Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].218 Einwohner eine natürliche Folge, und passiret selten einer aufder Land-Straße vorbey, der nicht betteln solte. Uberdieses sind die allermeisten beyderley Geschlechts ungestalt und kröpelhafft, und haben sonderlich die Weiber excessiv große Kröpfe, welche den gantzen Hals von einem Ohr zum andern einnehmen, wovon dem Waßer die Schuld beygemeßen wird. Manche sollen so gar mit Kröpfen auf die Welt kommen. Doch kan es seyn, daß in andern Gegenden, die wir nicht durchreiset, die Leute beßer gestaltet sind, zugeschweigen, daß die tüchtigsten Manns-Leute sich außer Landes befinden können, weil bekannt ist, daß wenigstens ein drittel derselben in Franckreich sein Brodt suchet, und nur dann und wann nach Hause kommet, um das Erworbene zu überbringen. Aber wieder auf unser Nacht-Quartier zu kommen, so giebt der Mont Senis denen Einwohnern die Haupt- Nahrung, indem sie alle entweder Porteurs oder muletiers sind. Weil aber die Passagiers von ihnen sehr übersetzet worden, so ist nunmehro von dem König eine gewiße Taxe auf alle Arten des Transports über den Berg vorgeschrieben, und sowol diesseits deßselben, als ienseits ein Commissarius verordnet, an welchen man sich zu adressiren hat. Die gantze Nacht war ein schrecklicher Sturm-Wind, und der Berg sowol, als die übrige daran stoßende Alpen bis über die Helffte mit einem dicken Nebel bedeckt, früh aber Den 15 September continuirete nur der Nebel alleine, und nachdem unsre Mont Senis 218 Einwohner eine natürliche Folge, und passiret selten einer aufder Land-Straße vorbey, der nicht betteln solte. Uberdieses sind die allermeisten beyderley Geschlechts ungestalt und kröpelhafft, und haben sonderlich die Weiber excessiv große Kröpfe, welche den gantzen Hals von einem Ohr zum andern einnehmen, wovon dem Waßer die Schuld beygemeßen wird. Manche sollen so gar mit Kröpfen auf die Welt kommen. Doch kan es seyn, daß in andern Gegenden, die wir nicht durchreiset, die Leute beßer gestaltet sind, zugeschweigen, daß die tüchtigsten Manns-Leute sich außer Landes befinden können, weil bekannt ist, daß wenigstens ein drittel derselben in Franckreich sein Brodt suchet, und nur dann und wann nach Hause kommet, um das Erworbene zu überbringen. Aber wieder auf unser Nacht-Quartier zu kommen, so giebt der Mont Senis denen Einwohnern die Haupt- Nahrung, indem sie alle entweder Porteurs oder muletiers sind. Weil aber die Passagiers von ihnen sehr übersetzet worden, so ist nunmehro von dem König eine gewiße Taxe auf alle Arten des Transports über den Berg vorgeschrieben, und sowol diesseits deßselben, als ienseits ein Commissarius verordnet, an welchen man sich zu adressiren hat. Die gantze Nacht war ein schrecklicher Sturm-Wind, und der Berg sowol, als die übrige daran stoßende Alpen bis über die Helffte mit einem dicken Nebel bedeckt, früh aber Den 15 September continuirete nur der Nebel alleine, und nachdem unsre Mont Senis <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <div type="diaryEntry"> <p><pb facs="#f0450"/><fw type="folNum" place="top">218</fw><lb/> Einwohner eine natürliche Folge, und passiret selten einer auf<lb/> der Land-Straße vorbey, der nicht betteln solte. 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Einwohner eine natürliche Folge, und passiret selten einer auf
der Land-Straße vorbey, der nicht betteln solte. Uberdieses sind
die allermeisten beyderley Geschlechts ungestalt und kröpelhafft,
und haben sonderlich die Weiber excessiv große Kröpfe, welche den
gantzen Hals von einem Ohr zum andern einnehmen, wovon
dem Waßer die Schuld beygemeßen wird. Manche sollen so
gar mit Kröpfen auf die Welt kommen. Doch kan es seyn, daß
in andern Gegenden, die wir nicht durchreiset, die Leute beßer
gestaltet sind, zugeschweigen, daß die tüchtigsten Manns-Leute
sich außer Landes befinden können, weil bekannt ist, daß
wenigstens ein drittel derselben in Franckreich sein Brodt suchet,
und nur dann und wann nach Hause kommet, um das Erworbene
zu überbringen. Aber wieder auf unser Nacht-Quartier zu
kommen, so giebt der Mont Senis denen Einwohnern die Haupt-
Nahrung, indem sie alle entweder Porteurs oder muletiers
sind. Weil aber die Passagiers von ihnen sehr übersetzet worden,
so ist nunmehro von dem König eine gewiße Taxe auf
alle Arten des Transports über den Berg vorgeschrieben,
und sowol diesseits deßselben, als ienseits ein Commissarius
verordnet, an welchen man sich zu adressiren hat. Die
gantze Nacht war ein schrecklicher Sturm-Wind, und der
Berg sowol, als die übrige daran stoßende Alpen bis über
die Helffte mit einem dicken Nebel bedeckt, früh aber
Den 15 Se:
continuirete nur der Nebel alleine, und nachdem unsre
Fuhr-Leute die Chaisen hier stehen laßen, zogen wir um
6 Uhr mit 10 Porteurs, 5 Maul-Thieren welche unsre
Bagage trugen, und 6 dergleichen Thieren, welche wir
ritten, den
Mont Senis
hinauf, unsre 3 Fuhr-Leute ritten gleichfals 3 Maul-Thiere
und ließen ihre 6 Pferde ledig voranführen. Der Berg
ist auf dieser Seite eine Stunde hoch, und der Weg gehet an
demselben Schlangen Weise hinauf, da man denn nur
denen Maul-Thieren ihren Willen laßen, und wegen einiger
Gefahr um so viel weniger besorgt seyn darf, weil die
Thiere sehr sicher und bedächtlich auftreten. Oben auf dem
Berge ist eine mit noch höhern Gebürgen umgebene Fläche,
und in derselben ein großer fischreicher See, auch finden sich von distantz
zu distantz einige Häuser. Wir legten diese Fläche im
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Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate
Weitere Informationen:Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert. Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
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