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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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Nummer 48.
Den 15 October

Nachdem wir Vormittags dem König die cour gemacht, besuchten wir
Nachmittags Madame de St: Gille, deren Vater Comte de Carpene und Mann
Comte de St. Gille auch mit gegenwärtig waren. Der letzte redete von
seinen ehemaligen Sächsischen Diensten, darinn er als Chambellan
und General-Adjutant des Königs Augusti gestanden, und weil ihn
die Vitzthumische affaire um solchen Dienst gebracht, so nahm er Gelegen-
heit, gedachte affaire umständlich zu erzehlen, aus welcher Ezehlung fol-
gendes hier angemercket wird. Die querelle habe gar wohl in Gutem
beygeleget werden können, wenn Graf Vitzthum nicht so viel und
mächtige Feinde gehabt, welche dem König ohne Unterlaß in den
Ohren gelegen, und ihn endlich überredet, die affaire sey nicht accommo-
dable. Der Feld-Marschall Flemming habe dabey das allermeiste gethan.
Wie denn auch derselbe nebst dem Grafen von Sachsen in dem nach-
hero gehaltenen Kriegs-Recht ihm, Referenten, das Wort geredet. Ja als
er vorerst nach Paris geflüchtet, und den Feld-Marschall um seine
800 Reichsthaler rückständiger Gage ersuchet, habe dieser ihn nicht allein solchen
rest, sondern auch noch 1000 Ducaten von des Königs wegen dazu be-
zahlen laßen. Er rühmte dabey die aequanimitaet derer nächsten
Vitzthumischen Anverwandten, nehmlich des Fürsten Lubomirsky und
des unglücklichen Grafen von Hoym, welche beyde ihn versichern laßen,
daß sie wieder ihn nichts hätten und seine bey der gantzen Sache
geführte Conduite allen Regeln gemäß sey. Die promenade auf dem
Wall, wo wir verschiedene Bekannten antraffen, die Fahrt auf den
cours, und die Visite bey der Marquise d'Entraive beschäfftigten uns
bis auf den Abend, welcher endlich bey denen Marquises de Borgeal
und de Cavaglia beschloßen wurde. An dem ersten Ort wurde
uns folgende von Alessandria hieher gebrachte, allem Vermuthen nach
aber in Paris fabricirte Grabschrifft auf unsern guten Kayser communiciret:

Des Fiers Autrichiens ci git le dernier,
Trop tard pour son honneur, trop tot pour sa famille:
En attendant un heritier
Ce prince trouva l'art de laisser a sa fille
Un heritage en l'air des droits litigieux,
Un Epoux depouille des biens de ses ayeux,
De cent titres brillans la pompeuse fumee.
Sans argent, Sans conseil, Sans amis, Sans armee.

Auch fand man hier Gelegenheit mit dem Chevalier de Fleuri wegen
Einrichtung der Studien des Duc de Savoye umständlich zu sprechen.
In der Mathematic ist er so weit kommen, daß er ein geometrisches
problema resolviren und demonstriren kan, wie ihm denn auch
die algebre gantz geläuffig ist. In der Fortification wird er durch den
hiesigen sehr geschickten general Ingenieur informiret. Die frantzösisch-
und Italiänische Sprache, (als welche beyde von seiner Piemontesischen

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Nummer 48.
Den 15 October

Nachdem wir Vormittags dem König die cour gemacht, besuchten wir
Nachmittags Madame de St: Gille, deren Vater Comte de Carpené und Mann
Comte de St. Gille auch mit gegenwärtig waren. Der letzte redete von
seinen ehemaligen Sächsischen Diensten, darinn er als Chambellan
und General-Adjutant des Königs Augusti gestanden, und weil ihn
die Vitzthumische affaire um solchen Dienst gebracht, so nahm er Gelegen-
heit, gedachte affaire umständlich zu erzehlen, aus welcher Ezehlung fol-
gendes hier angemercket wird. Die querelle habe gar wohl in Gutem
beygeleget werden können, wenn Graf Vitzthum nicht so viel und
mächtige Feinde gehabt, welche dem König ohne Unterlaß in den
Ohren gelegen, und ihn endlich überredet, die affaire sey nicht accommo-
dable. Der Feld-Marschall Flemming habe dabey das allermeiste gethan.
Wie denn auch derselbe nebst dem Grafen von Sachsen in dem nach-
hero gehaltenen Kriegs-Recht ihm, Referenten, das Wort geredet. Ja als
er vorerst nach Paris geflüchtet, und den Feld-Marschall um seine
800 Reichsthaler rückständiger Gage ersuchet, habe dieser ihn nicht allein solchen
rest, sondern auch noch 1000 Ducaten von des Königs wegen dazu be-
zahlen laßen. Er rühmte dabey die aequanimitaet derer nächsten
Vitzthumischen Anverwandten, nehmlich des Fürsten Lubomirsky und
des unglücklichen Grafen von Hoym, welche beyde ihn versichern laßen,
daß sie wieder ihn nichts hätten und seine bey der gantzen Sache
geführte Conduite allen Regeln gemäß sey. Die promenade auf dem
Wall, wo wir verschiedene Bekannten antraffen, die Fahrt auf den
cours, und die Visite bey der Marquise d'Entraive beschäfftigten uns
bis auf den Abend, welcher endlich bey denen Marquises de Borgeal
und de Cavaglia beschloßen wurde. An dem ersten Ort wurde
uns folgende von Alessandria hieher gebrachte, allem Vermuthen nach
aber in Paris fabricirte Grabschrifft auf unsern guten Kayser communiciret:

