Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.

§. 1.

Flüssige Körper nennt man diejenigen, deren Theile entweder gar nicht, oder
so wenig an einander hängen, dass sie durch Einwirkung einer äusserst geringen Kraft
verrückt oder zwischen einander verschoben werden können. Wir sehen die Eigenschaft
der Flüssigkeit deutlich an dem Wasser, Quecksilber, den flüssigen Metallen, der
Luft und den Dämpfen jeder Art. Alle einzelnen Theile dieser Flüssigkeiten sind nämlich
für sich beweglich, ohne die benachbarten Theile mit fortzureissen, sie geben jedem
Drucke sogleich nach, man kann daher fremde Körper ohne merklichen Kraftaufwand
zwischen dieselben bringen. Dagegen wissen wir, dass bei festen Körpern die Theile
unter einander auf eine solche Art zusammenhängen, dass die Bewegung eines Theiles
ohne eine gleiche Bewegung der benachbarten nicht Statt finden kann, und dass über-
haupt das Eindringen eines fremden Körpers zwischen seine Theile ohne eine gewaltsame
Beschädigung oder Trennung gar nicht möglich, noch weniger eine Bewegung zwischen
denselben gedenkbar ist.

Es ist merkwürdig, dass die Flüssigkeit der Körper bestehen kann, obgleich ihre
Theile sich wechselseitig mehr oder minder anziehen. Denken wir uns z. B. ein System
von polirten kleinen Kugeln, die einander ohne Reibung berühren, und sich wechselseitig
nach Richtungen gegen ihre Mittelpunkte anziehen, so dass die Anziehung in allen Punk-
ten ihrer Peripherie gleich ist, so kann man eine jede dieser Kugeln um die andere her-
umdrehen und wo immer hin ohne Widerstand bewegen, weil die gleiche Anziehung der
umgebenden Kugeln sich überall aufhebt. In England zeigt man in physikalischen Kabi-
netten weite, mit sehr kleinen Kugeln (sogenanntem Vogeldunst) angefüllte Gefässe, wo-
mit die angeführten Eigenschaften der Flüssigkeiten und überhaupt alle Phänomene bei
dem Schwimmen, so wie auch die Wellenbewegung sehr auffallend dargestellt wird. Auf
diese Art kann man sich daher die Flüssigkeit der Körper am leichtesten vorstellen. Auch
erklärt sich hieraus, dass durch Anziehung die Theile der Körper nur in dem Falle an
einander festgemacht werden, wenn sich die Anziehung nicht in der ganzen Peripherie
der Elemente gleich, sondern nur nach bestimmten Richtungen und bestimmten Punkten
derselben äussert, wie wir diess bei dem Gefrieren des Wassers und bei den Krystal-
lisazionen gewahr werden.

1*

Einleitung.

§. 1.

Flüssige Körper nennt man diejenigen, deren Theile entweder gar nicht, oder
so wenig an einander hängen, dass sie durch Einwirkung einer äusserst geringen Kraft
verrückt oder zwischen einander verschoben werden können. Wir sehen die Eigenschaft
der Flüssigkeit deutlich an dem Wasser, Quecksilber, den flüssigen Metallen, der
Luft und den Dämpfen jeder Art. Alle einzelnen Theile dieser Flüssigkeiten sind nämlich
für sich beweglich, ohne die benachbarten Theile mit fortzureissen, sie geben jedem
Drucke sogleich nach, man kann daher fremde Körper ohne merklichen Kraftaufwand
zwischen dieselben bringen. Dagegen wissen wir, dass bei festen Körpern die Theile
unter einander auf eine solche Art zusammenhängen, dass die Bewegung eines Theiles
ohne eine gleiche Bewegung der benachbarten nicht Statt finden kann, und dass über-
haupt das Eindringen eines fremden Körpers zwischen seine Theile ohne eine gewaltsame
Beschädigung oder Trennung gar nicht möglich, noch weniger eine Bewegung zwischen
denselben gedenkbar ist.

