den Formen des Amerikaniſchen der Gegenwart, als eine ſolche Hegemonie, die keiner ſich gefallen zu laſſen die mindeſte Neigung hat. Da¬ rum iſt, da die Natur der Dinge ſelbſt alle Neben¬ wege gänzlich abgeſchnitten, der einzige gerade, hi¬

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/211>, abgerufen am 02.05.2024.