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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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10.
Nummer 3
Den 31. October

Nachdem wir erfahren, daß der Cardinal Polignac sich wieder in der Stadt befinde
gaben wir demselben gegen mittag die Visite, und wurden, weil er noch nicht
angezogen, von seinem Gentilhomme indeßen in einige Zimmer geführet, welche mit
einer erstaunlichen Menge von antiquen Statüen, Brust-Bildern und bas reliefs
angefüllet sind, die der Cardinal von Rom hieher transportiren, und daselbst
auf des Pabst Erlaubniß, ausgraben laßen. Was wir bey der großen Be-
schäftigung und Zersträuung der Augen in dieser Fund-Grube des Alterthums
behalten können, bestund in folgenden piecen: die Köpfe Homeri, Senecae
und Platonis in Lebens-Größe: einige Brust-Bilder von Römischen Dames, deren
Haar-Coisure einer Peruque vollkommen ähnlich sahe: zwey Brust-Bilder
vom Julio Caesare, aus welchen sein penetranter und martialischer Geist her-
vorlauffet: dergleichen von vielen anderen Römischen Kaysern: ein AEsculapius
in Lebens-Größe, sich auf einen Stab lehnend, an welchem eine Schlange
hinauf kriechet. Die allermeisten dieser Brust-Bilder und Statuen sind
von weißen Marmor, welcher zum Theil, gleich dem Alabaster, durchsichtig ist.
Unter denen broncernen Statuen ist eine der merckwürdigsten: die Isis,
welche unten von denen Füßen an eine durch den gantzen Cörper hin-
durch und bey der Brust hinter denen Falten ihres Gewands herausgehende
Oeffnung hat, durch welche vermittelst einer Röhre die Heidnischen Götzen-
Pfaffen die vermeinten Oracula ausgesprochen und das Volck betrogen
haben. Nach dieser vergnüglichen Besichtigung begaben wir uns wieder in
die Obern-Zimmer, und wurden in des Cardinals-Cabinet introduciret. Er
ist ein alter, aber noch vigoureuxer und sehr freundlicher Herr, hatte einen
schwartzen Rock mit seidenen Aufschlägen, eine roth tuchne Weste und rothe
Strümpfe, ingleichen Schuhe mit rothen Absätzen und rothen übergeschlagenen
Laschen an, über dem Kleid aber hing ein kurtzer schwartzer seidener Mantel,
worauf das silberne Creutz von dem heiligen Geist Orden gesticket, wie er
denn auch diesen Orden am Hals hängen und eine rothe Calotte über der
Peruque auf hatte, welches alles die ordentliche Haustracht der hiesigen Cardinäle
ist. Wir wurden von ihm stehend überaus graceux empfangen, und
musten uns, weil er sich auf die Canape setzte auf Fauteuils neben
ihn niederlaßen. Der Discours fiel gleich auf die ietzo in gantz Paris
herumgehende betrübte Zeitung von dem Absterben des Kaysers, und sagte
der Cardinal, daß diesertwegen ein Courier gestern Nacht zu Fontainebleau
ankommen seyn solte. Er erzehlte bey dieser Gelegenheit daß er den Kayser
Leopoldum mit seinen damaligen zwey Printzen gesehen und nimmer
mehr gedacht hätte, daß das Haus dem Untergang so nahe seyn solte.
Als darauf von dem betrübten Zustande unsers Vaterlandes, daferner die
Zeitungen gegründet wäre, mancherley raisonements fielen, sagte er: je
ne doute pas, que le Roi mon maitre nc fasse son possible pour consolle
l'Allemagne. Als wir uns beurlaubten und Illmus sich von Ihro Eminentz
eben deselbe Gnade und Protection ausbat, welche vor 3 Jahren dero Herrn Vettern
genoßen, machte der Cardinal eine gantz modeste Entschuldigung, erkundigte
sich nach derselben Befinden, und bat, bey Gelegenheit ihnen sein Compliment zu

