Wir verstehen unter der Aerostatik die Lehre vom Gleichgewichte und Drucke der Luft sowohl für sich, als in Berührung mit andern Körpern. Die Luft ist diejenige Flüssigkeit, welche unsern ganzen Erdball umgibt, und ohne welche kein Thier zu le- ben im Stande ist. Wir denken uns diese Flüssigkeit, so wie das Wasser aus unendlich vielen und unendlich kleinen Theilen bestehend, die unter einander keinen Zusammen- hang haben. Von dem Daseyn dieser Flüssigkeit überzeugt uns der Widerstand, der sich bei jeder Bewegung eines leichten Körpers äussert. Wird ein Blatt Papier mit der Hand in der Richtung seiner Fläche durch die Luft bewegt, so unterliegt diese Bewegung gar keinem Anstande; wenn aber die Fläche des Papieres mit der Richtung seiner Bewegung einen rechten Winkel macht, und das Papier an seinem Ende gehalten wird, so wird es schon bei einer sehr geringen Geschwindigkeit von dem Widerstande der Luft umgebo- gen. Eine jede Bewegung der Luft, jeder Wind gibt uns ebenfalls den Beweis von dem Daseyn derselben, obgleich wir ihre Theile nicht sehen.
Die Luft hat die Beweglichkeit der Theile und die Schwere mit dem Wasser gemein; sie hat aber noch eine andere Eigenschaft, welche dem Wasser abgeht, nämlich die weit grössere Elastizität, oder die Fähigkeit sich durch eine angebrachte Kraft zusammendrücken zu lassen, und das Bestreben ihren Raum fortwährend zu erwei- tern oder sich auszudehnen, so wie die Kraft nachlässt.
§. 60.
Der berühmte Galilaei war der erste, welcher den Lehrsatz, dass die Luft schwer sey, aufstellte. Er wurde hierauf durch den Umstand geführt, dass die Gärtner in Flo- renz das Wasser mittelst Pumpen nur auf eine beschränkte Höhe zu heben vermochten. Es blieb jedoch seinem Schüler Torricelli vorbehalten, im J. 1643 den bestimmten Grund hiervon nachzuweisen. Derselbe nahm eine Glasröhre, die an einem Ende d offen, anFig. 1. Tab. 43. dem andern a aber geschlossen war, und füllte sie ganz mit Quecksilber. Er verschloss hierauf die Oeffnung d mit dem Finger, stürzte die Röhre in ein mit Quecksilber gefüll- tes Gefäss, und entfernte erst dann den Finger, bis das offene Ende der Röhre unter der Oberfläche des Quecksilbers im Gefässe stand. Es war auffallend, dass das Quecksilber aus der umgestürzten Röhre nicht ganz ausfloss, sondern bei jedem Versuche auf einer Höhe von c b = 27 bis 28 Zoll stehen blieb. Torricelli schloss hieraus, dass die umge- bende Luft auf das Quecksilber ausserhalb der Röhre nur eben so stark drücken könne,
Gerstner's Mechanik. II. Band. 10
II. Kapitel. Aërostatik.
§. 59.
Wir verstehen unter der Aërostatik die Lehre vom Gleichgewichte und Drucke der Luft sowohl für sich, als in Berührung mit andern Körpern. Die Luft ist diejenige Flüssigkeit, welche unsern ganzen Erdball umgibt, und ohne welche kein Thier zu le- ben im Stande ist. Wir denken uns diese Flüssigkeit, so wie das Wasser aus unendlich vielen und unendlich kleinen Theilen bestehend, die unter einander keinen Zusammen- hang haben. Von dem Daseyn dieser Flüssigkeit überzeugt uns der Widerstand, der sich bei jeder Bewegung eines leichten Körpers äussert. Wird ein Blatt Papier mit der Hand in der Richtung seiner Fläche durch die Luft bewegt, so unterliegt diese Bewegung gar keinem Anstande; wenn aber die Fläche des Papieres mit der Richtung seiner Bewegung einen rechten Winkel macht, und das Papier an seinem Ende gehalten wird, so wird es schon bei einer sehr geringen Geschwindigkeit von dem Widerstande der Luft umgebo- gen. Eine jede Bewegung der Luft, jeder Wind gibt uns ebenfalls den Beweis von dem Daseyn derselben, obgleich wir ihre Theile nicht sehen.
Die Luft hat die Beweglichkeit der Theile und die Schwere mit dem Wasser gemein; sie hat aber noch eine andere Eigenschaft, welche dem Wasser abgeht, nämlich die weit grössere Elastizität, oder die Fähigkeit sich durch eine angebrachte Kraft zusammendrücken zu lassen, und das Bestreben ihren Raum fortwährend zu erwei- tern oder sich auszudehnen, so wie die Kraft nachlässt.
