perturbationes animi, sagt Cicero10), quae quam- quam sint voluntariae, (obiurgatione enim et admonitione deiiciuntur) tamen habent tantos mo- tus, ut ea, quae voluntaria sunt, aut necessaria in- terdum, aut certe ignorata videantur. Es scheinet also wohl das involuntarie delinquere das nehmliche zu seyn, was Papinian11) nennet delictum, quod igno- rantia contrahitur: ignorantia aber ist hier soviel als culpa12). Das Resultat von allem diesen ist nun, daß
2) nur äussere willkührliche freye Hand- lungen der Bürger des Staats der Gegenstand der Gesetze seyn können. Wo also das Vermögen frey zu handeln, ganz wegfällt, da kann keine Verbindlich- keit aus den Gesetzen statt finden. Hieraus folget wei- ter, a) daß durch ein Gesez niemanden etwas auferlegt werden kann, was physisch unmöglich ist (ad impossibi- lia nulla datur obligatio); denn hier fällt alle Freyheit weg. Eben dieses gilt b) aus dem nehmlichen Grunde auch von physisch nothwendigen Handlungen. c) die Fol- gen der aus Zwang und ohne Freyheit begangenen Hand- lungen, werden in der Regel dem Handelnden nicht zu- gerechnet. Daß aber auf Seiten desienigen allerdings Zurechnung statt finde, in dessen fürgesetzten Willen und Bosheit der Grund ihrer Wirklichkeit angetroffen wird, hat keinen Zweifel. Daher sagt schon Seneca13) ganz richtig: Ad auctores redit sceleris coacti culpa. End- lich d) kann ein Gesez auch in Ansehung derer von keiner
Wirkung
10)Topic. c. 16.
11)L. 1. D. de Legib.
12) S. Pet. degreveExercitat. ad Pandectar. loca difficil. tit. de LL. p. 8.
13)Troad. v. 870.
1. Buch. 1. Tit.
perturbationes animi, ſagt Cicero10), quae quam- quam ſint voluntariae, (obiurgatione enim et admonitione deiiciuntur) tamen habent tantos mo- tus, ut ea, quae voluntaria ſunt, aut neceſſaria in- terdum, aut certe ignorata videantur. Es ſcheinet alſo wohl das involuntarie delinquere das nehmliche zu ſeyn, was Papinian11) nennet delictum, quod igno- rantia contrahitur: ignorantia aber iſt hier ſoviel als culpa12). Das Reſultat von allem dieſen iſt nun, daß
2) nur aͤuſſere willkuͤhrliche freye Hand- lungen der Buͤrger des Staats der Gegenſtand der Geſetze ſeyn koͤnnen. Wo alſo das Vermoͤgen frey zu handeln, ganz wegfaͤllt, da kann keine Verbindlich- keit aus den Geſetzen ſtatt finden. Hieraus folget wei- ter, a) daß durch ein Geſez niemanden etwas auferlegt werden kann, was phyſiſch unmoͤglich iſt (ad impoſſibi- lia nulla datur obligatio); denn hier faͤllt alle Freyheit weg. Eben dieſes gilt b) aus dem nehmlichen Grunde auch von phyſiſch nothwendigen Handlungen. c) die Fol- gen der aus Zwang und ohne Freyheit begangenen Hand- lungen, werden in der Regel dem Handelnden nicht zu- gerechnet. Daß aber auf Seiten desienigen allerdings Zurechnung ſtatt finde, in deſſen fuͤrgeſetzten Willen und Bosheit der Grund ihrer Wirklichkeit angetroffen wird, hat keinen Zweifel. Daher ſagt ſchon Seneca13) ganz richtig: Ad auctores redit ſceleris coacti culpa. End- lich d) kann ein Geſez auch in Anſehung derer von keiner
Wirkung
10)Topic. c. 16.
11)L. 1. D. de Legib.
12) S. Pet. degreveExercitat. ad Pandectar. loca difficil. tit. de LL. p. 8.
13)Troad. v. 870.
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terdum, aut certe ignorata videantur. Es ſcheinet
alſo wohl das involuntarie delinquere das nehmliche zu
ſeyn, was Papinian 11) nennet delictum, quod igno-
rantia contrahitur: ignorantia aber iſt hier ſoviel
als culpa 12). Das Reſultat von allem dieſen iſt nun,
daß
2) nur aͤuſſere willkuͤhrliche freye Hand-
lungen der Buͤrger des Staats der Gegenſtand
der Geſetze ſeyn koͤnnen. Wo alſo das Vermoͤgen frey
zu handeln, ganz wegfaͤllt, da kann keine Verbindlich-
keit aus den Geſetzen ſtatt finden. Hieraus folget wei-
ter, a) daß durch ein Geſez niemanden etwas auferlegt
werden kann, was phyſiſch unmoͤglich iſt (ad impoſſibi-
lia nulla datur obligatio); denn hier faͤllt alle Freyheit
weg. Eben dieſes gilt b) aus dem nehmlichen Grunde
auch von phyſiſch nothwendigen Handlungen. c) die Fol-
gen der aus Zwang und ohne Freyheit begangenen Hand-
lungen, werden in der Regel dem Handelnden nicht zu-
gerechnet. Daß aber auf Seiten desienigen allerdings
Zurechnung ſtatt finde, in deſſen fuͤrgeſetzten Willen und
Bosheit der Grund ihrer Wirklichkeit angetroffen wird,
hat keinen Zweifel. Daher ſagt ſchon Seneca 13) ganz
richtig: Ad auctores redit ſceleris coacti culpa. End-
lich d) kann ein Geſez auch in Anſehung derer von keiner
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10) Topic. c. 16.
11) L. 1. D. de Legib.
12) S. Pet. de greve Exercitat. ad Pandectar.
loca difficil. tit. de LL. p. 8.
13) Troad. v. 870.
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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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