Die erste Frage anlangend, so setzen wir als Grund- satz des heutigen Rechts fest, daß diejenigen Rechte der elterlichen Gewalt, die sich über die Per- son der Kinder erstrecken, beyden Eltern ge- meinschaftlich zustehen. Dies ist teutschen Rechtens. Denn wenn gleich nach dem neuern römischen Recht 82) der Mutter einige Gewalt über ihre Kinder beygelegt wird, so war doch diese in der That nur Schattenwerk 83). Daher die neuern römischen Gesetze noch überall den Satz einschärfen, daß eheliche Kinder in des Vaters Gewalt seyen, und der Mutter keine väter- liche Gewalt über ihre Kinder zustehe84). Die nach heutigen Rechten beyden Eltern über die Person ihrer Kinder zustehenden Rechte und Pflichten beziehen sich nun überhaupt auf alles, was die Sorge für die Glückseeligkeit der Kinder erheischt. Beyden Eltern liegt demnach
1) die Pflicht ob, ihre Kinder zu guten Menschen zu erziehen, und sie zum bürgerlichen Leben zu bilden. Beyde Eltern haben daher auch das Recht, die Hand- lungen der Kinder zu leiten, in soweit es der Zweck der Erziehung erfordert, und die dazu dienliche Verfügungen zu machen. In Ansehung des jedem der Eltern zustehen- den Antheils an der Erziehung ihrer Kinder scheint übri- gens selbst die Natur folgende Grenzlinie zu bezeichnen, daß der Säugling, das noch stammelnde, noch mit un-
ge-
82)L. 4. D. de curat. furios. Furiosae matris curatio ad filium pertinet, pietas enim parentibus, etsi inaequalis est eorum po- testas, aeque debebitur. adde §. fin. I. de Nupt.
83)püttmann Probabil. iuris civ. lib. sing. Cap. X.
84)§. 3. I. de patr. potest. §. 10. I. de adopt. L. 5. Cod. eodem.
De his, qui ſui vel alieni iuris ſunt.
Die erſte Frage anlangend, ſo ſetzen wir als Grund- ſatz des heutigen Rechts feſt, daß diejenigen Rechte der elterlichen Gewalt, die ſich uͤber die Per- ſon der Kinder erſtrecken, beyden Eltern ge- meinſchaftlich zuſtehen. Dies iſt teutſchen Rechtens. Denn wenn gleich nach dem neuern roͤmiſchen Recht 82) der Mutter einige Gewalt uͤber ihre Kinder beygelegt wird, ſo war doch dieſe in der That nur Schattenwerk 83). Daher die neuern roͤmiſchen Geſetze noch uͤberall den Satz einſchaͤrfen, daß eheliche Kinder in des Vaters Gewalt ſeyen, und der Mutter keine vaͤter- liche Gewalt uͤber ihre Kinder zuſtehe84). Die nach heutigen Rechten beyden Eltern uͤber die Perſon ihrer Kinder zuſtehenden Rechte und Pflichten beziehen ſich nun uͤberhaupt auf alles, was die Sorge fuͤr die Gluͤckſeeligkeit der Kinder erheiſcht. Beyden Eltern liegt demnach
1) die Pflicht ob, ihre Kinder zu guten Menſchen zu erziehen, und ſie zum buͤrgerlichen Leben zu bilden. Beyde Eltern haben daher auch das Recht, die Hand- lungen der Kinder zu leiten, in ſoweit es der Zweck der Erziehung erfordert, und die dazu dienliche Verfuͤgungen zu machen. In Anſehung des jedem der Eltern zuſtehen- den Antheils an der Erziehung ihrer Kinder ſcheint uͤbri- gens ſelbſt die Natur folgende Grenzlinie zu bezeichnen, daß der Saͤugling, das noch ſtammelnde, noch mit un-
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82)L. 4. D. de curat. furios. Furioſae matris curatio ad filium pertinet, pietas enim parentibus, etſi inaequalis eſt eorum po- teſtas, aeque debebitur. adde §. fin. I. de Nupt.
83)püttmann Probabil. iuris civ. lib. ſing. Cap. X.
84)§. 3. I. de patr. poteſt. §. 10. I. de adopt. L. 5. Cod. eodem.
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De his, qui ſui vel alieni iuris ſunt.
Die erſte Frage anlangend, ſo ſetzen wir als Grund-
ſatz des heutigen Rechts feſt, daß diejenigen Rechte
der elterlichen Gewalt, die ſich uͤber die Per-
ſon der Kinder erſtrecken, beyden Eltern ge-
meinſchaftlich zuſtehen. Dies iſt teutſchen Rechtens.
Denn wenn gleich nach dem neuern roͤmiſchen Recht 82)
der Mutter einige Gewalt uͤber ihre Kinder beygelegt
wird, ſo war doch dieſe in der That nur Schattenwerk 83).
Daher die neuern roͤmiſchen Geſetze noch uͤberall den Satz
einſchaͤrfen, daß eheliche Kinder in des Vaters
Gewalt ſeyen, und der Mutter keine vaͤter-
liche Gewalt uͤber ihre Kinder zuſtehe 84).
Die nach heutigen Rechten beyden Eltern uͤber die Perſon
ihrer Kinder zuſtehenden Rechte und Pflichten beziehen
ſich nun uͤberhaupt auf alles, was die Sorge fuͤr die
Gluͤckſeeligkeit der Kinder erheiſcht. Beyden Eltern liegt
demnach
1) die Pflicht ob, ihre Kinder zu guten Menſchen
zu erziehen, und ſie zum buͤrgerlichen Leben zu bilden.
Beyde Eltern haben daher auch das Recht, die Hand-
lungen der Kinder zu leiten, in ſoweit es der Zweck der
Erziehung erfordert, und die dazu dienliche Verfuͤgungen
zu machen. In Anſehung des jedem der Eltern zuſtehen-
den Antheils an der Erziehung ihrer Kinder ſcheint uͤbri-
gens ſelbſt die Natur folgende Grenzlinie zu bezeichnen,
daß der Saͤugling, das noch ſtammelnde, noch mit un-
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82) L. 4. D. de curat. furios. Furioſae matris curatio ad filium
pertinet, pietas enim parentibus, etſi inaequalis eſt eorum po-
teſtas, aeque debebitur. adde §. fin. I. de Nupt.
83) püttmann Probabil. iuris civ. lib. ſing. Cap. X.
84) §. 3. I. de patr. poteſt. §. 10. I. de adopt. L. 5. Cod.
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/237>, abgerufen am 23.11.2024.
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