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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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desjenigen gekommen sey, was zur wahren Glückseeligkeit dieses und
ienes Lebens gehöre. Oben ist noch anzuführen vergeßen worden, daß
bey Anwesenheit des Chevalier de Court erzehlet wurde, wie der
König in Preußen dem ehemals schon erwehnten Graf Rotenburg,
der sich durch das Spielen ruiniret, ein Regiement gegeben, die Mare-
challe d'Etree
aber, bey seiner Abreise von hier, ihm das bon mot
mit auf den Weg gegeben habe: le Roi de Prusse ne vous donnera jamais
autant, que le Roi David vous a fait perdre, welches zu verstehen, zu
wißen ist, daß einer der hiesigen vornehmsten Carten [unleserliches Material]Macher das
Bild des Königs Davids vor seinem Laden aushengen habe.

Den Februar

Weil wir, wegen des heutigen neblichten und duftigen Wetters, der Luft
uns nicht exponiren wollen, sondern unsre Zeit mit Lesen und schreiben
zugebracht; so kan folgender Extract aus denen Nouvelles ecclesiastiques den Mangel
anderer Materie nutzbarlich ersetzen.

Letzte Stunden des noch übrig gewesenen eintzigen appellantischen
Bischofs zu Senez, Jean Soanen, welcher in seinem Exilio den 25 December
1740 im 94ten Jahre seines Alters verstorben.

Vor 14 Jahren wurde dieser gelehrte und fromme, ia selbst von seinen Feinden vor höchst
exemplarisch erklärte Bischoff, von dem bekanten Concilio zu Embrun, wegen seiner in
Verwerffung der Constitution bewiesenen unwandelbaren Beständigkeit, von dem Bischöflichen Ambt suspen-
diret, und muste sich auf Befehl des Hofes in eine gewiße [unleserliches Material]außer seiner diveces gelegene Abtey
begeben. Als ihm damals die Sententz des concilii publiciret wurde, sagte er: ich gehe frölich von des
Concilii Angesicht, weil ich gewürdiget bin, um des Nahmens Jesu willen Schmach zu leiden.

In gedachter Abtey hat er die gantzen 14 Jahre über sich dermaßen verhalten, daß iedermann
erkennen müßen, er führe das praedicat: Prisonnier de Jesus Christ, welches er sich selbst in
Schriften beyzulegen pflegte, mit Grunde der Warheit, ja daß der Prior und die Mönche dieser
Abtey, ohnerachtet sie der Constitution gröstentheils zugethan sind, seine Person als einen ihnen
anvertrauten großen Schatz angesehen, und ihm alle Liebe und Ehre erwiesen. Im Monath
Junio des abgewichenen 1740ten Jahres hatte er einen Anfall vom Schlag-Fluß, wodurch iedoch
seine Gemüts-Kräfte im geringsten nicht geschwächet, wohl aber die Triebe seiner Gott-
seeligkeit mächtig gestarcket wurden. Ja es hatte dieser ehrwürdige Greiß, wie es
schien, auch dem Leibe nach wieder gantz neues Lebens-Kräfte erlanget, als ihn den 21 November ein
höchst empfindlicher Schmertz am rechten Bein plötzlich überfiel, und [unleserliches Material]demselben des Ge-
brauchs derer Füße gäntzlich beraubete, ohnerachtet der Schmertz bald leidlich wurde,
auch Schlaf und appetit dabey continuirten. Den 10 December aber fand sich bey ihm eine
so große Entkräftung, daß man sich entschloß, ihm das Heilige Abendmal zu reichen.
Es geschahe solches durch den PaterPriorem unter Begleitung des gantzen Convents. Der Prior hielt
dabey eine sehr erbauliche und bewegliche Ermahnung, welche ihm selbst und allen Umste-
henden die Thränen auspreßete. Vor der Communion wurde das geistliche Testament
des erleuchteten Patienten durch seinen Aumonier abgelesen, und mit großer Stille und
Aufmercksamkeit von allen Anwesenden angehöret. Nach vollbrachter Communion
erinnerte man den seeligen Bischof aller seiner guten Freunde, oder vielmehr aller Freunde
der Warheit, vor welche er denn brünstig zu Gott betete. Diese heilige Gebets-Übung
war ohndem seine Haupt-Verrichtung, und Niemand hat das Gebot vom unabläßigen
Gebet, auch dem strengen Wort-Verstande nach, iemals fleißiger beobachtet, als
er es gethan. Vom 10 December an bis auf den Tag seiners seeligen Endes war nichts,
als die Ewigkeit, der Vorwurff aller seiner Gedancken und Reden. Bey dieser seiner
Kranckheit meldete sich oft eine Art der Schlaf [unleserliches Material]Sucht, da man ihn denn auf keine Weise
ermuntern konte, als wenn man ihm etwa einen Psalm oder ein ander Gebet
vorsprach. Sonderlich war in denen letzten Tagen diese Schläfrigkeit zuweilen so
starck, daß man den Krancken auch nicht so lange munter erhalten konte, um ihm
nur etwas bouillon bey zu bringen. Man durfte aber alsdenn nur den ersten
Vers eines Psalms ihm vorsprechen, so recitirete er alsbald den andern, und
nach diesem abgewechselten Hersagen des gantzen Psalms, ging die Brühe hinter,
und die Schläfrigkeit nahm so fort wider ihren Anfang. Der Medicus ist
hiervon Zeuge, deßen zur Ermunterung des Patienten gebrauchte ander

