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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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caracterisirete er als einen homme sans religion et sans
honneur, und referirete, daß, als er noch Holländischer am-
bassadeur in Madrit gewesen, und auf das Alberoni Begehren
Tuch-Fabricanten aus Holland verschrieben, er den König dabey
um 10000 ecus betrogen. Alberoni habe ihm auch solches
nicht verhalten, sondern trocken gesagt, Monsieur l'Ambassadeur
vous trompes le Roi. Der König habe endlich diesen Schnitt
als eine recompence vor seine Bemühung passiren laßen.
Das Vorhaben seiner damaligen religions-Veränderung habe
er zuerst dem Alberoni entdecket, der ihm zur Antwort
gegeben: Si vous le faites par conscience, je l'aprouve,
et je receverai moi meme avec beaucoup de pleisir votre
abjuration : mais si vous le faites par de vues temporeles,
vous etes le plus grand coquin du monde. Daß er dieses
letztere auch würcklich um höchsten grad gewesen, habe er
unter andern, nachdem er premier ministre worden,
damit erwiesen, daß er seinem Herrn den Anschlag gege-
ben, Gibraltar zu belagern, und, so bald die resolution
gefaßet gewesen, denen Engelländern davon Nachricht
ertheilet, um nehmlich auf einer Seite seinen Herrn
bey der Kriegs-Cassa desto beßer zu bestehlen, auf der
andern Seite aber zu gleicher Zeit von denen Engelländern
vor seine Verrätherey ein wichtiges Trinckgeld zu schnei-
den. Wie denn dieses die Ursach gewesen, daß er sich,
bey seiner ausgebrochenen Ungande, zu dem Englischen
Gesandten in Madrit ins Haus retiriret. Von Oester-
reichischen Sachen wurde auch vieles gesprochen, und
so gar die nunmehrige Spanische praetension auf Böhmen
von dem Cardinal vor nicht gantz ungegründet erkläret.
Bey Gelegenheit eines discourses von Sprachen, erzehlete er,
daß ein niemals aus Paris gekommener Frantzose einesmals
das teutsche Wort Brodt gehöret, und darüber in seiner Gegenwart
also raisoniret habe: Es sey doch ein großer Vorzug der frantzösischen
Sprache, daß man sich darinn so adaequat ausdrücken könne. Denn
wenn man sage pain, so habe man gleich in dem Augenblick
einen vollkommenen Begriff von der Sache, die durch das Wort
angedeutet werde; mais quand on disoit Brodt on ne scavoit ce
que c'etoit. Dieser Mensch habe also aus seiner Mutter Sprache eine
Art einer Natur-Sprache gemacht, und andere Sprachen in so ferne
sie von derselben abgehen, sich als unnatürlich vorgestellet. Als