Es ist merkwürdig, dass die Flüssigkeit der Körper bestehen kann, obgleich ihre
Theile sich wechselseitig mehr oder minder anziehen. Denken wir uns z. B. ein System
von polirten kleinen Kugeln, die einander ohne Reibung berühren, und sich wechselseitig
nach Richtungen gegen ihre Mittelpunkte anziehen, so dass die Anziehung in allen Punk-
ten ihrer Peripherie gleich ist, so kann man eine jede dieser Kugeln um die andere her-
umdrehen und wo immer hin ohne Widerstand bewegen, weil die gleiche Anziehung der
umgebenden Kugeln sich überall aufhebt. In England zeigt man in physikalischen Kabi-
netten weite, mit sehr kleinen Kugeln (sogenanntem Vogeldunst) angefüllte Gefässe, wo-
mit die angeführten Eigenschaften der Flüssigkeiten und überhaupt alle Phänomene bei
dem Schwimmen, so wie auch die Wellenbewegung sehr auffallend dargestellt wird. Auf
diese Art kann man sich daher die Flüssigkeit der Körper am leichtesten vorstellen. Auch
erklärt sich hieraus, dass durch Anziehung die Theile der Körper nur in dem Falle an
einander festgemacht werden, wenn sich die Anziehung nicht in der ganzen Peripherie
der Elemente gleich, sondern nur nach bestimmten Richtungen und bestimmten Punkten
derselben äussert, wie wir diess bei dem Gefrieren des Wassers und bei den Krystal-
lisazionen gewahr werden.

