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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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Den 6 September

Über verschiedene gegebene und angenommene Visiten haben wir
heute besichtiget

1) Die Kirche der Carmeliter-Nonnen, welche nebst dem
Closter, Jaqueline de Harlay, Charles de Villeroy Gemahlin ge-
stifftet. Das Haus Villeroy hat deswegen hier sein Erb-Be-
gräbniß in einer schönen Capelle, und stehen darinn 3
trefliche monumenta, nehmlich 1) gedachter Stifterin von
weiß und schwartzem marmor, 2) ihres Ehe-Herrn von bronce,
der anno 1642 gestorben, und sein Grabmahl, laut der Beyschrift
mortis memor vivens posuit, sich selbst zwey Jahr vorher
setzen laßen: 3) Nicolai de Villeroy, der marechal de
France und Ludovici XIV Hofmeister gewesen, im 88sten Jahre
seines Alters aber anno 1685 gestorben. Das auf dem Haupt-
Altar der Kirchen stehende tabernacul oder Sacrament=Häusel
ist von Lapis Lazuli, Jaspis, Porphyr und dem köstlichsten
marmor auf das vortreflichste in Rom verfertiget, und
von Louis XIV anhero geschencket worden.

2.) Die Chartreuse auf einem Berge, von da man fast die
gantze Stadt und die Gegend mit besonderm Vergnügen über-
sehen kan. Die Kirche, an welcher noch gebauet wird, ist
sehr schön, und der pater Vicarius, deßen Zelle wir
besuchten, sehr affable, auch in der Historie seines Ordens
wohl bewandert.

3.) Eine Sammet-manufactur, sonderlich von geblümten Sammet,
welcher zu beschreiben nicht nötig [unleserliches Material]seyn wird.

4.) Eine Machine zur Seiden-Dreherey, welche hier die
eintzige ist. Sie komt mit derjenigen, die man ehemals
in Holland zu Leyden bey dem Mennonisten Mollern gesehen,
vollkommen überein, und sind beyde nur darinn unterschieden,
daß die Leydensche durchs Waßer, die hiesige aber durch einen
Maul-Esel beweget wird. Der Maul-Esel sind zwey, die
alle 3 Stunden abwechseln. Ihr Platz wo sie ziehen, und
auch der Stall, ist oben unter dem Dach, woselbst ein runder
Zirckel von hartem Estrich gestoßen ist. Soll einer hinauf
oder herunter gebracht werden, so geschiehet es vermittelst der
breiten und gantz flachen Windel-Treppe. Zwey große Säle,
einer im obersten, der andre im untersten Stockwerck des
Hauses, und zwey Neben-Stuben, welche Behältniße alle

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Den 6 September

Über verschiedene gegebene und angenommene Visiten haben wir
heute besichtiget

1) Die Kirche der Carmeliter-Nonnen, welche nebst dem
Closter, Jaqueline de Harlay, Charles de Villeroy Gemahlin ge-
stifftet. Das Haus Villeroy hat deswegen hier sein Erb-Be-
gräbniß in einer schönen Capelle, und stehen darinn 3
trefliche monumenta, nehmlich 1) gedachter Stifterin von
weiß und schwartzem marmor, 2) ihres Ehe-Herrn von bronce,
der anno 1642 gestorben, und sein Grabmahl, laut der Beyschrift
mortis memor vivens posuit, sich selbst zwey Jahr vorher
setzen laßen: 3) Nicolai de Villeroy, der marechal de
France und Ludovici XIV Hofmeister gewesen, im 88sten Jahre
seines Alters aber anno 1685 gestorben. Das auf dem Haupt-
Altar der Kirchen stehende tabernacul oder Sacrament=Häusel
ist von Lapis Lazuli, Jaspis, Porphyr und dem köstlichsten
marmor auf das vortreflichste in Rom verfertiget, und
von Louis XIV anhero geschencket worden.