§. 60.
Der berühmte Galilaei war der erste, welcher den Lehrsatz, dass die Luft schwer sey, aufstellte. Er wurde hierauf durch den Umstand geführt, dass die Gärtner in Flo- renz das Wasser mittelst Pumpen nur auf eine beschränkte Höhe zu heben vermochten. Es blieb jedoch seinem Schüler Torricelli vorbehalten, im J. 1643 den bestimmten Grund hiervon nachzuweisen. Derselbe nahm eine Glasröhre, die an einem Ende d offen, anFig. 1. Tab. 43. dem andern a aber geschlossen war, und füllte sie ganz mit Quecksilber. Er verschloss hierauf die Oeffnung d mit dem Finger, stürzte die Röhre in ein mit Quecksilber gefüll- tes Gefäss, und entfernte erst dann den Finger, bis das offene Ende der Röhre unter der Oberfläche des Quecksilbers im Gefässe stand. Es war auffallend, dass das Quecksilber aus der umgestürzten Röhre nicht ganz ausfloss, sondern bei jedem Versuche auf einer Höhe von c b = 27 bis 28 Zoll stehen blieb. Torricelli schloss hieraus, dass die umge- bende Luft auf das Quecksilber ausserhalb der Röhre nur eben so stark drücken könne,
Gerstner’s Mechanik. II. Band. 10
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II. Kapitel.
Aërostatik.
§. 59.
Wir verstehen unter der Aërostatik die Lehre vom Gleichgewichte und Drucke
der Luft sowohl für sich, als in Berührung mit andern Körpern. Die Luft ist diejenige
Flüssigkeit, welche unsern ganzen Erdball umgibt, und ohne welche kein Thier zu le-
ben im Stande ist. Wir denken uns diese Flüssigkeit, so wie das Wasser aus unendlich
vielen und unendlich kleinen Theilen bestehend, die unter einander keinen Zusammen-
hang haben. Von dem Daseyn dieser Flüssigkeit überzeugt uns der Widerstand, der sich
bei jeder Bewegung eines leichten Körpers äussert. Wird ein Blatt Papier mit der Hand
in der Richtung seiner Fläche durch die Luft bewegt, so unterliegt diese Bewegung gar
keinem Anstande; wenn aber die Fläche des Papieres mit der Richtung seiner Bewegung
einen rechten Winkel macht, und das Papier an seinem Ende gehalten wird, so wird es
schon bei einer sehr geringen Geschwindigkeit von dem Widerstande der Luft umgebo-
gen. Eine jede Bewegung der Luft, jeder Wind gibt uns ebenfalls den Beweis von dem
Daseyn derselben, obgleich wir ihre Theile nicht sehen.
Die Luft hat die Beweglichkeit der Theile und die Schwere mit dem Wasser
gemein; sie hat aber noch eine andere Eigenschaft, welche dem Wasser abgeht, nämlich
die weit grössere Elastizität, oder die Fähigkeit sich durch eine angebrachte
Kraft zusammendrücken zu lassen, und das Bestreben ihren Raum fortwährend zu erwei-
tern oder sich auszudehnen, so wie die Kraft nachlässt.
§. 60.
Der berühmte Galilaei war der erste, welcher den Lehrsatz, dass die Luft schwer
sey, aufstellte. Er wurde hierauf durch den Umstand geführt, dass die Gärtner in Flo-
renz das Wasser mittelst Pumpen nur auf eine beschränkte Höhe zu heben vermochten.
Es blieb jedoch seinem Schüler Torricelli vorbehalten, im J. 1643 den bestimmten Grund
hiervon nachzuweisen. Derselbe nahm eine Glasröhre, die an einem Ende d offen, an
dem andern a aber geschlossen war, und füllte sie ganz mit Quecksilber. Er verschloss
hierauf die Oeffnung d mit dem Finger, stürzte die Röhre in ein mit Quecksilber gefüll-
tes Gefäss, und entfernte erst dann den Finger, bis das offene Ende der Röhre unter der
Oberfläche des Quecksilbers im Gefässe stand. Es war auffallend, dass das Quecksilber
aus der umgestürzten Röhre nicht ganz ausfloss, sondern bei jedem Versuche auf einer
Höhe von c b = 27 bis 28 Zoll stehen blieb. Torricelli schloss hieraus, dass die umge-
bende Luft auf das Quecksilber ausserhalb der Röhre nur eben so stark drücken könne,
Fig.
1.
Tab.
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Gerstner’s Mechanik. II. Band. 10
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Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/91>, abgerufen am 30.11.2024.
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