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0021" n="[3]"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>§. 1.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#g"><hi rendition="#in">F</hi>lüssige Körper</hi> nennt man diejenigen, deren Theile entweder gar nicht, oder<lb/>
so wenig an einander hängen, dass sie durch Einwirkung einer äusserst geringen Kraft<lb/>
verrückt oder zwischen einander verschoben werden können. Wir sehen die Eigenschaft<lb/>
der <hi rendition="#g">Flüssigkeit</hi> deutlich an dem Wasser, Quecksilber, den flüssigen Metallen, der<lb/>
Luft und den Dämpfen jeder Art. Alle einzelnen Theile dieser Flüssigkeiten sind nämlich<lb/>
für sich beweglich, ohne die benachbarten Theile mit fortzureissen, sie geben jedem<lb/>
Drucke sogleich nach, man kann daher fremde Körper ohne merklichen Kraftaufwand<lb/>
zwischen dieselben bringen. Dagegen wissen wir, dass bei <hi rendition="#g">festen Körpern</hi> die Theile<lb/>
unter einander auf eine solche Art zusammenhängen, dass die Bewegung eines Theiles<lb/>
ohne eine gleiche Bewegung der benachbarten nicht Statt finden kann, und dass über-<lb/>
haupt das Eindringen eines fremden Körpers zwischen seine Theile ohne eine gewaltsame<lb/>
Beschädigung oder Trennung gar nicht möglich, noch weniger eine Bewegung zwischen<lb/>
denselben gedenkbar ist.</p><lb/>
            <p>Es ist merkwürdig, dass die Flüssigkeit der Körper bestehen kann, obgleich ihre<lb/>
Theile sich wechselseitig mehr oder minder anziehen. Denken wir uns z. B. ein System<lb/>
von polirten kleinen Kugeln, die einander ohne Reibung berühren, und sich wechselseitig<lb/>
nach Richtungen gegen ihre Mittelpunkte anziehen, so dass die Anziehung in allen Punk-<lb/>
ten ihrer Peripherie gleich ist, so kann man eine jede dieser Kugeln um die andere her-<lb/>
umdrehen und wo immer hin ohne Widerstand bewegen, weil die gleiche Anziehung der<lb/>
umgebenden Kugeln sich überall aufhebt. In England zeigt man in physikalischen Kabi-<lb/>
netten weite, mit sehr kleinen Kugeln (sogenanntem Vogeldunst) angefüllte Gefässe, wo-<lb/>
mit die angeführten Eigenschaften der Flüssigkeiten und überhaupt alle Phänomene bei<lb/>
dem Schwimmen, so wie auch die Wellenbewegung sehr auffallend dargestellt wird. Auf<lb/>
diese Art kann man sich daher die Flüssigkeit der Körper am leichtesten vorstellen. Auch<lb/>
erklärt sich hieraus, dass durch Anziehung die Theile der Körper nur in dem Falle an<lb/>
einander festgemacht werden, wenn sich die Anziehung nicht in der ganzen Peripherie<lb/>
der Elemente gleich, sondern nur nach bestimmten Richtungen und bestimmten Punkten<lb/>
derselben äussert, wie wir diess bei dem Gefrieren des Wassers und bei den Krystal-<lb/>
lisazionen gewahr werden.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0021] Einleitung. §. 1. Flüssige Körper nennt man diejenigen, deren Theile entweder gar nicht, oder so wenig an einander hängen, dass sie durch Einwirkung einer äusserst geringen Kraft verrückt oder zwischen einander verschoben werden können. Wir sehen die Eigenschaft der Flüssigkeit deutlich an dem Wasser, Quecksilber, den flüssigen Metallen, der Luft und den Dämpfen jeder Art. Alle einzelnen Theile dieser Flüssigkeiten sind nämlich für sich beweglich, ohne die benachbarten Theile mit fortzureissen, sie geben jedem Drucke sogleich nach, man kann daher fremde Körper ohne merklichen Kraftaufwand zwischen dieselben bringen. Dagegen wissen wir, dass bei festen Körpern die Theile unter einander auf eine solche Art zusammenhängen, dass die Bewegung eines Theiles ohne eine gleiche Bewegung der benachbarten nicht Statt finden kann, und dass über- haupt das Eindringen eines fremden Körpers zwischen seine Theile ohne eine gewaltsame Beschädigung oder Trennung gar nicht möglich, noch weniger eine Bewegung zwischen denselben gedenkbar ist. Es ist merkwürdig, dass die Flüssigkeit der Körper bestehen kann, obgleich ihre Theile sich wechselseitig mehr oder minder anziehen. Denken wir uns z. B. ein System von polirten kleinen Kugeln, die einander ohne Reibung berühren, und sich wechselseitig nach Richtungen gegen ihre Mittelpunkte anziehen, so dass die Anziehung in allen Punk- ten ihrer Peripherie gleich ist, so kann man eine jede dieser Kugeln um die andere her- umdrehen und wo immer hin ohne Widerstand bewegen, weil die gleiche Anziehung der umgebenden Kugeln sich überall aufhebt. In England zeigt man in physikalischen Kabi- netten weite, mit sehr kleinen Kugeln (sogenanntem Vogeldunst) angefüllte Gefässe, wo- mit die angeführten Eigenschaften der Flüssigkeiten und überhaupt alle Phänomene bei dem Schwimmen, so wie auch die Wellenbewegung sehr auffallend dargestellt wird. Auf diese Art kann man sich daher die Flüssigkeit der Körper am leichtesten vorstellen. Auch erklärt sich hieraus, dass durch Anziehung die Theile der Körper nur in dem Falle an einander festgemacht werden, wenn sich die Anziehung nicht in der ganzen Peripherie der Elemente gleich, sondern nur nach bestimmten Richtungen und bestimmten Punkten derselben äussert, wie wir diess bei dem Gefrieren des Wassers und bei den Krystal- lisazionen gewahr werden. 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/21
Zitationshilfe: Gerstner, Franz Joseph von: Handbuch der Mechanik. Bd. 2: Mechanik flüssiger Körper. Prag, 1832, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstner_mechanik02_1832/21>, abgerufen am 28.11.2024.