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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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277
Nummer 54
Den 23 December

Wegen extrem üblen Wetters haben auch heute die Besichtigungen ein-
gestellet werden müßen, und sind wir weiter nicht auskommen, als
Abends in die kleine Conversation bey der Marchese Falconieri. Sie passiret
vor die schönste Frau in Rom, ist aber sehr serieux und modest. Die
Marchese Crescenzi, Comtesse Petronio, der Chevalier Colonna, der alte
Parmesanische Ministre und andre mit Anwesenden ließen es indeßen
an Gelegenheit zum Entretien nicht mangeln. Sonst haben wir
auch mit dem Mylord Dumbard wegen der Praesentation bey dem
Pabst conferiret, und von ihm erfahren, daß zwar einige Engelländer
mit einem bloßen tieffen Reverentz audientz genommen, dem
Pabst aber auch solches sehr übel gefallen, wie es denn überhaupt
auf Seiten dieser Englischen Herrn mehr eine übel angebrachte hauteur,
als ein Gewißens-Scrupel gewesen. Er vor seine Person habe
es seiner Prostestantischen Religion im geringsten nicht praeju-
dicirlich geachtet, der Hof-Etiquette sich zu accommodiren. Denn
so nötig und schicklich es vor einen homme de condition sey, dem
Souverain desjenigen Landes, in welchem er sich vor der Hand auf-
halte, die Cour zu machen, so unschicklich sey es, bey schuldiger Beo-
bachtung dieses Wohlstandes denselben zu brusquiren, welches doch
gewiß geschähe, wenn man dem eingeführten Hof-Ceremoniel
mit allem Fleiß entgegen handle. Die endliche Abrede wurde
mit ihm dahin genommen, den Cardinal Tencin sowol, als durch
diesen den Pabst selbst von unsrer Lutherische Religion und von
denen vermöge derselben in Ansehung des hiesigen Ceremoniels
habenden Einsichten zu benachrichten, sodann aber, und wenn
wir auf diese unsre Erklärung zur audientz gelaßen würden, die
genu flexiones und den Fuß-Kuß ohne allen Scrupel mit zu
machen. Gedachte unsre Einsichten aber sind nach mannigfaltiger
Uberlegung kürtzlich folgende:
Der Pabst stellet eine doppelte Person vor, eine geistliche und
eine weltliche.
In Absicht auf das geistlich= und kirchliche Wesen haben wir nichts
mit ihm zu schaffen, und wißen Gottlob! wie er mit seiner
gantzen Verfaßung anzusehen sey.
In Absicht auf die weltliche Qualitaet ist er in seinem recht
großen Lande ein Souverain gleich andern weltlichen Printzen, deßen
weltlichen Land- und Hof-Gesetzen man sich hier eben so, als in
andern Ländern zu submittiren hat.
Das Ceremoniel der genu flexion und des Fuß-Kußes, worauf es
hier eigentlich ankomet, involviret an sich und seiner Natur nach
keine solche Ehren-Bezeugung, die mit der Religion einen noth-
wendigen Zusammenhang hätte. Denn die grichischen Kayser ließen
sich auf eben diese Weise ehren. In Türckey und Moscau fält man

