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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 1. Tit.
brechen, oder sonst etwas, nicht vermuthet wer-
de; -- ein Irrthum nicht zu vermuthen sey, u. d. m.
Zu den Rechtsvermuthungen der leztern Art aber
gehört z. B. daß, wenn bey einer verkauften Sache
sich der Mangel in den erstern drey Tagen äussert,
angenommen werde, der Fehler sey schon zur Zeit
des Verkaufs vorhanden gewesen; -- wenn Eltern
und Kinder in einerley Unfall zugleich umkommen,
rechtlich vermuthet werde, das unmündige Kind sey
eher, das mündige aber später, als die Eltern,
verstorben; -- wenn der Kläger eine Handschrift
über ein Darlehn in Händen hat, und noch nicht
zwey Jahr seit der Ausstellung verstrichen, angenom-
men werde, die Ausstellung sey nur in Hofnung zu
erhaltender Zahlung geschehen, die Zahlung aber
wirklich nicht erfolgt; nach zwey Jahren aber das
Gegentheil für eine so erwiesene Wahrheit gehalten
werde, daß der Aussteller mit dem Beweise, er sey
nichts schuldig, gar nicht weiter gehöret werden soll;
u. a. m. 64). Ganz verschieden von diesen Rechts-
vermuthungen sind die gesezlichen Fictionen; denn
eine gesezliche Fiction ist eine solche gesezliche
Verordnung, wodurch eine Sache für wahr ange-
nommen wird, welche offenbar nicht wahr ist, und
blos möglich gewesen wäre; bey jenen Präsumtionen
hingegen nehmen die Gesetze eine zwar noch unge-
wisse, aber doch wahrscheinliche, Sache für gewiß an.
Die rechtliche Vermuthung ist also wirkliche juristische
Wahrheit, eine gesezliche Fiction hingegen nicht,
sondern diese verhält sich zu der Wahrheit, wie ein
Gemählde zu der Sache selbst, welche durch das
Ge-
64) S. von Tevenar Theorie der Beweise im Ci-
vilproceß
. (Magdeburg u. Leipzig 1780. 8.) I. Abschn.
2. Cap. S. 27. und folg.
1. Buch. 1. Tit.
brechen, oder ſonſt etwas, nicht vermuthet wer-
de; — ein Irrthum nicht zu vermuthen ſey, u. d. m.
Zu den Rechtsvermuthungen der leztern Art aber
gehoͤrt z. B. daß, wenn bey einer verkauften Sache
ſich der Mangel in den erſtern drey Tagen aͤuſſert,
angenommen werde, der Fehler ſey ſchon zur Zeit
des Verkaufs vorhanden geweſen; — wenn Eltern
und Kinder in einerley Unfall zugleich umkommen,
rechtlich vermuthet werde, das unmuͤndige Kind ſey
eher, das muͤndige aber ſpaͤter, als die Eltern,
verſtorben; — wenn der Klaͤger eine Handſchrift
uͤber ein Darlehn in Haͤnden hat, und noch nicht
zwey Jahr ſeit der Ausſtellung verſtrichen, angenom-
men werde, die Ausſtellung ſey nur in Hofnung zu
erhaltender Zahlung geſchehen, die Zahlung aber
wirklich nicht erfolgt; nach zwey Jahren aber das
Gegentheil fuͤr eine ſo erwieſene Wahrheit gehalten
werde, daß der Ausſteller mit dem Beweiſe, er ſey
nichts ſchuldig, gar nicht weiter gehoͤret werden ſoll;
u. a. m. 64). Ganz verſchieden von dieſen Rechts-
vermuthungen ſind die geſezlichen Fictionen; denn
eine geſezliche Fiction iſt eine ſolche geſezliche
Verordnung, wodurch eine Sache fuͤr wahr ange-
nommen wird, welche offenbar nicht wahr iſt, und
blos moͤglich geweſen waͤre; bey jenen Praͤſumtionen
hingegen nehmen die Geſetze eine zwar noch unge-
wiſſe, aber doch wahrſcheinliche, Sache fuͤr gewiß an.
Die rechtliche Vermuthung iſt alſo wirkliche juriſtiſche
Wahrheit, eine geſezliche Fiction hingegen nicht,
ſondern dieſe verhaͤlt ſich zu der Wahrheit, wie ein
Gemaͤhlde zu der Sache ſelbſt, welche durch das
Ge-
64) S. von Tevenar Theorie der Beweiſe im Ci-
vilproceß
. (Magdeburg u. Leipzig 1780. 8.) I. Abſchn.
2. Cap. S. 27. und folg.
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[266/0286] 1. Buch. 1. Tit. brechen, oder ſonſt etwas, nicht vermuthet wer- de; — ein Irrthum nicht zu vermuthen ſey, u. d. m. Zu den Rechtsvermuthungen der leztern Art aber gehoͤrt z. B. daß, wenn bey einer verkauften Sache ſich der Mangel in den erſtern drey Tagen aͤuſſert, angenommen werde, der Fehler ſey ſchon zur Zeit des Verkaufs vorhanden geweſen; — wenn Eltern und Kinder in einerley Unfall zugleich umkommen, rechtlich vermuthet werde, das unmuͤndige Kind ſey eher, das muͤndige aber ſpaͤter, als die Eltern, verſtorben; — wenn der Klaͤger eine Handſchrift uͤber ein Darlehn in Haͤnden hat, und noch nicht zwey Jahr ſeit der Ausſtellung verſtrichen, angenom- men werde, die Ausſtellung ſey nur in Hofnung zu erhaltender Zahlung geſchehen, die Zahlung aber wirklich nicht erfolgt; nach zwey Jahren aber das Gegentheil fuͤr eine ſo erwieſene Wahrheit gehalten werde, daß der Ausſteller mit dem Beweiſe, er ſey nichts ſchuldig, gar nicht weiter gehoͤret werden ſoll; u. a. m. 64). Ganz verſchieden von dieſen Rechts- vermuthungen ſind die geſezlichen Fictionen; denn eine geſezliche Fiction iſt eine ſolche geſezliche Verordnung, wodurch eine Sache fuͤr wahr ange- nommen wird, welche offenbar nicht wahr iſt, und blos moͤglich geweſen waͤre; bey jenen Praͤſumtionen hingegen nehmen die Geſetze eine zwar noch unge- wiſſe, aber doch wahrſcheinliche, Sache fuͤr gewiß an. Die rechtliche Vermuthung iſt alſo wirkliche juriſtiſche Wahrheit, eine geſezliche Fiction hingegen nicht, ſondern dieſe verhaͤlt ſich zu der Wahrheit, wie ein Gemaͤhlde zu der Sache ſelbſt, welche durch das Ge- 64) S. von Tevenar Theorie der Beweiſe im Ci- vilproceß. (Magdeburg u. Leipzig 1780. 8.) I. Abſchn. 2. Cap. S. 27. und folg.

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/286>, abgerufen am 24.11.2024.