10.
Nummer 3
Den 31. October

Nachdem wir erfahren, daß der Cardinal Polignac sich wieder in der Stadt befinde
gaben wir demselben gegen mittag die Visite, und wurden, weil er noch nicht
angezogen, von seinem Gentilhomme indeßen in einige Zimmer geführet, welche mit
einer erstaunlichen Menge von antiquen Statüen, Brust-Bildern und bas reliefs
angefüllet sind, die der Cardinal von Rom hieher transportiren, und daselbst
auf des Pabst Erlaubniß, ausgraben laßen. Was wir bey der großen Be-
schäftigung und Zersträuung der Augen in dieser Fund-Grube des Alterthums
behalten können, bestund in folgenden piecen: die Köpfe Homeri, Senecae
und Platonis in Lebens-Größe: einige Brust-Bilder von Römischen Dames, deren
Haar-Coisure einer Peruque vollkommen ähnlich sahe: zwey Brust-Bilder
vom Julio Caesare, aus welchen sein penetranter und martialischer Geist her-
vorlauffet: dergleichen von vielen anderen Römischen Kaysern: ein AEsculapius
in Lebens-Größe, sich auf einen Stab lehnend, an welchem eine Schlange
hinauf kriechet. Die allermeisten dieser Brust-Bilder und Statuen sind
von weißen Marmor, welcher zum Theil, gleich dem Alabaster, durchsichtig ist.
Unter denen broncernen Statuen ist eine der merckwürdigsten: die Isis,
welche unten von denen Füßen an eine durch den gantzen Cörper hin-
durch und bey der Brust hinter denen Falten ihres Gewands herausgehende
Oeffnung hat, durch welche vermittelst einer Röhre die Heidnischen Götzen-
Pfaffen die vermeinten Oracula ausgesprochen und das Volck betrogen
haben. Nach dieser vergnüglichen Besichtigung begaben wir uns wieder in
die Obern-Zimmer, und wurden in des Cardinals-Cabinet introduciret. Er
ist ein alter, aber noch vigoureuxer und sehr freundlicher Herr, hatte einen
schwartzen Rock mit seidenen Aufschlägen, eine roth tuchne Weste und rothe
Strümpfe, ingleichen Schuhe mit rothen Absätzen und rothen übergeschlagenen
Laschen an, über dem Kleid aber hing ein kurtzer schwartzer seidener Mantel,
worauf das silberne Creutz von dem heiligen Geist Orden gesticket, wie er
denn auch diesen Orden am Hals hängen und eine rothe Calotte über der
Peruque auf hatte, welches alles die ordentliche Haustracht der hiesigen Cardinäle
ist. Wir wurden von ihm stehend überaus graceux empfangen, und
musten uns, weil er sich auf die Canape setzte auf Fauteuils neben
ihn niederlaßen. Der Discours fiel gleich auf die ietzo in gantz Paris
herumgehende betrübte Zeitung von dem Absterben des Kaysers, und sagte
der Cardinal, daß diesertwegen ein Courier gestern Nacht zu Fontainebleau
ankommen seyn solte. Er erzehlte bey dieser Gelegenheit daß er den Kayser
Leopoldum mit seinen damaligen zwey Printzen gesehen und nimmer
mehr gedacht hätte, daß das Haus dem Untergang so nahe seyn solte.
Als darauf von dem betrübten Zustande unsers Vaterlandes, daferner die
Zeitungen gegründet wäre, mancherley raisonements fielen, sagte er: je
ne doute pas, que le Roi mon maitre nc fasse son possible pour consolle
l’Allemagne. Als wir uns beurlaubten und Illmus sich von Ihro Eminentz
eben deselbe Gnade und Protection ausbat, welche vor 3 Jahren dero Herrn Vettern
genoßen, machte der Cardinal eine gantz modeste Entschuldigung, erkundigte
sich nach derselben Befinden, und bat, bey Gelegenheit ihnen sein Compliment zu