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caracterisirete er als einen homme sans religion et sans
honneur, und referirete, daß, als er noch Holländischer am-
bassadeur in Madrit gewesen, und auf das Alberoni Begehren
Tuch-Fabricanten aus Holland verschrieben, er den König dabey
um 10000 ecus betrogen. Alberoni habe ihm auch solches
nicht verhalten, sondern trocken gesagt, Monsieur l’Ambassadeur
vous trompes le Roi. Der König habe endlich diesen Schnitt
als eine recompence vor seine Bemühung passiren laßen.
Das Vorhaben seiner damaligen religions-Veränderung habe
er zuerst dem Alberoni entdecket, der ihm zur Antwort
gegeben: Si vous le faites par conscience, je l’aprouve,
et je receverai moi même avec beaucoup de pleisir vôtre
abjuration : mais si vous le faites par de vues temporeles,
vous êtes le plus grand coquin du monde. Daß er dieses
letztere auch würcklich um höchsten grad gewesen, habe er
unter andern, nachdem er premier ministre worden,
damit erwiesen, daß er seinem Herrn den Anschlag gege-
ben, Gibraltar zu belagern, und, so bald die resolution
gefaßet gewesen, denen Engelländern davon Nachricht
ertheilet, um nehmlich auf einer Seite seinen Herrn
bey der Kriegs-Cassa desto beßer zu bestehlen, auf der
andern Seite aber zu gleicher Zeit von denen Engelländern
vor seine Verrätherey ein wichtiges Trinckgeld zu schnei-
den. Wie denn dieses die Ursach gewesen, daß er sich,
bey seiner ausgebrochenen Ungande, zu dem Englischen
Gesandten in Madrit ins Haus retiriret. Von Oester-
reichischen Sachen wurde auch vieles gesprochen, und
so gar die nunmehrige Spanische praetension auf Böhmen
von dem Cardinal vor nicht gantz ungegründet erkläret.
Bey Gelegenheit eines discourses von Sprachen, erzehlete er,
daß ein niemals aus Paris gekommener Frantzose einesmals
das teutsche Wort Brodt gehöret, und darüber in seiner Gegenwart
also raisoniret habe: Es sey doch ein großer Vorzug der frantzösischen
Sprache, daß man sich darinn so adaequat ausdrücken könne. Denn
wenn man sage pain, so habe man gleich in dem Augenblick
einen vollkommenen Begriff von der Sache, die durch das Wort
angedeutet werde; mais quand on disoit Brodt on ne scavoit ce
que c’etoit. Dieser Mensch habe also aus seiner Mutter Sprache eine
Art einer Natur-Sprache gemacht, und andere Sprachen in so ferne
sie von derselben abgehen, sich als unnatürlich vorgestellet. Als

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[0232] 109 caracterisirete er als einen homme sans religion et sans honneur, und referirete, daß, als er noch Holländischer am- bassadeur in Madrit gewesen, und auf das Alberoni Begehren Tuch-Fabricanten aus Holland verschrieben, er den König dabey um 10000 ecus betrogen. Alberoni habe ihm auch solches nicht verhalten, sondern trocken gesagt, Mr: l’Ambassadeur vous trompes le Roi. Der König habe endlich diesen Schnitt als eine recompence vor seine Bemühung passiren laßen. Das Vorhaben seiner damaligen religions-Veränderung habe er zuerst dem Alberoni entdecket, der ihm zur Antwort gegeben: Si vous le faites par conscience, je l’aprouve, et je receverai moi même avec beaucoup de pleisir vôtre abjuration : mais si vous le faites par de vues temporeles, vous êtes le plus grand coquin du monde. Daß er dieses letztere auch würcklich um höchsten grad gewesen, habe er unter andern, nachdem er premier ministre worden, damit erwiesen, daß er seinem Herrn den Anschlag gege- ben, Gibraltar zu belagern, und, so bald die resolution gefaßet gewesen, denen Engelländern davon Nachricht ertheilet, um nehmlich auf einer Seite seinen Herrn bey der Kriegs-Cassa desto beßer zu bestehlen, auf der andern Seite aber zu gleicher Zeit von denen Engelländern vor seine Verrätherey ein wichtiges Trinckgeld zu schnei- den. Wie denn dieses die Ursach gewesen, daß er sich, bey seiner ausgebrochenen Ungande, zu dem Englischen Gesandten in Madrit ins Haus retiriret. Von Oester- reichischen Sachen wurde auch vieles gesprochen, und so gar die nunmehrige Spanische praetension auf Böhmen von dem Cardinal vor nicht gantz ungegründet erkläret. Bey Gelegenheit eines discourses von Sprachen, erzehlete er, daß ein niemals aus Paris gekommener Frantzose einesmals das teutsche Wort Brodt gehöret, und darüber in seiner Gegenwart also raisoniret habe: Es sey doch ein großer Vorzug der frantzösischen Sprache, daß man sich darinn so adaequat ausdrücken könne. Denn wenn man sage pain, so habe man gleich in dem Augenblick einen vollkommenen Begriff von der Sache, die durch das Wort angedeutet werde; mais quand on disoit Brodt on ne scavoit ce que c’etoit. Dieser Mensch habe also aus seiner Mutter Sprache eine Art einer Natur-Sprache gemacht, und andere Sprachen in so ferne sie von derselben abgehen, sich als unnatürlich vorgestellet. Als

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/232>, abgerufen am 14.08.2024.