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Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Bardet machte dem Mißmuth Luft, indem er sich mit seinem Bruder Philipp über Politik zankte; Philipp Bardet's Frau schalt unaufhörlich mit ihren vier Kindern, die mit dem wilden Henri der Base Jeanneton einen Heidenlärm vollführten; die Base Jeanneton lamentirte wie gewöhnlich über ihr trauriges Wittwenloos, für das sie den Henriot zu interessiren suchte; der Vetter Roubin steckte seine Spürnase in alle Winkel und fiel dann ebenfalls in seiner neugierigen Weise über den Henriot her, der sich in dieser Umgebung wie verrathen und verkauft fühlte; der Francois war einsilbiger als man ihn je gesehen hatte, die Claudine ließ sich kaum blicken, weil der Stiefvater ihrer Pflege bedurfte, und so war's der Hausfrau eine wahre Erlösung, als sich endlich die ganze Gesellschaft zur Ruhe begab.

Nur für Claudine war von Ruhe nicht die Rede. Sie hatte sich's nicht nehmen lassen, bei dem Stiefvater zu bleiben, der einmal an sie gewöhnt war und sie mit seinen tausend Wünschen und Befehlen die ganze Nacht wach erhielt. Gegen Morgen endlich schlief er ein.

Claudine trat ans Fenster; es war dumpfig in der engen Kammer, aber draußen winkte die Morgenfrische; über den Eichen lag ein rosiger Schimmer, zwitschernde Schwalben flogen hin und her, von den leichtbewegten Weinranken am Fenster tropfte der Thau; sie konnte der Lockung nicht widerstehen, schlüpfte vorsichtig hinaus und ging in den Garten.

Die Luft war kühl, der Himmel klar, Alles ath-

Bardet machte dem Mißmuth Luft, indem er sich mit seinem Bruder Philipp über Politik zankte; Philipp Bardet's Frau schalt unaufhörlich mit ihren vier Kindern, die mit dem wilden Henri der Base Jeanneton einen Heidenlärm vollführten; die Base Jeanneton lamentirte wie gewöhnlich über ihr trauriges Wittwenloos, für das sie den Henriot zu interessiren suchte; der Vetter Roubin steckte seine Spürnase in alle Winkel und fiel dann ebenfalls in seiner neugierigen Weise über den Henriot her, der sich in dieser Umgebung wie verrathen und verkauft fühlte; der François war einsilbiger als man ihn je gesehen hatte, die Claudine ließ sich kaum blicken, weil der Stiefvater ihrer Pflege bedurfte, und so war's der Hausfrau eine wahre Erlösung, als sich endlich die ganze Gesellschaft zur Ruhe begab.

Nur für Claudine war von Ruhe nicht die Rede. Sie hatte sich's nicht nehmen lassen, bei dem Stiefvater zu bleiben, der einmal an sie gewöhnt war und sie mit seinen tausend Wünschen und Befehlen die ganze Nacht wach erhielt. Gegen Morgen endlich schlief er ein.

Claudine trat ans Fenster; es war dumpfig in der engen Kammer, aber draußen winkte die Morgenfrische; über den Eichen lag ein rosiger Schimmer, zwitschernde Schwalben flogen hin und her, von den leichtbewegten Weinranken am Fenster tropfte der Thau; sie konnte der Lockung nicht widerstehen, schlüpfte vorsichtig hinaus und ging in den Garten.

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[0019] Bardet machte dem Mißmuth Luft, indem er sich mit seinem Bruder Philipp über Politik zankte; Philipp Bardet's Frau schalt unaufhörlich mit ihren vier Kindern, die mit dem wilden Henri der Base Jeanneton einen Heidenlärm vollführten; die Base Jeanneton lamentirte wie gewöhnlich über ihr trauriges Wittwenloos, für das sie den Henriot zu interessiren suchte; der Vetter Roubin steckte seine Spürnase in alle Winkel und fiel dann ebenfalls in seiner neugierigen Weise über den Henriot her, der sich in dieser Umgebung wie verrathen und verkauft fühlte; der François war einsilbiger als man ihn je gesehen hatte, die Claudine ließ sich kaum blicken, weil der Stiefvater ihrer Pflege bedurfte, und so war's der Hausfrau eine wahre Erlösung, als sich endlich die ganze Gesellschaft zur Ruhe begab. Nur für Claudine war von Ruhe nicht die Rede. Sie hatte sich's nicht nehmen lassen, bei dem Stiefvater zu bleiben, der einmal an sie gewöhnt war und sie mit seinen tausend Wünschen und Befehlen die ganze Nacht wach erhielt. Gegen Morgen endlich schlief er ein. Claudine trat ans Fenster; es war dumpfig in der engen Kammer, aber draußen winkte die Morgenfrische; über den Eichen lag ein rosiger Schimmer, zwitschernde Schwalben flogen hin und her, von den leichtbewegten Weinranken am Fenster tropfte der Thau; sie konnte der Lockung nicht widerstehen, schlüpfte vorsichtig hinaus und ging in den Garten. Die Luft war kühl, der Himmel klar, Alles ath-

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Zitationshilfe: Glümer, Claire von: Reich zu reich und arm zu arm. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 255–326. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gluemer_arm_1910/19>, abgerufen am 25.11.2024.