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Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826.

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durch das Gemüth des Lehrers und die Vortreff-
lichkeit des Unterrichts bewegt werden. Hingegen
die brittische Ansicht will die Schule zu einem mecha-
nischen Getriebe machen, daß dieselbe sei wie eine
Spinnmaschine, die Schüler wie Räder und Spu-
len, der Lehrer aber wie der Aufseher solcher Maschine.
Mit andern Worten, die eine will Lehrer und Schü-
ler beschäftigen durch Erregung der innern Kraft des
Geistes, die andere durch Auflegung der äußern Kraft
der Gewöhnung. Da aber der Gegenstand, welcher
durch die Schulgeschäfte so zu sagen bearbeitet werden
soll, doch wol die Schüler selber sind, so folgt frei-
lich, daß beide Ansichten auch die Personen der Schule
unbewußt verschieden würdigen, daß jene sie für gei-
stige Wesen erklärt, diese für sinnliche, welche mecha-
nisch zu leiten sind wie alles, was der Körperwelt
angehört. Jm übrigen hat die deutsche Ansicht Aehn-
lichkeit mit der philanthropinischen, die brittische mit
der oben als der alten geschilderten. Aber auch nur
Aehnlichkeit; denn bei weiterer Prüfung findet man
leicht, daß die Abschaffung der strengen Disciplin der
alten Schulen durch die Philanthropine zugleich eine
Ableugnung gewisser religiöser Lehren gewesen und
aus einem Streite ganz im Gebiete der Kirche her-
vorgegangen ist; hier aber sind wir ganz im bürger-
lichen Gebiet und in einer Verschiedenheit des
Geschäftbetriebes.

Fassen wir nun die bisherige Untersuchung zu-
sammen, so haben wir in dem geschichtlichen Verlauf
des Schulwesens, und zwar selbst in seiner Bezie-
hung sowol auf die Kirche als auf den Staat, zwei

durch das Gemuͤth des Lehrers und die Vortreff-
lichkeit des Unterrichts bewegt werden. Hingegen
die brittiſche Anſicht will die Schule zu einem mecha-
niſchen Getriebe machen, daß dieſelbe ſei wie eine
Spinnmaſchine, die Schuͤler wie Raͤder und Spu-
len, der Lehrer aber wie der Aufſeher ſolcher Maſchine.
Mit andern Worten, die eine will Lehrer und Schuͤ-
ler beſchaͤftigen durch Erregung der innern Kraft des
Geiſtes, die andere durch Auflegung der aͤußern Kraft
der Gewoͤhnung. Da aber der Gegenſtand, welcher
durch die Schulgeſchaͤfte ſo zu ſagen bearbeitet werden
ſoll, doch wol die Schuͤler ſelber ſind, ſo folgt frei-
lich, daß beide Anſichten auch die Perſonen der Schule
unbewußt verſchieden wuͤrdigen, daß jene ſie fuͤr gei-
ſtige Weſen erklaͤrt, dieſe fuͤr ſinnliche, welche mecha-
niſch zu leiten ſind wie alles, was der Koͤrperwelt
angehoͤrt. Jm uͤbrigen hat die deutſche Anſicht Aehn-
lichkeit mit der philanthropiniſchen, die brittiſche mit
der oben als der alten geſchilderten. Aber auch nur
Aehnlichkeit; denn bei weiterer Pruͤfung findet man
leicht, daß die Abſchaffung der ſtrengen Diſciplin der
alten Schulen durch die Philanthropine zugleich eine
Ableugnung gewiſſer religioͤſer Lehren geweſen und
aus einem Streite ganz im Gebiete der Kirche her-
vorgegangen iſt; hier aber ſind wir ganz im buͤrger-
lichen Gebiet und in einer Verſchiedenheit des
Geſchaͤftbetriebes.

Faſſen wir nun die bisherige Unterſuchung zu-
ſammen, ſo haben wir in dem geſchichtlichen Verlauf
des Schulweſens, und zwar ſelbſt in ſeiner Bezie-
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[6/0014] durch das Gemuͤth des Lehrers und die Vortreff- lichkeit des Unterrichts bewegt werden. Hingegen die brittiſche Anſicht will die Schule zu einem mecha- niſchen Getriebe machen, daß dieſelbe ſei wie eine Spinnmaſchine, die Schuͤler wie Raͤder und Spu- len, der Lehrer aber wie der Aufſeher ſolcher Maſchine. Mit andern Worten, die eine will Lehrer und Schuͤ- ler beſchaͤftigen durch Erregung der innern Kraft des Geiſtes, die andere durch Auflegung der aͤußern Kraft der Gewoͤhnung. Da aber der Gegenſtand, welcher durch die Schulgeſchaͤfte ſo zu ſagen bearbeitet werden ſoll, doch wol die Schuͤler ſelber ſind, ſo folgt frei- lich, daß beide Anſichten auch die Perſonen der Schule unbewußt verſchieden wuͤrdigen, daß jene ſie fuͤr gei- ſtige Weſen erklaͤrt, dieſe fuͤr ſinnliche, welche mecha- niſch zu leiten ſind wie alles, was der Koͤrperwelt angehoͤrt. Jm uͤbrigen hat die deutſche Anſicht Aehn- lichkeit mit der philanthropiniſchen, die brittiſche mit der oben als der alten geſchilderten. Aber auch nur Aehnlichkeit; denn bei weiterer Pruͤfung findet man leicht, daß die Abſchaffung der ſtrengen Diſciplin der alten Schulen durch die Philanthropine zugleich eine Ableugnung gewiſſer religioͤſer Lehren geweſen und aus einem Streite ganz im Gebiete der Kirche her- vorgegangen iſt; hier aber ſind wir ganz im buͤrger- lichen Gebiet und in einer Verſchiedenheit des Geſchaͤftbetriebes. Faſſen wir nun die bisherige Unterſuchung zu- ſammen, ſo haben wir in dem geſchichtlichen Verlauf des Schulweſens, und zwar ſelbſt in ſeiner Bezie- hung ſowol auf die Kirche als auf den Staat, zwei

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Zitationshilfe: Gessert, Ferdinand: Ueber den Begriff und die Wichtigkeit der Schulzucht besonders für die Volksschulen. Münster, 1826, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessert_schulzucht_1826/14>, abgerufen am 03.12.2024.