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Nummer 54
Den 23 December

Wegen extrem üblen Wetters haben auch heute die Besichtigungen ein-
gestellet werden müßen, und sind wir weiter nicht auskommen, als
Abends in die kleine Conversation bey der Marchese Falconieri. Sie passiret
vor die schönste Frau in Rom, ist aber sehr serieux und modest. Die
Marchese Crescenzi, Comtesse Petronio, der Chevalier Colonna, der alte
Parmesanische Ministre und andre mit Anwesenden ließen es indeßen
an Gelegenheit zum Entretien nicht mangeln. Sonst haben wir
auch mit dem Mylord Dumbard wegen der Praesentation bey dem
Pabst conferiret, und von ihm erfahren, daß zwar einige Engelländer
mit einem bloßen tieffen Reverentz audientz genommen, dem
Pabst aber auch solches sehr übel gefallen, wie es denn überhaupt
auf Seiten dieser Englischen Herrn mehr eine übel angebrachte hauteur,
als ein Gewißens-Scrupel gewesen. Er vor seine Person habe
es seiner Prostestantischen Religion im geringsten nicht praeju-
dicirlich geachtet, der Hof-Etiquette sich zu accommodiren. Denn
so nötig und schicklich es vor einen homme de condition sey, dem
Souverain desjenigen Landes, in welchem er sich vor der Hand auf-
halte, die Cour zu machen, so unschicklich sey es, bey schuldiger Beo-
bachtung dieses Wohlstandes denselben zu brusquiren, welches doch
gewiß geschähe, wenn man dem eingeführten Hof-Ceremoniel
mit allem Fleiß entgegen handle. Die endliche Abrede wurde
mit ihm dahin genommen, den Cardinal Tencin sowol, als durch
diesen den Pabst selbst von unsrer Lutherische Religion und von
denen vermöge derselben in Ansehung des hiesigen Ceremoniels
habenden Einsichten zu benachrichten, sodann aber, und wenn
wir auf diese unsre Erklärung zur audientz gelaßen würden, die
genu flexiones und den Fuß-Kuß ohne allen Scrupel mit zu
machen. Gedachte unsre Einsichten aber sind nach mannigfaltiger
Uberlegung kürtzlich folgende:
Der Pabst stellet eine doppelte Person vor, eine geistliche und
eine weltliche.
In Absicht auf das geistlich= und kirchliche Wesen haben wir nichts
mit ihm zu schaffen, und wißen Gottlob! wie er mit seiner
gantzen Verfaßung anzusehen sey.
In Absicht auf die weltliche Qualitaet ist er in seinem recht
großen Lande ein Souverain gleich andern weltlichen Printzen, deßen
weltlichen Land- und Hof-Gesetzen man sich hier eben so, als in
andern Ländern zu submittiren hat.
Das Ceremoniel der genu flexion und des Fuß-Kußes, worauf es
hier eigentlich ankomet, involviret an sich und seiner Natur nach
keine solche Ehren-Bezeugung, die mit der Religion einen noth-
wendigen Zusammenhang hätte. Denn die grichischen Kayser ließen
sich auf eben diese Weise ehren. In Türckey und Moscau fält man

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[0568] 277 No 54 Den 23 Decembr: Wegen extrem üblen Wetters haben auch heute die Besichtigungen ein- gestellet werden müßen, und sind wir weiter nicht auskommen, als Abends in die kleine Conversation bey der Marchese Falconieri. Sie passiret vor die schönste Frau in Rom, ist aber sehr serieux und modest. Die Marchese Crescenzi, Comtesse Petronio, der Chevalier Colonna, der alte Parmesanische Ministre und andre mit Anwesenden ließen es indeßen an Gelegenheit zum Entretien nicht mangeln. Sonst haben wir auch mit dem Mylord Dumbard wegen der Praesentation bey dem Pabst conferiret, und von ihm erfahren, daß zwar einige Engelländer mit einem bloßen tieffen Reverentz audientz genommen, dem Pabst aber auch solches sehr übel gefallen, wie es denn überhaupt auf Seiten dieser Engl: Herrn mehr eine übel angebrachte hauteur, als ein Gewißens-Scrupel gewesen. Er vor seine Person habe es seiner Prostestantischen Religion im geringsten nicht praeju- dicirlich geachtet, der Hof-Etiquette sich zu accommodiren. Denn so nötig und schicklich es vor einen homme de condition sey, dem Souverain desjenigen Landes, in welchem er sich vor der Hand auf- halte, die Cour zu machen, so unschicklich sey es, bey schuldiger Beo- bachtung dieses Wohlstandes denselben zu brusquiren, welches doch gewiß geschähe, wenn man dem eingeführten Hof-Ceremoniel mit allem Fleiß entgegen handle. Die endliche Abrede wurde mit ihm dahin genommen, den Cardinal Tencin sowol, als durch diesen den Pabst selbst von unsrer Lutheril: Religion und von denen vermöge derselben in Ansehung des hiesigen Ceremoniels habenden Einsichten zu benachrichten, sodann aber, und wenn wir auf diese unsre Erklärung zur audientz gelaßen würden, die genu flexiones und den Fuß-Kuß ohne allen Scrupel mit zu machen. Gedachte unsre Einsichten aber sind nach mannigfaltiger Uberlegung kürtzlich folgende: Der Pabst stellet eine doppelte Person vor, eine geistliche und eine weltliche. In Absicht auf das geistlich= und kirchliche Wesen haben wir nichts mit ihm zu schaffen, und wißen Gottlob! wie er mit seiner gantzen Verfaßung anzusehen sey. In Absicht auf die weltliche Qualitaet ist er in seinem recht großen Lande ein Souverain gleich andern weltlichen Printzen, deßen weltlichen Land- und Hof-Gesetzen man sich hier eben so, als in andern Ländern zu submittiren hat. Das Ceremoniel der genu flexion und des Fuß-Kußes, worauf es hier eigentlich ankomet, involviret an sich und seiner Natur nach keine solche Ehren-Bezeugung, die mit der Religion einen noth- wendigen Zusammenhang hätte. Denn die grichischen Kayser ließen sich auf eben diese Weise ehren. In Türckey und Moscau fält man

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/568>, abgerufen am 21.11.2024.