Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mit diesen Worten stand sie auf und trat ans Fenster. Der Francois sollte nicht sehen, daß ihr Thränen ins Auge stiegen; aber die zitternde Stimme verrieth ihre Bewegung und that Francois zugleich wohl und weh. Rede nicht zu, daß ich bleiben soll! rief er aus. Der Henriot hat mich gehalten, als ob ich sein leiblicher Bruder wäre . . . ich will nicht zum Schurken an ihm werden. Stundenlang bin ich heute herumgelaufen; habe mir selber zugeredet und endlich gemeint, ich wäre vernünftig geworden wie du . . . Aber dann habe ich dich mit dem Henriot gehen sehen, und da war wieder Alles aus . . . Und wenn du gar erst sein Weib bist . . . wenn ich mir vorstellen muß . . . Nein, Claudine, ich muß fort! Es giebt ein Unglück, wenn ich bleibe. Claudine hatte die Stirn an das Fenster gedrückt und blieb unbeweglich stehen. Francois trat zu ihr. Willst du mir zum Abschied nicht die Hand geben? fragte er. Sie wendete sich um. Ihr Antlitz war von Thränen überströmt, und im nächsten Augenblick -- sie wußten Beide nicht, wie es geschah -- lag sie in seinen Armen und sträubte sich nicht, als er sie mit heißen Lippen küßte. Der Schmerz der Trennung hatte ihren Stolz besiegt, sie vergaß, was zwischen ihnen stand, wußte nur noch, daß sie ihn liebte, und wenn Francois jetzt das Mit diesen Worten stand sie auf und trat ans Fenster. Der François sollte nicht sehen, daß ihr Thränen ins Auge stiegen; aber die zitternde Stimme verrieth ihre Bewegung und that François zugleich wohl und weh. Rede nicht zu, daß ich bleiben soll! rief er aus. Der Henriot hat mich gehalten, als ob ich sein leiblicher Bruder wäre . . . ich will nicht zum Schurken an ihm werden. Stundenlang bin ich heute herumgelaufen; habe mir selber zugeredet und endlich gemeint, ich wäre vernünftig geworden wie du . . . Aber dann habe ich dich mit dem Henriot gehen sehen, und da war wieder Alles aus . . . Und wenn du gar erst sein Weib bist . . . wenn ich mir vorstellen muß . . . Nein, Claudine, ich muß fort! Es giebt ein Unglück, wenn ich bleibe. Claudine hatte die Stirn an das Fenster gedrückt und blieb unbeweglich stehen. François trat zu ihr. Willst du mir zum Abschied nicht die Hand geben? fragte er. Sie wendete sich um. Ihr Antlitz war von Thränen überströmt, und im nächsten Augenblick — sie wußten Beide nicht, wie es geschah — lag sie in seinen Armen und sträubte sich nicht, als er sie mit heißen Lippen küßte. Der Schmerz der Trennung hatte ihren Stolz besiegt, sie vergaß, was zwischen ihnen stand, wußte nur noch, daß sie ihn liebte, und wenn François jetzt das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <pb facs="#f0045"/> <p>Mit diesen Worten stand sie auf und trat ans Fenster. Der François sollte nicht sehen, daß ihr Thränen ins Auge stiegen; aber die zitternde Stimme verrieth ihre Bewegung und that François zugleich wohl und weh.</p><lb/> <p>Rede nicht zu, daß ich bleiben soll! rief er aus. Der Henriot hat mich gehalten, als ob ich sein leiblicher Bruder wäre . . . ich will nicht zum Schurken an ihm werden. Stundenlang bin ich heute herumgelaufen; habe mir selber zugeredet und endlich gemeint, ich wäre vernünftig geworden wie du . . . Aber dann habe ich dich mit dem Henriot gehen sehen, und da war wieder Alles aus . . . Und wenn du gar erst sein Weib bist . . . wenn ich mir vorstellen muß . . . Nein, Claudine, ich muß fort! Es giebt ein Unglück, wenn ich bleibe.</p><lb/> <p>Claudine hatte die Stirn an das Fenster gedrückt und blieb unbeweglich stehen. François trat zu ihr.</p><lb/> <p>Willst du mir zum Abschied nicht die Hand geben? fragte er.</p><lb/> <p>Sie wendete sich um. Ihr Antlitz war von Thränen überströmt, und im nächsten Augenblick — sie wußten Beide nicht, wie es geschah — lag sie in seinen Armen und sträubte sich nicht, als er sie mit heißen Lippen küßte.</p><lb/> <p>Der Schmerz der Trennung hatte ihren Stolz besiegt, sie vergaß, was zwischen ihnen stand, wußte nur noch, daß sie ihn liebte, und wenn François jetzt das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
Mit diesen Worten stand sie auf und trat ans Fenster. Der François sollte nicht sehen, daß ihr Thränen ins Auge stiegen; aber die zitternde Stimme verrieth ihre Bewegung und that François zugleich wohl und weh.
Rede nicht zu, daß ich bleiben soll! rief er aus. Der Henriot hat mich gehalten, als ob ich sein leiblicher Bruder wäre . . . ich will nicht zum Schurken an ihm werden. Stundenlang bin ich heute herumgelaufen; habe mir selber zugeredet und endlich gemeint, ich wäre vernünftig geworden wie du . . . Aber dann habe ich dich mit dem Henriot gehen sehen, und da war wieder Alles aus . . . Und wenn du gar erst sein Weib bist . . . wenn ich mir vorstellen muß . . . Nein, Claudine, ich muß fort! Es giebt ein Unglück, wenn ich bleibe.
Claudine hatte die Stirn an das Fenster gedrückt und blieb unbeweglich stehen. François trat zu ihr.
Willst du mir zum Abschied nicht die Hand geben? fragte er.
Sie wendete sich um. Ihr Antlitz war von Thränen überströmt, und im nächsten Augenblick — sie wußten Beide nicht, wie es geschah — lag sie in seinen Armen und sträubte sich nicht, als er sie mit heißen Lippen küßte.
Der Schmerz der Trennung hatte ihren Stolz besiegt, sie vergaß, was zwischen ihnen stand, wußte nur noch, daß sie ihn liebte, und wenn François jetzt das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T15:29:37Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |