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Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742].

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Den 9 Februar

Mittags speiseten wir mit dem Printzen von Schwartburg und Herr von Herten-
berg
bey dem Cardinal Polignac, an den wir sie praesentireten. Eine
und andere particularia von denen uns zugeschickten Schlesischen Nach-
richten, welche noch nicht in denen Zeitungen befindlich, waren dem
Cardinal recht angenehm zu erfahren, und gaben Gelegenheit sonderlich
nach der Tafel, zu vielerley politischen und moralischen Discoursen.
Aber das Preußische Verhalten gegen die Königin in Ungarn
machte er die general reflexion, que fort souvent les grands princes
s'imaginent, que les vertus morales ne sont pas etablies pour eux, bey
der Special-Application aber hieß es: c'est un vrai machiavellisme.
Als ihm dabey von einigen die bekannte Einwendung gemacht
wurde, daß Machiavellus seinem Printzen keinesweges Regeln
geben, sondern vielmehr zu seiner Beschämung nur anzeigen
wollen, wie es große Herrn leider in praxi zu machen pflegten;
behauptete er mit großem Ernst das contrarium, und beweiß solches
unter andern daher, weil Machiavellus ausdrücklich sage: die Regeln
des Ewangelii wären zu glücklicher Administration eines bereits
acquirireten und in Ruhe beseßenen Staats die allerbesten,
einen Staat aber allererst auch pieste zu acquiriren, und sich bey der Conquete
zu erhalten, taugten selbige nichts, worauf er denn diese
Materie also beschloß: ce que Bayle a voulu faire dans les dogmes
de la Religion, Machiavel a fait dans la morale des princes.
Man kam sodann wider auf die Oesterreichische Materie, da denn
der Cardinal behaupten wolte, daß das Haus Oesterreich väterli-
cher Seits nicht einmal von denen Grafen von Habspurg,
sondern von gewißen Schweitzerischen gentil hommes, Thierstein
genannt, herstamme, davon einer eine Habspurgische Tochter geheira-
thet und dadurch die Habspurgische Güter acquiriret habe. Ru-
dolphum Illustrissimum nennte er einen avanturier, der aber doch
große Qualitaeten, und die Kayser-Crone wohl meritirt gehabt.
Sonst verlangte er eine Abschrift von [unleserliches Material]denen ihm letztgewiesenen
chronistichondes XXIIIsten Herrn auf des Kaysers Tod, welche Copie auch,
weil man solches auswendig wuste, so fort auf seinem Schreib-
Tische gefertiget und von ihm mit einer sehr obligeanten
Dancksagung angenommen wurde. Beym Abschied ermahnete
er sowol den Printzen, als Illustrissimum mit wünschen und beten zu
helffen, daß die teutsche Nation mit einem guten Kayser wider
versorget werden mögte. Der Uberrest des Nachmittags wurde
mit fernerer Besichtigung der Foire Sankt Germain zugebracht, da
indeßen der Baron v. Rotenhan zur Visite in unserm Quartier
gewesen.

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Den 9 Februar

Mittags speiseten wir mit dem Printzen von Schwartburg und Herr von Herten-
berg
bey dem Cardinal Polignac, an den wir sie praesentireten. Eine
und andere particularia von denen uns zugeschickten Schlesischen Nach-
richten, welche noch nicht in denen Zeitungen befindlich, waren dem
Cardinal recht angenehm zu erfahren, und gaben Gelegenheit sonderlich
nach der Tafel, zu vielerley politischen und moralischen Discoursen.
Aber das Preußische Verhalten gegen die Königin in Ungarn
machte er die general reflexion, que fort souvent les grands princes
s’imaginent, que les vertus morales ne sont pas etablies pour eux, bey
der Special-Application aber hieß es: c’est un vrai machiavellisme.
Als ihm dabey von einigen die bekannte Einwendung gemacht
wurde, daß Machiavellus seinem Printzen keinesweges Regeln
geben, sondern vielmehr zu seiner Beschämung nur anzeigen
wollen, wie es große Herrn leider in praxi zu machen pflegten;
behauptete er mit großem Ernst das contrarium, und beweiß solches
unter andern daher, weil Machiavellus ausdrücklich sage: die Regeln
des Ewangelii wären zu glücklicher Administration eines bereits
acquirireten und in Ruhe beseßenen Staats die allerbesten,
einen Staat aber allererst auch pieste zu acquiriren, und sich bey der Conquête
zu erhalten, taugten selbige nichts, worauf er denn diese
Materie also beschloß: ce que Bayle à voulu faire dans les dogmes
de la Religion, Machiavel à fait dans la morale des princes.
Man kam sodann wider auf die Oesterreichische Materie, da denn
der Cardinal behaupten wolte, daß das Haus Oesterreich väterli-
cher Seits nicht einmal von denen Grafen von Habspurg,
sondern von gewißen Schweitzerischen gentil hommes, Thierstein
genannt, herstamme, davon einer eine Habspurgische Tochter geheira-
thet und dadurch die Habspurgische Güter acquiriret habe. Ru-
dolphum Illustrissimum nennte er einen avanturier, der aber doch
große Qualitaeten, und die Kayser-Crone wohl meritirt gehabt.
Sonst verlangte er eine Abschrift von [unleserliches Material]denen ihm letztgewiesenen
chronistichondes XXIIIsten Herrn auf des Kaysers Tod, welche Copie auch,
weil man solches auswendig wuste, so fort auf seinem Schreib-
Tische gefertiget und von ihm mit einer sehr obligeanten
Dancksagung angenommen wurde. Beym Abschied ermahnete
er sowol den Printzen, als Illustrissimum mit wünschen und beten zu
helffen, daß die teutsche Nation mit einem guten Kayser wider
versorget werden mögte. Der Uberrest des Nachmittags wurde
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indeßen der Baron v. Rotenhan zur Visite in unserm Quartier
gewesen.