Des Fiers Autrichiens ci git le dernier,
Trop tard pour son honneur, trop tot pour sa famille:
En attendant un heritier
Ce prince trouva l'art de laisser á sa fille
Un heritage en l'àir des droits litigieux,
Un Epoux depouillé des biens de ses ayeux,
De cent titres brillans la pompeuse fumée.
Sans argent, Sans conseil, Sans amis, Sans armée.

Auch fand man hier Gelegenheit mit dem Chevalier de Fleuri wegen
Einrichtung der Studien des Duc de Savoye umständlich zu sprechen.
In der Mathematic ist er so weit kommen, daß er ein geometrisches
problema resolviren und demonstriren kan, wie ihm denn auch
die algébre gantz geläuffig ist. In der Fortification wird er durch den
hiesigen sehr geschickten general Ingenieur informiret. Die frantzösisch-
und Italiänische Sprache, (als welche beyde von seiner Piemontesischen

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[0482] 234 No 48. Den 15 Octobr: Nachdem wir Vormittags dem König die cour gemacht, besuchten wir Nachmittags Madame de St: Gille, deren Vater Comte de Carpené und Mann Comte de St. Gille auch mit gegenwärtig waren. Der letzte redete von seinen ehemaligen Sächsischen Diensten, darinn er als Chambellan und General-Adjutant des Königs Augusti gestanden, und weil ihn die Vitzthumische affaire um solchen Dienst gebracht, so nahm er Gelegen- heit, gedachte affaire umständlich zu erzehlen, aus welcher Ezehlung fol- gendes hier angemercket wird. Die querelle habe gar wohl in Gutem beygeleget werden können, wenn Graf Vitzthum nicht so viel und mächtige Feinde gehabt, welche dem König ohne Unterlaß in den Ohren gelegen, und ihn endlich überredet, die affaire sey nicht accommo- dable. Der Feld-Marschall Flemming habe dabey das allermeiste gethan. Wie denn auch derselbe nebst dem Grafen von Sachsen in dem nach- hero gehaltenen Kriegs-Recht ihm, Referenten, das Wort geredet. Ja als er vorerst nach Paris geflüchtet, und den Feld-Marschall um seine 800 rt: rückständiger Gage ersuchet, habe dieser ihn nicht allein solchen rest, sondern auch noch 1000 Ducaten von des Königs wegen dazu be- zahlen laßen. Er rühmte dabey die aequanimitaet derer nächsten Vitzthumischen Anverwandten, nehml: des Fürsten Lubomirsky und des unglückl. Grafen von Hoym, welche beyde ihn versichern laßen, daß sie wieder ihn nichts hätten und seine bey der gantzen Sache geführte Conduite allen Regeln gemäß sey. Die promenade auf dem Wall, wo wir verschiedene Bekannten antraffen, die Fahrt auf den cours, und die Visite bey der Marquise d'Entraive beschäfftigten uns bis auf den Abend, welcher endlich bey denen Marquises de Borgeal und de Cavaglia beschloßen wurde. An dem ersten Ort wurde uns folgende von Alessandria hieher gebrachte, allem Vermuthen nach aber in Paris fabricirte Grabschrifft auf unsern guten Kayser communiciret: Des Fiers Autrichiens ci git le dernier, Trop tard pour son honneur, trop tot pour sa famille: En attendant un heritier Ce prince trouva l'art de laisser á sa fille Un heritage en l'àir des droits litigieux, Un Epoux depouillé des biens de ses ayeux, De cent titres brillans la pompeuse fumée. Sans argent, Sans conseil, Sans amis, Sans armée. Auch fand man hier Gelegenheit mit dem Chevalier de Fleuri wegen Einrichtung der Studien des Duc de Savoye umständlich zu sprechen. In der Mathematic ist er so weit kommen, daß er ein geometrisches problema resolviren und demonstriren kan, wie ihm denn auch die algébre gantz geläuffig ist. In der Fortification wird er durch den hiesigen sehr geschickten general Ingenieur informiret. Die frantzösisch- und Italiänische Sprache, (als welche beyde von seiner Piemontesischen

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/482>, abgerufen am 21.11.2024.