Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und Unterdessen wird denn auch der religiöse Sinn wie¬ tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬ <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0209" n="201"/> tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und<lb/> nicht allein durch ſich, ſondern auch noch durch die<lb/> reiche Erbe alter im Gedächtniſſe des Volkes immer<lb/> gegenwärtiger Ehre gelten, und darum ſeine Achtung<lb/> zugleich mit ſeiner Neigung und Dankbarkeit an ſich<lb/> feſſeln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen,<lb/> nichtigen Weſen zuzuwenden nicht in Verſuchung kömmt.<lb/> Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutſchen<lb/> Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen ſchon jetzt<lb/> beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre<lb/> Vielheit zwar ein koſtbares Gut ſey, das ſie beynahe vor<lb/> allen jetzigen Völkern ſich erhalten; daß dieſer Segen<lb/> aber zu einem Fluche werden müſſe, wenn ihr keine<lb/> bindende Einheit gegeben wird; und dieſe wird, wenn<lb/> manche Eidgenoſſenſchaft ſich als nicht hinreichend im<lb/> Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬<lb/> heit erwieſen, wohl auch einmal wieder von einem<lb/> ſtarken Geſchlechte gehandhabt werden, das die Krone<lb/> Carls des Großen unter ihrer Laſt nicht niederdrückt,<lb/> dem ſein Mantel gerecht, und das ſein Schwerd zu<lb/> ſchwingen im Stande iſt.</p><lb/> <p>Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬<lb/> der ſich ſeiner jetzigen Beſchloſſenheit entwinden, und<lb/> man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion<lb/> nicht das Mährchen iſt, das die Amme Goldmund<lb/> den kindiſch horchenden Völkern vorerzählt; ſondern<lb/> das Band, das die Geiſter eint, das Wort des bil¬<lb/> denden Weltgeiſtes in der Menſchenſprache ausgeſpro¬<lb/> chen; daß ſelbſt die Natur bewußtlos ihre Myſterien<lb/> feyert; daß der Staat nur das Erdgeſchoß der Kirche<lb/> iſt, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wiſ¬<lb/> ſenſchaften ſelbſt ein Gottesdienſt. In der katholiſchen<lb/> Geiſtlichkeit wird aus der ſittlichen Reinheit, die ſie<lb/> durchgängig in Teutſchland noch immerfort bezeichnet,<lb/> wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm<lb/> ſich jene Begeiſtrung entzünden, die die jetzige Erſtar¬<lb/> rung löſt, und den Formen den vergeßnen Inhalt<lb/> wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬<lb/> pfer, ſchwerer Obſcurantism zu dieſem Ziele führt, der<lb/> in unverſtändigem Eifer Gottes edelſte Gabe das Licht<lb/></p> </body> </text> </TEI> [201/0209]
tertypen das blos Vorübergehende überdauern, und
nicht allein durch ſich, ſondern auch noch durch die
reiche Erbe alter im Gedächtniſſe des Volkes immer
gegenwärtiger Ehre gelten, und darum ſeine Achtung
zugleich mit ſeiner Neigung und Dankbarkeit an ſich
feſſeln, die es Beydes dem jetzigen dürren, hohlen,
nichtigen Weſen zuzuwenden nicht in Verſuchung kömmt.
Dann wird auch die Zeit wieder kommen, wo alle teutſchen
Stämme nach der Erkenntniß, die ihnen ſchon jetzt
beywohnt, auch handeln werden, begreifend daß ihre
Vielheit zwar ein koſtbares Gut ſey, das ſie beynahe vor
allen jetzigen Völkern ſich erhalten; daß dieſer Segen
aber zu einem Fluche werden müſſe, wenn ihr keine
bindende Einheit gegeben wird; und dieſe wird, wenn
manche Eidgenoſſenſchaft ſich als nicht hinreichend im
Drange der Zeit für die gemeine Freyheit und Sicher¬
heit erwieſen, wohl auch einmal wieder von einem
ſtarken Geſchlechte gehandhabt werden, das die Krone
Carls des Großen unter ihrer Laſt nicht niederdrückt,
dem ſein Mantel gerecht, und das ſein Schwerd zu
ſchwingen im Stande iſt.
Unterdeſſen wird denn auch der religiöſe Sinn wie¬
der ſich ſeiner jetzigen Beſchloſſenheit entwinden, und
man wird wieder allgemein erkennen, daß Religion
nicht das Mährchen iſt, das die Amme Goldmund
den kindiſch horchenden Völkern vorerzählt; ſondern
das Band, das die Geiſter eint, das Wort des bil¬
denden Weltgeiſtes in der Menſchenſprache ausgeſpro¬
chen; daß ſelbſt die Natur bewußtlos ihre Myſterien
feyert; daß der Staat nur das Erdgeſchoß der Kirche
iſt, und das öffentliche Leben und die Pflege der Wiſ¬
ſenſchaften ſelbſt ein Gottesdienſt. In der katholiſchen
Geiſtlichkeit wird aus der ſittlichen Reinheit, die ſie
durchgängig in Teutſchland noch immerfort bezeichnet,
wieder leicht jener höhere Sinn erblühen, und in ihm
ſich jene Begeiſtrung entzünden, die die jetzige Erſtar¬
rung löſt, und den Formen den vergeßnen Inhalt
wieder giebt. Sie wird erkennen, daß nicht ein dum¬
pfer, ſchwerer Obſcurantism zu dieſem Ziele führt, der
in unverſtändigem Eifer Gottes edelſte Gabe das Licht
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