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[0156] 73 Den 9 Febr: Mittags speiseten wir mit dem Printzen von Schwartburg u. H. v. Herten- berg bey dem Cardinal Polignac, an den wir sie praesentireten. Eine und andere particularia von denen uns zugeschickten Schlesischen Nach- richten, welche noch nicht in denen Zeitungen befindlich, waren dem Cardinal recht angenehm zu erfahren, und gaben Gelegenheit sonderl: nach der Tafel, zu vielerley politischen und moralischen Discoursen. Aber das Preußische Verhalten gegen die Königin in Ungarn machte er die general reflexion, que fort souvent les grands princes s’imaginent, que les vertus morales ne sont pas etablies pour eux, bey der Special-Application aber hieß es: c’est un vrai machiavellisme. Als ihm dabey von einigen die bekannte Einwendung gemacht wurde, daß Machiavellus seinem Printzen keinesweges Regeln geben, sondern vielmehr zu seiner Beschämung nur anzeigen wollen, wie es große Herrn leider in praxi zu machen pflegten; behauptete er mit großem Ernst das contrarium, und beweiß solches unter andern daher, weil Machiavellus ausdrückl: sage: die Regeln des Ewangelii wären zu glücklicher Administration eines bereits acquirireten und in Ruhe beseßenen Staats die allerbesten, einen Staat aber allererst auch pieste zu acquiriren, und sich bey der Conquête zu erhalten, taugten selbige nichts, worauf er denn diese Materie also beschloß: ce que Bayle à voulu faire dans les dogmes de la Religion, Machiavel à fait dans la morale des princes. Man kam sodann wider auf die Oesterreichische Materie, da denn der Cardinal behaupten wolte, daß das Haus Oesterreich väterli- cher Seits nicht einmal von denen Grafen von Habspurg, sondern von gewißen Schweitzerischen gentil hommes, Thierstein genannt, herstamme, davon einer eine Habspurgische Tochter geheira- thet und dadurch die Habspurgische Güter acquiriret habe. Ru- dolphum Imum nennte er einen avanturier, der aber doch große Qualitaeten, und die Kayser-Crone wohl meritirt gehabt. Sonst verlangte er eine Abschrift von denen ihm letztgewiesenen chronistichodes XXIIIsten Herrn auf des Kaysers Tod, welche Copie auch, weil man solches auswendig wuste, so fort auf seinem Schreib- Tische gefertiget und von ihm mit einer sehr obligeanten Dancksagung angenommen wurde. Beym Abschied mahnete er sowol den Printzen, als Illmum mit wünschen und beten zu helffen, daß die teutsche Nation mit einem guten Kayser wider versorget werden mögte. Der Uberrest des Nachmittags wurde mit fernerer Besichtigung der Foire St. Germain zugebracht, da indeßen der Bar. v. Rotenhan zur Visite in unserm Quartier gewesen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Herausgeber:innen
Paul Beckus, Marita Gruner, Thomas Grunewald, Sabrina Mögelin, Martin Prell: Bearbeiter:innen
Martin Prell: Datentransformation
Saskia Jungmann, Nikolas Schröder, Andreas Lewen: Mitarbeit
Thüringer Staatskanzlei: Projektförderer
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena: Bilddigitalisierung von Editionsvorlage und deren Abschrift sowie Bereitstellung der Digitalisate

