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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

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von Schilf und Tann-Aesten, an den Stämmen
nahe stehender Bäume befestigt, da wohnte sie im
Schatten, und über ihr, in den dicht-belaubten
Aesten, die singenden Vögel. Sie gieng dann hin-
aus, die Gegend zu sehn, wie sie im Thau glänzt,
und den Gesang der Vögel im nahen Hain zu be-
horchen. Entzükt sass sie dann da und horchte,
und suchte ihren Gesang nachzulallen. Harmoni-
schere Töne flossen izt von ihren Lippen, harmo-
nischer, als noch kein Mädchen gesungen hatte;
was ihre liebliche Stimme von eines jeden Ge-
sang nachahmen konnte, ordnete sie verschieden
zusammen. Ihr kleinen frohen Sänger, so sprach
sie mit singenden Worten, wie lieblich tönt euer
Lied, von hoher Bäume Wipfeln und aus dem
niedern Strauch! Könnt ich dem glänzenden Mor-
gen so lieblich wechselnde Tön' entgegen singen!
O lehrt mich die wechselnden Töne, dann sing'
ich mein sanftes Entzüken, mit euch, dem frühen
Sonnen-Stral. So sang sie, und unvermerkt

von Schilf und Tann-Aeſten, an den Stämmen
nahe ſtehender Bäume befeſtigt, da wohnte ſie im
Schatten, und über ihr, in den dicht-belaubten
Aeſten, die ſingenden Vögel. Sie gieng dann hin-
aus, die Gegend zu ſehn, wie ſie im Thau glänzt,
und den Geſang der Vögel im nahen Hain zu be-
horchen. Entzükt ſaſs ſie dann da und horchte,
und ſuchte ihren Geſang nachzulallen. Harmoni-
ſchere Töne floſſen izt von ihren Lippen, harmo-
niſcher, als noch kein Mädchen geſungen hatte;
was ihre liebliche Stimme von eines jeden Ge-
ſang nachahmen konnte, ordnete ſie verſchieden
zuſammen. Ihr kleinen frohen Sänger, ſo ſprach
ſie mit ſingenden Worten, wie lieblich tönt euer
Lied, von hoher Bäume Wipfeln und aus dem
niedern Strauch! Könnt ich dem glänzenden Mor-
gen ſo lieblich wechſelnde Tön’ entgegen ſingen!
O lehrt mich die wechſelnden Töne, dann ſing’
ich mein ſanftes Entzüken, mit euch, dem frühen
Sonnen-Stral. So ſang ſie, und unvermerkt

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[92/0097] von Schilf und Tann-Aeſten, an den Stämmen nahe ſtehender Bäume befeſtigt, da wohnte ſie im Schatten, und über ihr, in den dicht-belaubten Aeſten, die ſingenden Vögel. Sie gieng dann hin- aus, die Gegend zu ſehn, wie ſie im Thau glänzt, und den Geſang der Vögel im nahen Hain zu be- horchen. Entzükt ſaſs ſie dann da und horchte, und ſuchte ihren Geſang nachzulallen. Harmoni- ſchere Töne floſſen izt von ihren Lippen, harmo- niſcher, als noch kein Mädchen geſungen hatte; was ihre liebliche Stimme von eines jeden Ge- ſang nachahmen konnte, ordnete ſie verſchieden zuſammen. Ihr kleinen frohen Sänger, ſo ſprach ſie mit ſingenden Worten, wie lieblich tönt euer Lied, von hoher Bäume Wipfeln und aus dem niedern Strauch! Könnt ich dem glänzenden Mor- gen ſo lieblich wechſelnde Tön’ entgegen ſingen! O lehrt mich die wechſelnden Töne, dann ſing’ ich mein ſanftes Entzüken, mit euch, dem frühen Sonnen-Stral. So ſang ſie, und unvermerkt

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Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/97>, abgerufen am 13.05.2024.