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desjenigen gekommen sey, was zur wahren Glückseeligkeit dieses und
ienes Lebens gehöre. Oben ist noch anzuführen vergeßen worden, daß
bey Anwesenheit des Chevalier de Court erzehlet wurde, wie der
König in Preußen dem ehemals schon erwehnten Graf Rotenburg,
der sich durch das Spielen ruiniret, ein Regiement gegeben, die Mare-
challe d’Etrée
aber, bey seiner Abreise von hier, ihm das bon mot
mit auf den Weg gegeben habe: le Roi de Prusse ne vous donnera jamais
autant, que le Roi David vous a fait perdre, welches zu verstehen, zu
wißen ist, daß einer der hiesigen vornehmsten Carten [unleserliches Material]Macher das
Bild des Königs Davids vor seinem Laden aushengen habe.

Den Februar

Weil wir, wegen des heutigen neblichten und duftigen Wetters, der Luft
uns nicht exponiren wollen, sondern unsre Zeit mit Lesen und schreiben
zugebracht; so kan folgender Extract aus denen Nouvelles ecclesiastiques den Mangel
anderer Materie nutzbarlich ersetzen.

Letzte Stunden des noch übrig gewesenen eintzigen appellantischen
Bischofs zu Senez, Jean Soanen, welcher in seinem Exilio den 25 December
1740 im 94ten Jahre seines Alters verstorben.

Vor 14 Jahren wurde dieser gelehrte und fromme, ia selbst von seinen Feinden vor höchst
exemplarisch erklärte Bischoff, von dem bekanten Concilio zu Embrun, wegen seiner in
Verwerffung der Constitution bewiesenen unwandelbaren Beständigkeit, von dem Bischöflichen Ambt suspen-
diret, und muste sich auf Befehl des Hofes in eine gewiße [unleserliches Material]außer seiner diveces gelegene Abtey
begeben. Als ihm damals die Sententz des concilii publiciret wurde, sagte er: ich gehe frölich von des
Concilii Angesicht, weil ich gewürdiget bin, um des Nahmens Jesu willen Schmach zu leiden.