Weitere Informationen:

Das Endendum der vorliegenden Edition bildet das Tagebuch zur Kavalierstour des pietistischen Grafen Heinrich XI. Reuß zu Obergreiz (1722-1800) durch das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Frankreich, die Schweiz, Italien und Österreich in den Jahren 1740–1742. Es besteht aus 443 Tagebucheinträgen auf 784 Seiten, die in 71 Briefen in die Heimat übersandt wurden. Verfasser des Tagebuchs ist der Köstritzer Hofmeister Anton von Geusau (1695–1749). Im Tagebuch bietet dieser nicht nur Einblicke in die international vernetzte Welt des Hochadels, sondern überliefert auch tiefgehende Einblicke in die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Entwicklungen in den besuchten Ländern. Dies ist vor allem für die im politischen System Europas stattfindenden Veränderungen relevant. So führte der Aufstieg Preußens zur Großmacht zu einer Neuordnung des europäischen Mächtesystems. In die Zeit seiner Kavalierstour fallen beispielsweise der Tod des Römisch-Deutschen Kaisers Karl VI. (1685–1740) und der sich daran anschließende Österreichische Erbfolgekrieg mit seinen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystem. Besonders aufschlussreich sind die zahlreichen wiedergegebenen Gespräche zwischen den Reisenden und anderen Adligen, Geistlichen und Gelehrten zumeist katholischer Provenienz. Diese ermöglichen vielfältige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungswelt des Verfassers, seiner Mitreisenden und Gesprächspartner. Hieran werden Kontaktzonen für interkonfessionellen Austausch, aber auch Grenzen des Sag- oder Machbaren deutlich: Heinrich XI. und von Geusau waren pietistisch-fromme Lutheraner, die die auf der Reise gemachten Erfahrungen vor ihrem konfessionellen Erfahrungshintergrund spiegelten, werteten und einordneten

Die Edition wurde zunächst mit Hilfe der virtuellen Forschungsumgebung FuD erstellt, die im Rahmen des Projektes Editionenportal Thüringen an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) implementiert wurde. Nach Einstellung dieses Infrastrukturprojekts fand eine Transformation des FuD-XML in das DTABf im Rahmen eines FAIR-Data-Stipendiums der NFDI4Memory statt. Die Digitalisierung des originalen Brieftagebuchs und einer zeitgenössischen Abschrift erfolgte über die ThULB. Die vorliegende Edition umfasst eine vorlagennahe und zeilengenaue Umschrift der kurrenten Handschrift in moderne lateinische Buchstaben. Eine gründliche Ersttranskription ist erfolgt; eine abschließende Kollationierung steht noch aus. Die XML-Daten umfassen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zudem eine grundständige Strukturkodierung (Briefe, Tagebucheinträge, Kopfzeilen, Absätze, Seiten- und Zeilenwechsel) und eine TEI-konforme Auszeichnung grundlegender formal-textkritischer Phänomene (Hervorhebungen, Autorkorrekturen, editorische Konjekturen, Unlesbarkeiten, Abkürzungen mit Auflösungen). Abweichungen der zeitgenössische Abschrift vom originalen Autographen wurden bis dato nicht erfasst. Topographische Informationen der Autorkorrekturen wurden erfasst. Einrückungen am Zeilenbeginn und innerhalb von Zeilen wurden nicht wiedergegeben. Horizontale Leerräume wurden nicht genau, sondern als einfache Leerzeilen wiedergegeben. Für bisher 49 der insgesamt 71 Briefe wurden zudem die darin erwähnten inhaltlich-semantischen Entitäten (Personen/Körperschaften, Gruppen, Geografika, Ereignisse und Objekte (z.B. Bücher, Gebäude, Statuen, Karten, Gemälde etc.)) kodiert und unter Nutzung von GND-Verweisen identifiziert. Ein entsprechendes Register finden Sie auf Github, dort sind auch sämtliche Daten der Edition zu diesem Werk publiziert.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht markiert; Geminations-/Abkürzungsstriche: mnarkiert, expandiert; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht markiert; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Geusau, Anton von: Reise Herrn Heinrich d. XI. durch Teutschland Franckr. u. Italien, [1740–1742], S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/geusau_reisetagebuchHeinrichxiReuss_1740/156>, abgerufen am 21.11.2024.