2.) Die Chartreuse auf einem Berge, von da man fast die
gantze Stadt und die Gegend mit besonderm Vergnügen über-
sehen kan. Die Kirche, an welcher noch gebauet wird, ist
sehr schön, und der pater Vicarius, deßen Zelle wir
besuchten, sehr affable, auch in der Historie seines Ordens
wohl bewandert.

3.) Eine Sammet-manufactur, sonderlich von geblümten Sammet,
welcher zu beschreiben nicht nötig [unleserliches Material]seyn wird.

4.) Eine Machine zur Seiden-Dreherey, welche hier die
eintzige ist. Sie komt mit derjenigen, die man ehemals
in Holland zu Leyden bey dem Mennonisten Mollern gesehen,
vollkommen überein, und sind beyde nur darinn unterschieden,
daß die Leydensche durchs Waßer, die hiesige aber durch einen
Maul-Esel beweget wird. Der Maul-Esel sind zwey, die
alle 3 Stunden abwechseln. Ihr Platz wo sie ziehen, und
auch der Stall, ist oben unter dem Dach, woselbst ein runder
Zirckel von hartem Estrich gestoßen ist. Soll einer hinauf
oder herunter gebracht werden, so geschiehet es vermittelst der
breiten und gantz flachen Windel-Treppe. Zwey große Säle,
einer im obersten, der andre im untersten Stockwerck des
Hauses, und zwey Neben-Stuben, welche Behältniße alle

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[0436] 211 Den 6 Sept: Über verschiedene gegebene und angenommene Visiten haben wir heute besichtiget 1) Die Kirche der Carmeliter-Nonnen, welche nebst dem Closter, Jaqueline de Harlay, Charles de Villeroy Gemahlin ge- stifftet. Das Haus Villeroy hat deswegen hier sein Erb-Be- gräbniß in einer schönen Capelle, und stehen darinn 3 trefliche monumenta, nehml: 1) gedachter Stifterin von weiß und schwartzem marmor, 2) ihres Ehe-Herrn von bronce, der ao 1642 gestorben, und sein Grabmahl, laut der Beyschrift mortis memor vivens posuit, sich selbst zwey Jahr vorher setzen laßen: 3) Nicolai de Villeroy, der marechal de France und Ludovici XIV Hofmeister gewesen, im 88sten Jahre seines Alters aber ao 1685 gestorben. Das auf dem Haupt- Altar der Kirchen stehende tabernacul oder Sacrament=Häusel ist von Lapis Lazuli, Jaspis, Porphyr und dem köstlichsten marmor auf das vortreflichste in Rom verfertiget, und von Louis XIV anhero geschencket worden. 2.) Die Chartreuse auf einem Berge, von da man fast die gantze Stadt und die Gegend mit besonderm Vergnügen über- sehen kan. Die Kirche, an welcher noch gebauet wird, ist sehr schön, und der pater Vicarius, deßen Zelle wir besuchten, sehr affable, auch in der Historie seines Ordens wohl bewandert. 3.) Eine Sammet-manufactur, sonderlich von geblümten Sammet, welcher zu beschreiben nicht nötig seyn wird. 4.) Eine Machine zur Seiden-Dreherey, welche hier die eintzige ist. Sie komt mit derjenigen, die man ehemals in Holland zu Leyden bey dem Mennonisten Mollern gesehen, vollkommen überein, und sind beyde nur darinn unterschieden, daß die Leydensche durchs Waßer, die hiesige aber durch einen Maul-Esel beweget wird. Der Maul-Esel sind zwey, die alle 3 Stunden abwechseln. Ihr Platz wo sie ziehen, und auch der Stall, ist oben unter dem Dach, woselbst ein runder Zirckel von hartem Estrich gestoßen ist. Soll einer hinauf oder herunter gebracht werden, so geschiehet es vermittelst der breiten und gantz flachen Windel-Treppe. Zwey große Säle, einer im obersten, der andre im untersten Stockwerck des Hauses, und zwey Neben-Stuben, welche Behältniße alle

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/436>, abgerufen am 21.11.2024.