In gedachter Abtey hat er die gantzen 14 Jahre über sich dermaßen verhalten, daß iedermann
erkennen müßen, er führe das praedicat: Prisonnier de Jesus Christ, welches er sich selbst in
Schriften beyzulegen pflegte, mit Grunde der Warheit, ja daß der Prior und die Mönche dieser
Abtey, ohnerachtet sie der Constitution gröstentheils zugethan sind, seine Person als einen ihnen
anvertrauten großen Schatz angesehen, und ihm alle Liebe und Ehre erwiesen. Im Monath
Junio des abgewichenen 1740ten Jahres hatte er einen Anfall vom Schlag-Fluß, wodurch iedoch
seine Gemüts-Kräfte im geringsten nicht geschwächet, wohl aber die Triebe seiner Gott-
seeligkeit mächtig gestarcket wurden. Ja es hatte dieser ehrwürdige Greiß, wie es
schien, auch dem Leibe nach wieder gantz neues Lebens-Kräfte erlanget, als ihn den 21 November ein
höchst empfindlicher Schmertz am rechten Bein plötzlich überfiel, und [unleserliches Material]demselben des Ge-
brauchs derer Füße gäntzlich beraubete, ohnerachtet der Schmertz bald leidlich wurde,
auch Schlaf und appetit dabey continuirten. Den 10 December aber fand sich bey ihm eine
so große Entkräftung, daß man sich entschloß, ihm das Heilige Abendmal zu reichen.
Es geschahe solches durch den PaterPriorem unter Begleitung des gantzen Convents. Der Prior hielt
dabey eine sehr erbauliche und bewegliche Ermahnung, welche ihm selbst und allen Umste-
henden die Thränen auspreßete. Vor der Communion wurde das geistliche Testament
des erleuchteten Patienten durch seinen Aumonier abgelesen, und mit großer Stille und
Aufmercksamkeit von allen Anwesenden angehöret. Nach vollbrachter Communion
erinnerte man den seeligen Bischof aller seiner guten Freunde, oder vielmehr aller Freunde
der Warheit, vor welche er denn brünstig zu Gott betete. Diese heilige Gebets-Übung
war ohndem seine Haupt-Verrichtung, und Niemand hat das Gebot vom unabläßigen
Gebet, auch dem strengen Wort-Verstande nach, iemals fleißiger beobachtet, als
er es gethan. Vom 10 December an bis auf den Tag seiners seeligen Endes war nichts,
als die Ewigkeit, der Vorwurff aller seiner Gedancken und Reden. Bey dieser seiner
Kranckheit meldete sich oft eine Art der Schlaf [unleserliches Material]Sucht, da man ihn denn auf keine Weise
ermuntern konte, als wenn man ihm etwa einen Psalm oder ein ander Gebet
vorsprach. Sonderlich war in denen letzten Tagen diese Schläfrigkeit zuweilen so
starck, daß man den Krancken auch nicht so lange munter erhalten konte, um ihm
nur etwas bouillon bey zu bringen. Man durfte aber alsdenn nur den ersten
Vers eines Psalms ihm vorsprechen, so recitirete er alsbald den andern, und
nach diesem abgewechselten Hersagen des gantzen Psalms, ging die Brühe hinter,
und die Schläfrigkeit nahm so fort wider ihren Anfang. Der Medicus ist
hiervon Zeuge, deßen zur Ermunterung des Patienten gebrauchte ander