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[0030] 10. No 3 Den 31. Octobr: Nachdem wir erfahren, daß der Cardinal Polignac sich wieder in der Stadt befinde gaben wir demselben gegen mittag die Visite, und wurden, weil er noch nicht angezogen, von seinem Gentilhomme indeßen in einige Zimmer geführet, welche mit einer erstaunlichen Menge von antiquen Statüen, Brust-Bildern und bas reliefs angefüllet sind, die der Cardinal von Rom hieher transportiren, und daselbst auf des Pabst Erlaubniß, ausgraben laßen. Was wir bey der großen Be- schäftigung und Zersträuung der Augen in dieser Fund-Grube des Alterthums behalten können, bestund in folgenden piecen: die Köpfe Homeri, Senecae und Platonis in Lebens-Größe: einige Brust-Bilder von Römischen Dames, deren Haar-Coisure einer Peruque vollkommen ähnlich sahe: zwey Brust-Bilder vom Julio Caesare, aus welchen sein penetranter und martialischer Geist her- vorlauffet: dergleichen von vielen anderen Röml: Kaysern: ein AEsculapius in Lebens-Größe, sich auf einen Stab lehnend, an welchem eine Schlange hinauf kriechet. Die allermeisten dieser Brust-Bilder und Statuen sind von weißen Marmor, welcher zum Theil, gleich dem Alabaster, durchsichtig ist. Unter denen broncernen Statuen ist eine der merckwürdigsten: die Isis, welche unten von denen Füßen an eine durch den gantzen Cörper hin- durch und bey der Brust hinter denen Falten ihres Gewands herausgehende Oeffnung hat, durch welche vermittelst einer Röhre die Heidnischen Götzen- Pfaffen die vermeinten Oracula ausgesprochen und das Volck betrogen haben. Nach dieser vergnüglichen Besichtigung begaben wir uns wieder in die Obern-Zimmer, und wurden in des Cardinals-Cabinet introduciret. Er ist ein alter, aber noch vigoureuxer und sehr freundlicher Herr, hatte einen schwartzen Rock mit seidenen Aufschlägen, eine roth tuchne Weste und rothe Strümpfe, ingleichen Schuhe mit rothen Absätzen und rothen übergeschlagenen Laschen an, über dem Kleid aber hing ein kurtzer schwartzer seidener Mantel, worauf das silberne Creutz von dem heil: Geist Orden gesticket, wie er denn auch diesen Orden am Hals hängen und eine rothe Calotte über der Peruque auf hatte, welches alles die ordentliche Haustracht der hiesigen Cardinäle ist. Wir wurden von ihm stehend überaus graceux empfangen, und musten uns, weil er sich auf die Canape setzte auf Fauteuils neben ihn niederlaßen. Der Discours fiel gleich auf die ietzo in gantz Paris herumgehende betrübte Zeitung von dem Absterben des Kaysers, und sagte der Cardinal, daß diesertwegen ein Courier gestern Nacht zu Fontainebleau ankommen seyn solte. Er erzehlte bey dieser Gelegenheit daß er den Kayser Leopoldum mit seinen damaligen zwey Printzen gesehen und nimmer mehr gedacht hätte, daß das Haus dem Untergang so nahe seyn solte. Als darauf von dem betrübten Zustande unsers Vaterlandes, daferner die Zeitungen gegründet wäre, mancherley raisonements fielen, sagte er: je ne doute pas, que le Roi mon maitre nc fasse son possible pour consolle l’Allemagne. Als wir uns beurlaubten und Illmus sich von Ihro Eminentz eben deselbe Gnade und Protection ausbat, welche vor 3 Jahren dero Hhn. Vettern genoßen, machte der Cardinal eine gantz modeste Entschuldigung, erkundigte sich nach derselben Befinden, und bat, bey Gelegenheit ihnen sein Compliment zu

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/30>, abgerufen am 21.11.2024.