§. 135. Einschränkungen der väterlichen Gewalt nach dem neuern. rö- mischen Recht in Ansehung des Rechts die Kinder am Leben zu strafen, zu verkaufen, und solche dem Beleidigten zur Entschädigung zu überlassen.
Fragt man nun nach den Ursachen, warum man dem Vater in jener Kindheit des römischen Staats so unbeschränkte Rechte über die Person und Güter der Kin- der, ja sogar das Recht über Leben und Tod derselben gestattete; so wird sich daraus ergeben, warum diese gränzenlose väterliche Gewalt von keiner langen Dauer habe seyn können. Denn da eines Theils die Verfas- sung des Gerichtswesens und die vollstreckende Gewalt noch schwankend und unbestimmt war; und andern Theils die Policey, mit ihren gelinden Vorkehrungen, die Gele- genheit zu sittlichen Ausschweifungen bey einem so rohen Volke so wenig verhüten als vermindern konnte; so war keine andere Stütze der allgemeinen Sicherheit übrig; und man hatte mit Recht das Vertrauen, daß die dem Va- ter in seinem Hause nachgelassene Herrschaft zur Aufrecht- erhaltung des noch schwantenden Staatsgebäudes das mei- ste beytragen würde, zumal die natürliche Liebe vernünftiger Väter gegen ihre Kinder den Gesetzgebern Bürge war, daß die Eltern keinen Mißbrauch mit diesem ihnen über- lassenen Recht machen würden. Denn was Papinian32) bey einer andern Gelegenheit sagt: plerumque pietas pater- ni nominis consilium pro liberis capit, hat die Erfahrung von jeher bestättiget. Allein, auch ohne jene Rücksicht, war es bey dem neu errichteten römischen Staate natür- lich, daß die Häupter der Familien, deren jedes einen An- theil an der gesetzgebenden Gewalt hatte, sich die unbe- schränkte Herrschaft in ihren Häusern vorbehielten, die
sie
32)L. 22. §. 4. D. ad L. Iul. de adulter.
O 2
De his, qui ſui vel alieni iuris ſunt.
§. 135. Einſchraͤnkungen der vaͤterlichen Gewalt nach dem neuern. roͤ- miſchen Recht in Anſehung des Rechts die Kinder am Leben zu ſtrafen, zu verkaufen, und ſolche dem Beleidigten zur Entſchaͤdigung zu uͤberlaſſen.
Fragt man nun nach den Urſachen, warum man dem Vater in jener Kindheit des roͤmiſchen Staats ſo unbeſchraͤnkte Rechte uͤber die Perſon und Guͤter der Kin- der, ja ſogar das Recht uͤber Leben und Tod derſelben geſtattete; ſo wird ſich daraus ergeben, warum dieſe graͤnzenloſe vaͤterliche Gewalt von keiner langen Dauer habe ſeyn koͤnnen. Denn da eines Theils die Verfaſ- ſung des Gerichtsweſens und die vollſtreckende Gewalt noch ſchwankend und unbeſtimmt war; und andern Theils die Policey, mit ihren gelinden Vorkehrungen, die Gele- genheit zu ſittlichen Ausſchweifungen bey einem ſo rohen Volke ſo wenig verhuͤten als vermindern konnte; ſo war keine andere Stuͤtze der allgemeinen Sicherheit uͤbrig; und man hatte mit Recht das Vertrauen, daß die dem Va- ter in ſeinem Hauſe nachgelaſſene Herrſchaft zur Aufrecht- erhaltung des noch ſchwantenden Staatsgebaͤudes das mei- ſte beytragen wuͤrde, zumal die natuͤrliche Liebe vernuͤnftiger Vaͤter gegen ihre Kinder den Geſetzgebern Buͤrge war, daß die Eltern keinen Mißbrauch mit dieſem ihnen uͤber- laſſenen Recht machen wuͤrden. Denn was Papinian32) bey einer andern Gelegenheit ſagt: plerumque pietas pater- ni nominis conſilium pro liberis capit, hat die Erfahrung von jeher beſtaͤttiget. Allein, auch ohne jene Ruͤckſicht, war es bey dem neu errichteten roͤmiſchen Staate natuͤr- lich, daß die Haͤupter der Familien, deren jedes einen An- theil an der geſetzgebenden Gewalt hatte, ſich die unbe- ſchraͤnkte Herrſchaft in ihren Haͤuſern vorbehielten, die
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32)L. 22. §. 4. D. ad L. Iul. de adulter.
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De his, qui ſui vel alieni iuris ſunt.
§. 135.
Einſchraͤnkungen der vaͤterlichen Gewalt nach dem neuern. roͤ-
miſchen Recht in Anſehung des Rechts die Kinder am Leben
zu ſtrafen, zu verkaufen, und ſolche dem Beleidigten
zur Entſchaͤdigung zu uͤberlaſſen.
Fragt man nun nach den Urſachen, warum man
dem Vater in jener Kindheit des roͤmiſchen Staats ſo
unbeſchraͤnkte Rechte uͤber die Perſon und Guͤter der Kin-
der, ja ſogar das Recht uͤber Leben und Tod derſelben
geſtattete; ſo wird ſich daraus ergeben, warum dieſe
graͤnzenloſe vaͤterliche Gewalt von keiner langen Dauer
habe ſeyn koͤnnen. Denn da eines Theils die Verfaſ-
ſung des Gerichtsweſens und die vollſtreckende Gewalt
noch ſchwankend und unbeſtimmt war; und andern Theils
die Policey, mit ihren gelinden Vorkehrungen, die Gele-
genheit zu ſittlichen Ausſchweifungen bey einem ſo rohen
Volke ſo wenig verhuͤten als vermindern konnte; ſo war
keine andere Stuͤtze der allgemeinen Sicherheit uͤbrig;
und man hatte mit Recht das Vertrauen, daß die dem Va-
ter in ſeinem Hauſe nachgelaſſene Herrſchaft zur Aufrecht-
erhaltung des noch ſchwantenden Staatsgebaͤudes das mei-
ſte beytragen wuͤrde, zumal die natuͤrliche Liebe vernuͤnftiger
Vaͤter gegen ihre Kinder den Geſetzgebern Buͤrge war,
daß die Eltern keinen Mißbrauch mit dieſem ihnen uͤber-
laſſenen Recht machen wuͤrden. Denn was Papinian 32)
bey einer andern Gelegenheit ſagt: plerumque pietas pater-
ni nominis conſilium pro liberis capit, hat die Erfahrung
von jeher beſtaͤttiget. Allein, auch ohne jene Ruͤckſicht,
war es bey dem neu errichteten roͤmiſchen Staate natuͤr-
lich, daß die Haͤupter der Familien, deren jedes einen An-
theil an der geſetzgebenden Gewalt hatte, ſich die unbe-
ſchraͤnkte Herrſchaft in ihren Haͤuſern vorbehielten, die
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1791, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten02_1791/225>, abgerufen am 18.12.2024.
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