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[0158] 74 desjenigen gekommen sey, was zur wahren Glückseeligkeit dieses und ienes Lebens gehöre. Oben ist noch anzuführen vergeßen worden, daß bey Anwesenheit des Chevalier de Court erzehlet wurde, wie der König in Preußen dem ehemals schon erwehnten Graf Rotenburg, der sich durch das Spielen ruiniret, ein Regiement gegeben, die Mare- challe d’Etrée aber, bey seiner Abreise von hier, ihm das bon mot mit auf den Weg gegeben habe: le Roi de Prusse ne vous donnera jamais autant, que le Roi David vous a fait perdre, welches zu verstehen, zu wißen ist, daß einer der hiesigen vornehmsten Carten Macher das Bild des Königs Davids vor seinem Laden aushengen habe. Den 11 Febr: Weil wir, wegen des heutigen neblichten und duftigen Wetters, der Luft uns nicht exponiren wollen, sondern unsre Zeit mit Lesen u. schreiben zugebracht; so kan folgender Extract aus denen Nouvelles ecclesiastiques den Mangel anderer Materie nutzbarlich ersetzen. Letzte Stunden des noch übrig gewesenen eintzigen appellantischen Bischofs zu Senez, Jean Soanen, welcher in seinem Exilio den 25 Dec: 1740 im 94ten Jahre seines Alters verstorben. Vor 14 Jahren wurde dieser gelehrte und fromme, ia selbst von seinen Feinden vor höchst exemplarisch erklärte Bischoff, von dem bekanten Concilio zu Embrun, wegen seiner in Verwerffung der Constitution bewiesenen unwandelbaren Beständigkeit, von dem Bischöflichen Ambt suspen- diret, und muste sich auf Befehl des Hofes in eine gewiße außer seiner diveces gelegene Abtey begeben. Als ihm damals die Sententz des concilii publiciret wurde, sagte er: ich gehe frölich von des Concilii Angesicht, weil ich gewürdiget bin, um des Nahmens Jesu willen Schmach zu leiden. In gedachter Abtey hat er die gantzen 14 Jahre über sich dermaßen verhalten, daß iedermann erkennen müßen, er führe das praedicat: Prisonnier de Jesus Christ, welches er sich selbst in Schriften beyzulegen pflegte, mit Grunde der Warheit, ja daß der Prior und die Mönche dieser Abtey, ohnerachtet sie der Constitution gröstentheils zugethan sind, seine Person als einen ihnen anvertrauten großen Schatz angesehen, und ihm alle Liebe und Ehre erwiesen. Im Monath Junio des abgewichenen 1740ten Jahres hatte er einen Anfall vom Schlag-Fluß, wodurch iedoch seine Gemüts-Kräfte im geringsten nicht geschwächet, wohl aber die Triebe seiner Gott- seeligkeit mächtig gestarcket wurden. Ja es hatte dieser ehrwürdige Greiß, wie es schien, auch dem Leibe nach wieder gantz neues Lebens-Kräfte erlanget, als ihn d: 21 Nov: ein höchst empfindlicher Schmertz am rechten Bein plötzlich überfiel, und demselben des Ge- brauchs derer Füße gäntzlich beraubete, ohnerachtet der Schmertz bald leidlich wurde, auch Schlaf und appetit dabey continuirten. Den 10 Dec: aber fand sich bey ihm eine so große Entkräftung, daß man sich entschloß, ihm das H. Abendmal zu reichen. Es geschahe solches durch den P.Priorem unter Begleitung des gantzen Convents. Der Prior hielt dabey eine sehr erbauliche und bewegliche Ermahnung, welche ihm selbst und allen Umste- henden die Thränen auspreßete. Vor der Communion wurde das geistliche Testament des erleuchteten Patienten durch seinen Aumonier abgelesen, und mit großer Stille und Aufmercksamkeit von allen Anwesenden angehöret. Nach vollbrachter Communion erinnerte man den seel:n Bischof aller seiner guten Freunde, oder vielmehr aller Freunde der Warheit, vor welche er denn brünstig zu Gott betete. Diese heilige Gebets-Übung war ohndem seine Haupt-Verrichtung, und Niemand hat das Gebot vom unabläßigen Gebet, auch dem strengen Wort-Verstande nach, iemals fleißiger beobachtet, als er es gethan. Vom 10 Dec an bis auf den Tag seiners seel: Endes war nichts, als die Ewigkeit, der Vorwurff aller seiner Gedancken und Reden. Bey dieser seiner Kranckheit meldete sich oft eine Art der Schlaf Sucht, da man ihn denn auf keine Weise ermuntern konte, als wenn man ihm etwa einen Psalm oder ein ander Gebet vorsprach. Sonderlich war in denen letzten Tagen diese Schläfrigkeit zuweilen so starck, daß man den Krancken auch nicht so lange munter erhalten konte, um ihm nur etwas bouillon bey zu bringen. Man durfte aber alsdenn nur den ersten Vers eines Psalms ihm vorsprechen, so recitirete er alsbald den andern, und nach diesem abgewechselten Hersagen des gantzen Psalms, ging die Brühe hinter, und die Schläfrigkeit nahm so fort wider ihren Anfang. Der Medicus ist hiervon Zeuge, deßen zur Ermunterung des Patienten gebrauchte ander

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/158>, abgerufen am 14.08.2024.