Naturforscher sowohl in unsern gegenwärtigen als kurz vorhergehenden Zeiten zu mancherley Versu- chen verleitet hat, unter welchen ihnen einige wohl gelungen sind, an vielen aber kann man aus sichern Gründen zweifeln. Verschiedene haben uns zwar sehr vieles bereden wollen, das uns in Erstaunen setzen könnte, wenn es würklich erwiesen wäre; allein, bey genauerer Untersuchung ihrer Schrif- ten hat sich gefunden, daß die auctores, wie ge- wöhnlich, zum Theil nicht selbst, oder ohne die Verschiedenheit des wahren Baues in denen Blu- men zu kennen, zum Theil aber, nicht mit der ge- hörigen Vorsicht gearbeitet haben, sondern viel- mehr mit fremden Augen gesehen, und, aus an- derer Scribenten noch nie erwiesenen Versuchen übereilte Schlüsse gezogen, so, wie es der Vor- theil und die Beschaffenheit ihrer verschiedenen Lehrgebäude etwa zu erfordern geschienen.
So gewiß indessen die Befruchtung des Ovarii durch den Blumenstaub bey den Pflan- zen an und vor sich ist, so ist sie dennoch noch lange nicht dermaßen ausgemacht, daß man von einer richtigen und ungezweifelten Theorie sprechen dürf- te? Das, was ich hier sage, wird niemand in Zweifel ziehen, der da weiß, daß wir zur Zeit we- der die wahren Eigenschaften, Kräfte und Actio- nen des befruchtenden Blumenstaubes, noch die wahre Beschaffenheit des Ovarii, nebst dessen Zu- behör und andern Umständen recht gehörig kennen,
wel-
Naturforſcher ſowohl in unſern gegenwaͤrtigen als kurz vorhergehenden Zeiten zu mancherley Verſu- chen verleitet hat, unter welchen ihnen einige wohl gelungen ſind, an vielen aber kann man aus ſichern Gruͤnden zweifeln. Verſchiedene haben uns zwar ſehr vieles bereden wollen, das uns in Erſtaunen ſetzen koͤnnte, wenn es wuͤrklich erwieſen waͤre; allein, bey genauerer Unterſuchung ihrer Schrif- ten hat ſich gefunden, daß die auctores, wie ge- woͤhnlich, zum Theil nicht ſelbſt, oder ohne die Verſchiedenheit des wahren Baues in denen Blu- men zu kennen, zum Theil aber, nicht mit der ge- hoͤrigen Vorſicht gearbeitet haben, ſondern viel- mehr mit fremden Augen geſehen, und, aus an- derer Scribenten noch nie erwieſenen Verſuchen uͤbereilte Schluͤſſe gezogen, ſo, wie es der Vor- theil und die Beſchaffenheit ihrer verſchiedenen Lehrgebaͤude etwa zu erfordern geſchienen.
So gewiß indeſſen die Befruchtung des Ovarii durch den Blumenſtaub bey den Pflan- zen an und vor ſich iſt, ſo iſt ſie dennoch noch lange nicht dermaßen ausgemacht, daß man von einer richtigen und ungezweifelten Theorie ſprechen duͤrf- te? Das, was ich hier ſage, wird niemand in Zweifel ziehen, der da weiß, daß wir zur Zeit we- der die wahren Eigenſchaften, Kraͤfte und Actio- nen des befruchtenden Blumenſtaubes, noch die wahre Beſchaffenheit des Ovarii, nebſt deſſen Zu- behoͤr und andern Umſtaͤnden recht gehoͤrig kennen,
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[6/0018]
Naturforſcher ſowohl in unſern gegenwaͤrtigen als
kurz vorhergehenden Zeiten zu mancherley Verſu-
chen verleitet hat, unter welchen ihnen einige wohl
gelungen ſind, an vielen aber kann man aus ſichern
Gruͤnden zweifeln. Verſchiedene haben uns zwar
ſehr vieles bereden wollen, das uns in Erſtaunen
ſetzen koͤnnte, wenn es wuͤrklich erwieſen waͤre;
allein, bey genauerer Unterſuchung ihrer Schrif-
ten hat ſich gefunden, daß die auctores, wie ge-
woͤhnlich, zum Theil nicht ſelbſt, oder ohne die
Verſchiedenheit des wahren Baues in denen Blu-
men zu kennen, zum Theil aber, nicht mit der ge-
hoͤrigen Vorſicht gearbeitet haben, ſondern viel-
mehr mit fremden Augen geſehen, und, aus an-
derer Scribenten noch nie erwieſenen Verſuchen
uͤbereilte Schluͤſſe gezogen, ſo, wie es der Vor-
theil und die Beſchaffenheit ihrer verſchiedenen
Lehrgebaͤude etwa zu erfordern geſchienen.
So gewiß indeſſen die Befruchtung des
Ovarii durch den Blumenſtaub bey den Pflan-
zen an und vor ſich iſt, ſo iſt ſie dennoch noch lange
nicht dermaßen ausgemacht, daß man von einer
richtigen und ungezweifelten Theorie ſprechen duͤrf-
te? Das, was ich hier ſage, wird niemand in
Zweifel ziehen, der da weiß, daß wir zur Zeit we-
der die wahren Eigenſchaften, Kraͤfte und Actio-
nen des befruchtenden Blumenſtaubes, noch die
wahre Beſchaffenheit des Ovarii, nebſt deſſen Zu-
behoͤr und andern Umſtaͤnden recht gehoͤrig kennen,
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Gleditsch, Johann Gottlieb: Vermischte botanische Abhandlungen. Bd. 1. Berlin, 1789, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gleditsch_abhandlungen01_1789/18>, abgerufen am 16.07.2024.
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